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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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1. Das Pflanzenrankenornament in der byzantinischen Kunst.
meintlichen persischen Kunstvolks sehen möchten, fragen wir aber:
wann, unter welchen Verhältnissen soll sich diese "nationale" Kunst
entwickelt haben? Mit der persischen Kunst der Achämenidenzeit
die wir ja im 3. Kap. (S. 109) kennen gelernt haben, hat die Ornamentik
der Sassanidendenkmäler Nichts zu thun. Sollte diese durch die
Parther aus Centralasien gekommen sein? Von dort ist aber, wie wir
von Türken und Mongolen wissen, niemals etwas Anderes als Geometrisches
nach dem Westen gelangt. Es bliebe somit nur die Annahme, die
Perser hätten parallel mit der griechisch-römischen Pflanzenrankenor-
namentik eine eigene aus dem Nichts heraus gebildet, hätten in wenigen
Jahrhunderten aus eigener Kraft den ganzen Gang der Entwicklung
durchgemacht, wozu die übrigen Kunstvölker des Alterthums, wie wir
gesehen haben, zwei Jahrtausende gebraucht haben. Eine solche An-
nahme wird aber schwerlich viele Anhänger finden.

[Abbildung] Fig. 164.

Detail von einem persischen Kapitäl aus der Sassanidenzeit.

Der Akanthus trägt an Fig. 161 und 162, wie erwähnt, eine natu-
ralisirende, üppige, römische Form zur Schau. Die vom vollen Blatt
abgezupften schematischen Zacken der frühbyzantinischen Kunst treffen
wir an einem anderen sassanidischen Kapitäl, wovon wir ein Detail in
Fig. 164 wiedergeben. Dasselbe erscheint auf den ersten Blick völlig
saracenisch; und doch finden wir daran bei näherem Zusehen kein
Detail, das uns nicht von frühbyzantinischen Denkmälern her bekannt
wäre. So die gesprengte Palmette unten (vgl. Fig. 148), das Dreiblatt
in der Mitte (vgl. Fig. 143), dessen rundovale Umschreibung sogar
noch antiker ist als die herzförmige in Fig. 162, und endlich das Paar
von divergirenden Dreiblättern oben (vgl. Fig. 143). Wir ersehen
daraus, wie nahe bereits die frühbyzantinische Weise der sara-
cenischen steht, und wie gleichmässig sich der Process in
allen von der oströmischen Kunst beherrschten Gebieten an-
gebahnt hat
. An den Blumen- und Blattmotiven blieb in der That
nicht mehr viel zu ändern, um zur reinen Arabeske zu gelangen: nur

1. Das Pflanzenrankenornament in der byzantinischen Kunst.
meintlichen persischen Kunstvolks sehen möchten, fragen wir aber:
wann, unter welchen Verhältnissen soll sich diese „nationale“ Kunst
entwickelt haben? Mit der persischen Kunst der Achämenidenzeit
die wir ja im 3. Kap. (S. 109) kennen gelernt haben, hat die Ornamentik
der Sassanidendenkmäler Nichts zu thun. Sollte diese durch die
Parther aus Centralasien gekommen sein? Von dort ist aber, wie wir
von Türken und Mongolen wissen, niemals etwas Anderes als Geometrisches
nach dem Westen gelangt. Es bliebe somit nur die Annahme, die
Perser hätten parallel mit der griechisch-römischen Pflanzenrankenor-
namentik eine eigene aus dem Nichts heraus gebildet, hätten in wenigen
Jahrhunderten aus eigener Kraft den ganzen Gang der Entwicklung
durchgemacht, wozu die übrigen Kunstvölker des Alterthums, wie wir
gesehen haben, zwei Jahrtausende gebraucht haben. Eine solche An-
nahme wird aber schwerlich viele Anhänger finden.

[Abbildung] Fig. 164.

Detail von einem persischen Kapitäl aus der Sassanidenzeit.

Der Akanthus trägt an Fig. 161 und 162, wie erwähnt, eine natu-
ralisirende, üppige, römische Form zur Schau. Die vom vollen Blatt
abgezupften schematischen Zacken der frühbyzantinischen Kunst treffen
wir an einem anderen sassanidischen Kapitäl, wovon wir ein Detail in
Fig. 164 wiedergeben. Dasselbe erscheint auf den ersten Blick völlig
saracenisch; und doch finden wir daran bei näherem Zusehen kein
Detail, das uns nicht von frühbyzantinischen Denkmälern her bekannt
wäre. So die gesprengte Palmette unten (vgl. Fig. 148), das Dreiblatt
in der Mitte (vgl. Fig. 143), dessen rundovale Umschreibung sogar
noch antiker ist als die herzförmige in Fig. 162, und endlich das Paar
von divergirenden Dreiblättern oben (vgl. Fig. 143). Wir ersehen
daraus, wie nahe bereits die frühbyzantinische Weise der sara-
cenischen steht, und wie gleichmässig sich der Process in
allen von der oströmischen Kunst beherrschten Gebieten an-
gebahnt hat
. An den Blumen- und Blattmotiven blieb in der That
nicht mehr viel zu ändern, um zur reinen Arabeske zu gelangen: nur

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[301/0327] 1. Das Pflanzenrankenornament in der byzantinischen Kunst. meintlichen persischen Kunstvolks sehen möchten, fragen wir aber: wann, unter welchen Verhältnissen soll sich diese „nationale“ Kunst entwickelt haben? Mit der persischen Kunst der Achämenidenzeit die wir ja im 3. Kap. (S. 109) kennen gelernt haben, hat die Ornamentik der Sassanidendenkmäler Nichts zu thun. Sollte diese durch die Parther aus Centralasien gekommen sein? Von dort ist aber, wie wir von Türken und Mongolen wissen, niemals etwas Anderes als Geometrisches nach dem Westen gelangt. Es bliebe somit nur die Annahme, die Perser hätten parallel mit der griechisch-römischen Pflanzenrankenor- namentik eine eigene aus dem Nichts heraus gebildet, hätten in wenigen Jahrhunderten aus eigener Kraft den ganzen Gang der Entwicklung durchgemacht, wozu die übrigen Kunstvölker des Alterthums, wie wir gesehen haben, zwei Jahrtausende gebraucht haben. Eine solche An- nahme wird aber schwerlich viele Anhänger finden. [Abbildung Fig. 164. Detail von einem persischen Kapitäl aus der Sassanidenzeit. ] Der Akanthus trägt an Fig. 161 und 162, wie erwähnt, eine natu- ralisirende, üppige, römische Form zur Schau. Die vom vollen Blatt abgezupften schematischen Zacken der frühbyzantinischen Kunst treffen wir an einem anderen sassanidischen Kapitäl, wovon wir ein Detail in Fig. 164 wiedergeben. Dasselbe erscheint auf den ersten Blick völlig saracenisch; und doch finden wir daran bei näherem Zusehen kein Detail, das uns nicht von frühbyzantinischen Denkmälern her bekannt wäre. So die gesprengte Palmette unten (vgl. Fig. 148), das Dreiblatt in der Mitte (vgl. Fig. 143), dessen rundovale Umschreibung sogar noch antiker ist als die herzförmige in Fig. 162, und endlich das Paar von divergirenden Dreiblättern oben (vgl. Fig. 143). Wir ersehen daraus, wie nahe bereits die frühbyzantinische Weise der sara- cenischen steht, und wie gleichmässig sich der Process in allen von der oströmischen Kunst beherrschten Gebieten an- gebahnt hat. An den Blumen- und Blattmotiven blieb in der That nicht mehr viel zu ändern, um zur reinen Arabeske zu gelangen: nur

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/327>, abgerufen am 25.04.2024.