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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
dient gleichzeitig mit ihrem zweiten Arme zur gefälligen Verbindung
mit den benachbarten Blüthen.

Den Zeitpunkt, wann sich die bezüglichen zukunftsreichen Ver-
änderungen zuerst vollzogen haben, genau zu fixiren, kann hier nicht
unsere Absicht sein. Erstlich mangelt es hiefür völlig an Vorarbeiten,
da die klassische Archäologie es bisher nahezu unter ihrer Würde be-
funden hat, sich mit der römischen Spätzeit zu befassen, und die For-
scher der altchristlichen und byzantinischen Kunstgeschichte einer ge-
naueren Bekanntschaft mit der Antike, zumal mit deren späteren
Phasen, zumeist entrathen zu können glaubten. Es dürfte aber über-
haupt schon schwer sein, sich über den sachlichen Punkt zu einigen,
wo das Neue begonnen hat, im Kunstwollen der spätantiken Zeit be-
wusste Beachtung und Anwendung zu finden. Die Ansätze hiefür
waren, wie wir gesehen haben, mindestens seit dem 4. Jahrh. v. Chr. ge-

[Abbildung] Fig. 137.

Wandborde aus bemaltem Stuck. Aus Pompeji.

geben. Namentlich die leichte und flüssige dekorative Wandmalerei
mag bereits Freiheiten in der angedeuteten Richtung sich erlaubt
haben, zu einer Zeit, da in der architektonischen Dekoration noch kein
Raum war für eine Verwendung des Pflanzenornaments nach einem
widernatürlichen Schema. Vor Allem wären daraufhin die pompejani-
schen Dekorationen systematisch und an der Hand der Originaldenk-
mäler selbst durchzugehen. Soviel hat aber die vollzogene Uebersicht
über die Entwicklung der Wellenranken-Friese in der römischen
Kaiserzeit wohl zur Gewissheit dargethan, dass die Entnaturalisirung
dieses gemeingebräuchlichsten Friesschemas etwa um 400 n. Ch. so weit
vorgeschritten war, dass dieselbe zum Ausgangspunkte einer selbstän-
digen Entwicklung werden konnte, sobald einmal durch eine erfolgte
politische Zerreissung des Universalreichs auch in die Einheit der römi-
schen Universalkunst Bresche gelegt war.



Ranken weiterlaufen zu lassen. Als Zwischenglied gebe ich oben (Fig. 137) eine
Stuckbordüre aus Pompeji, nach Nicolini Descriz. gener. 45.

B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
dient gleichzeitig mit ihrem zweiten Arme zur gefälligen Verbindung
mit den benachbarten Blüthen.

Den Zeitpunkt, wann sich die bezüglichen zukunftsreichen Ver-
änderungen zuerst vollzogen haben, genau zu fixiren, kann hier nicht
unsere Absicht sein. Erstlich mangelt es hiefür völlig an Vorarbeiten,
da die klassische Archäologie es bisher nahezu unter ihrer Würde be-
funden hat, sich mit der römischen Spätzeit zu befassen, und die For-
scher der altchristlichen und byzantinischen Kunstgeschichte einer ge-
naueren Bekanntschaft mit der Antike, zumal mit deren späteren
Phasen, zumeist entrathen zu können glaubten. Es dürfte aber über-
haupt schon schwer sein, sich über den sachlichen Punkt zu einigen,
wo das Neue begonnen hat, im Kunstwollen der spätantiken Zeit be-
wusste Beachtung und Anwendung zu finden. Die Ansätze hiefür
waren, wie wir gesehen haben, mindestens seit dem 4. Jahrh. v. Chr. ge-

[Abbildung] Fig. 137.

Wandborde aus bemaltem Stuck. Aus Pompeji.

geben. Namentlich die leichte und flüssige dekorative Wandmalerei
mag bereits Freiheiten in der angedeuteten Richtung sich erlaubt
haben, zu einer Zeit, da in der architektonischen Dekoration noch kein
Raum war für eine Verwendung des Pflanzenornaments nach einem
widernatürlichen Schema. Vor Allem wären daraufhin die pompejani-
schen Dekorationen systematisch und an der Hand der Originaldenk-
mäler selbst durchzugehen. Soviel hat aber die vollzogene Uebersicht
über die Entwicklung der Wellenranken-Friese in der römischen
Kaiserzeit wohl zur Gewissheit dargethan, dass die Entnaturalisirung
dieses gemeingebräuchlichsten Friesschemas etwa um 400 n. Ch. so weit
vorgeschritten war, dass dieselbe zum Ausgangspunkte einer selbstän-
digen Entwicklung werden konnte, sobald einmal durch eine erfolgte
politische Zerreissung des Universalreichs auch in die Einheit der römi-
schen Universalkunst Bresche gelegt war.



Ranken weiterlaufen zu lassen. Als Zwischenglied gebe ich oben (Fig. 137) eine
Stuckbordüre aus Pompeji, nach Nicolini Descriz. gener. 45.
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[258/0284] B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. dient gleichzeitig mit ihrem zweiten Arme zur gefälligen Verbindung mit den benachbarten Blüthen. Den Zeitpunkt, wann sich die bezüglichen zukunftsreichen Ver- änderungen zuerst vollzogen haben, genau zu fixiren, kann hier nicht unsere Absicht sein. Erstlich mangelt es hiefür völlig an Vorarbeiten, da die klassische Archäologie es bisher nahezu unter ihrer Würde be- funden hat, sich mit der römischen Spätzeit zu befassen, und die For- scher der altchristlichen und byzantinischen Kunstgeschichte einer ge- naueren Bekanntschaft mit der Antike, zumal mit deren späteren Phasen, zumeist entrathen zu können glaubten. Es dürfte aber über- haupt schon schwer sein, sich über den sachlichen Punkt zu einigen, wo das Neue begonnen hat, im Kunstwollen der spätantiken Zeit be- wusste Beachtung und Anwendung zu finden. Die Ansätze hiefür waren, wie wir gesehen haben, mindestens seit dem 4. Jahrh. v. Chr. ge- [Abbildung Fig. 137. Wandborde aus bemaltem Stuck. Aus Pompeji.] geben. Namentlich die leichte und flüssige dekorative Wandmalerei mag bereits Freiheiten in der angedeuteten Richtung sich erlaubt haben, zu einer Zeit, da in der architektonischen Dekoration noch kein Raum war für eine Verwendung des Pflanzenornaments nach einem widernatürlichen Schema. Vor Allem wären daraufhin die pompejani- schen Dekorationen systematisch und an der Hand der Originaldenk- mäler selbst durchzugehen. Soviel hat aber die vollzogene Uebersicht über die Entwicklung der Wellenranken-Friese in der römischen Kaiserzeit wohl zur Gewissheit dargethan, dass die Entnaturalisirung dieses gemeingebräuchlichsten Friesschemas etwa um 400 n. Ch. so weit vorgeschritten war, dass dieselbe zum Ausgangspunkte einer selbstän- digen Entwicklung werden konnte, sobald einmal durch eine erfolgte politische Zerreissung des Universalreichs auch in die Einheit der römi- schen Universalkunst Bresche gelegt war. 69) 69) Ranken weiterlaufen zu lassen. Als Zwischenglied gebe ich oben (Fig. 137) eine Stuckbordüre aus Pompeji, nach Nicolini Descriz. gener. 45.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/284>, abgerufen am 25.04.2024.