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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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Der Wappenstil.
nun die Thierfiguren in Seitenansicht dennoch dekorativ13) zu verwerthen,
gab es zwei Wege. Entweder man liess die Symmetrie ganz fallen
und reihte die Thiere bloss rhythmisch hinter einander -- dies geschah
in dem von Curtius sogenannten Teppichstil --, oder man nahm die
Thiere paarweise und stellte sie in absoluter Symmetrie einander
gegenüber, und zwar womöglich zu beiden Seiten eines symmetrisch
aufgebauten Mittels, wozu sich ein vegetabilisches Element am besten
eignete. Auf diese Weise etwa, keineswegs aber aus einer gar nicht
zu beweisenden Technik, werden wir uns die paarweisen assyrischen
Bestien zu beiden Seiten des sogen. "heiligen Baumes" (Fig. 4) zu er-
klären haben.

Die Symmetrie erweist sich eben als ein dem Menschen einge-
borenes, immanentes Postulat alles dekorativen Kunstschaffens von An-
beginn. Der Chinese kennt sie ebensogut wie der Altegypter, und
nicht bloss im geometrischen Ornament, wiewohl man versucht hat,
ihnen diese Kenntniss abzusprechen. So finden wir z. B. zwei Böcke
um einen Baum symmetrisch gruppirt bereits im Alten Reiche unter
der 6. Dynastie14), also mehr als tausend Jahre vor der Entstehung der
assyrischen Königspaläste. Dass Altegypter wie Chinesen über eine be-
scheidene Beobachtung der Symmetrie in der figürlichen Composition
nicht hinausgekommen sind, mag vielleicht in dem anscheinend frühen
Reifen und Sichabschliessen, und dem hierauf erfolgten relativen Still-
stehen ihrer uralten Kulturen begründet sein. Ein Volk, das auf den
Errungenschaften eines anderen unter frischen Impulsen weiter zu
bauen in der Lage war, hat die künstlerische Bedeutsamkeit der Sym-
metrie sofort schärfer erfasst: so sehen wir sie eben bei den Assyrern
beobachtet, die auch den Unterschied zwischen Decke und Band, Fül-
lung und Bordüre, Inhalt und Rahmen, wie es scheint zuerst nicht
bloss deutlich begriffen, sondern auch zu unbedingter praktischer Gel-
tung gebracht haben; leider vermögen wir mit den heutigen Mitteln
nicht zu beurtheilen, welcher Antheil hiervon auf ihre älteren Stam-
mesgenossen, die Chaldäer, entfällt. Bedarf es da erst der Kunst-
weberei, um zu erklären, wie dieses Volk zur Übung des symmetrischen
Wappenstils gelangt ist?



13) Nicht mit descriptiv-gegenständlicher Bedeutung, wie etwa die
Heerden auf altegyptischen Grabreliefs.
14) Lepsius Denkmäler IV. Taf. 108, 111.

Der Wappenstil.
nun die Thierfiguren in Seitenansicht dennoch dekorativ13) zu verwerthen,
gab es zwei Wege. Entweder man liess die Symmetrie ganz fallen
und reihte die Thiere bloss rhythmisch hinter einander — dies geschah
in dem von Curtius sogenannten Teppichstil —, oder man nahm die
Thiere paarweise und stellte sie in absoluter Symmetrie einander
gegenüber, und zwar womöglich zu beiden Seiten eines symmetrisch
aufgebauten Mittels, wozu sich ein vegetabilisches Element am besten
eignete. Auf diese Weise etwa, keineswegs aber aus einer gar nicht
zu beweisenden Technik, werden wir uns die paarweisen assyrischen
Bestien zu beiden Seiten des sogen. „heiligen Baumes“ (Fig. 4) zu er-
klären haben.

Die Symmetrie erweist sich eben als ein dem Menschen einge-
borenes, immanentes Postulat alles dekorativen Kunstschaffens von An-
beginn. Der Chinese kennt sie ebensogut wie der Altegypter, und
nicht bloss im geometrischen Ornament, wiewohl man versucht hat,
ihnen diese Kenntniss abzusprechen. So finden wir z. B. zwei Böcke
um einen Baum symmetrisch gruppirt bereits im Alten Reiche unter
der 6. Dynastie14), also mehr als tausend Jahre vor der Entstehung der
assyrischen Königspaläste. Dass Altegypter wie Chinesen über eine be-
scheidene Beobachtung der Symmetrie in der figürlichen Composition
nicht hinausgekommen sind, mag vielleicht in dem anscheinend frühen
Reifen und Sichabschliessen, und dem hierauf erfolgten relativen Still-
stehen ihrer uralten Kulturen begründet sein. Ein Volk, das auf den
Errungenschaften eines anderen unter frischen Impulsen weiter zu
bauen in der Lage war, hat die künstlerische Bedeutsamkeit der Sym-
metrie sofort schärfer erfasst: so sehen wir sie eben bei den Assyrern
beobachtet, die auch den Unterschied zwischen Decke und Band, Fül-
lung und Bordüre, Inhalt und Rahmen, wie es scheint zuerst nicht
bloss deutlich begriffen, sondern auch zu unbedingter praktischer Gel-
tung gebracht haben; leider vermögen wir mit den heutigen Mitteln
nicht zu beurtheilen, welcher Antheil hiervon auf ihre älteren Stam-
mesgenossen, die Chaldäer, entfällt. Bedarf es da erst der Kunst-
weberei, um zu erklären, wie dieses Volk zur Übung des symmetrischen
Wappenstils gelangt ist?



13) Nicht mit descriptiv-gegenständlicher Bedeutung, wie etwa die
Heerden auf altegyptischen Grabreliefs.
14) Lepsius Denkmäler IV. Taf. 108, 111.
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[40/0066] Der Wappenstil. nun die Thierfiguren in Seitenansicht dennoch dekorativ 13) zu verwerthen, gab es zwei Wege. Entweder man liess die Symmetrie ganz fallen und reihte die Thiere bloss rhythmisch hinter einander — dies geschah in dem von Curtius sogenannten Teppichstil —, oder man nahm die Thiere paarweise und stellte sie in absoluter Symmetrie einander gegenüber, und zwar womöglich zu beiden Seiten eines symmetrisch aufgebauten Mittels, wozu sich ein vegetabilisches Element am besten eignete. Auf diese Weise etwa, keineswegs aber aus einer gar nicht zu beweisenden Technik, werden wir uns die paarweisen assyrischen Bestien zu beiden Seiten des sogen. „heiligen Baumes“ (Fig. 4) zu er- klären haben. Die Symmetrie erweist sich eben als ein dem Menschen einge- borenes, immanentes Postulat alles dekorativen Kunstschaffens von An- beginn. Der Chinese kennt sie ebensogut wie der Altegypter, und nicht bloss im geometrischen Ornament, wiewohl man versucht hat, ihnen diese Kenntniss abzusprechen. So finden wir z. B. zwei Böcke um einen Baum symmetrisch gruppirt bereits im Alten Reiche unter der 6. Dynastie 14), also mehr als tausend Jahre vor der Entstehung der assyrischen Königspaläste. Dass Altegypter wie Chinesen über eine be- scheidene Beobachtung der Symmetrie in der figürlichen Composition nicht hinausgekommen sind, mag vielleicht in dem anscheinend frühen Reifen und Sichabschliessen, und dem hierauf erfolgten relativen Still- stehen ihrer uralten Kulturen begründet sein. Ein Volk, das auf den Errungenschaften eines anderen unter frischen Impulsen weiter zu bauen in der Lage war, hat die künstlerische Bedeutsamkeit der Sym- metrie sofort schärfer erfasst: so sehen wir sie eben bei den Assyrern beobachtet, die auch den Unterschied zwischen Decke und Band, Fül- lung und Bordüre, Inhalt und Rahmen, wie es scheint zuerst nicht bloss deutlich begriffen, sondern auch zu unbedingter praktischer Gel- tung gebracht haben; leider vermögen wir mit den heutigen Mitteln nicht zu beurtheilen, welcher Antheil hiervon auf ihre älteren Stam- mesgenossen, die Chaldäer, entfällt. Bedarf es da erst der Kunst- weberei, um zu erklären, wie dieses Volk zur Übung des symmetrischen Wappenstils gelangt ist? 13) Nicht mit descriptiv-gegenständlicher Bedeutung, wie etwa die Heerden auf altegyptischen Grabreliefs. 14) Lepsius Denkmäler IV. Taf. 108, 111.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/66>, abgerufen am 19.04.2024.