Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.allen Umständen schuldig. Denn hatte er jene Mordthaten verübt, dann verdiente er den Galgen; hatte er sie aber nicht verübt, dann verdiente er erst recht den Galgen, weil er den ganzen Rath einer Reichsstadt so fabelhaft zum Narren gehalten hatte. Da man sich aber durchaus nicht einigen konnte, auf welche von diesen beiden Arten er den Galgen verdient habe, so ließ man ihn einstweilen ruhig in seinem Loche sitzen. Zweites Kapitel. Dort sah es nicht gar freundlich aus. Die Zelle war halb über, halb unter der Erde in einem kleinen Thurm, der nach drei Seiten in einem sumpfigen Wassergraben stand; an Licht hatte das Gemach gerade keinen Ueberfluß, doch fiel durch ein schmales Fensterchen wenigstens so viel Helldunkel herein, daß man an einem sonnigen Mittage einen Tisch von einem Stuhl hätte unterscheiden können, wenn nämlich derlei Luxusgeräthe vorhanden gewesen wären. Desto besser war die Nachbarschaft. Unter der Fensterscharte sangen die Frösche im Sumpfgraben sehr mannigfaltig und vollchörig. Zur Seite aber grenzte ein anderes Gefängniß, von einem alten Weibe bewohnt, welches hartnäckig läugnete, daß sie eine Hexe sei. Ihr sogenanntes Fen- allen Umständen schuldig. Denn hatte er jene Mordthaten verübt, dann verdiente er den Galgen; hatte er sie aber nicht verübt, dann verdiente er erst recht den Galgen, weil er den ganzen Rath einer Reichsstadt so fabelhaft zum Narren gehalten hatte. Da man sich aber durchaus nicht einigen konnte, auf welche von diesen beiden Arten er den Galgen verdient habe, so ließ man ihn einstweilen ruhig in seinem Loche sitzen. Zweites Kapitel. Dort sah es nicht gar freundlich aus. Die Zelle war halb über, halb unter der Erde in einem kleinen Thurm, der nach drei Seiten in einem sumpfigen Wassergraben stand; an Licht hatte das Gemach gerade keinen Ueberfluß, doch fiel durch ein schmales Fensterchen wenigstens so viel Helldunkel herein, daß man an einem sonnigen Mittage einen Tisch von einem Stuhl hätte unterscheiden können, wenn nämlich derlei Luxusgeräthe vorhanden gewesen wären. Desto besser war die Nachbarschaft. Unter der Fensterscharte sangen die Frösche im Sumpfgraben sehr mannigfaltig und vollchörig. Zur Seite aber grenzte ein anderes Gefängniß, von einem alten Weibe bewohnt, welches hartnäckig läugnete, daß sie eine Hexe sei. Ihr sogenanntes Fen- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0012"/> allen Umständen schuldig. Denn hatte er jene Mordthaten verübt, dann verdiente er den Galgen; hatte er sie aber nicht verübt, dann verdiente er erst recht den Galgen, weil er den ganzen Rath einer Reichsstadt so fabelhaft zum Narren gehalten hatte. Da man sich aber durchaus nicht einigen konnte, auf welche von diesen beiden Arten er den Galgen verdient habe, so ließ man ihn einstweilen ruhig in seinem Loche sitzen.</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="2"> <head>Zweites Kapitel.</head> <p>Dort sah es nicht gar freundlich aus. Die Zelle war halb über, halb unter der Erde in einem kleinen Thurm, der nach drei Seiten in einem sumpfigen Wassergraben stand; an Licht hatte das Gemach gerade keinen Ueberfluß, doch fiel durch ein schmales Fensterchen wenigstens so viel Helldunkel herein, daß man an einem sonnigen Mittage einen Tisch von einem Stuhl hätte unterscheiden können, wenn nämlich derlei Luxusgeräthe vorhanden gewesen wären. Desto besser war die Nachbarschaft. Unter der Fensterscharte sangen die Frösche im Sumpfgraben sehr mannigfaltig und vollchörig. Zur Seite aber grenzte ein anderes Gefängniß, von einem alten Weibe bewohnt, welches hartnäckig läugnete, daß sie eine Hexe sei. Ihr sogenanntes Fen-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
allen Umständen schuldig. Denn hatte er jene Mordthaten verübt, dann verdiente er den Galgen; hatte er sie aber nicht verübt, dann verdiente er erst recht den Galgen, weil er den ganzen Rath einer Reichsstadt so fabelhaft zum Narren gehalten hatte. Da man sich aber durchaus nicht einigen konnte, auf welche von diesen beiden Arten er den Galgen verdient habe, so ließ man ihn einstweilen ruhig in seinem Loche sitzen.
Zweites Kapitel. Dort sah es nicht gar freundlich aus. Die Zelle war halb über, halb unter der Erde in einem kleinen Thurm, der nach drei Seiten in einem sumpfigen Wassergraben stand; an Licht hatte das Gemach gerade keinen Ueberfluß, doch fiel durch ein schmales Fensterchen wenigstens so viel Helldunkel herein, daß man an einem sonnigen Mittage einen Tisch von einem Stuhl hätte unterscheiden können, wenn nämlich derlei Luxusgeräthe vorhanden gewesen wären. Desto besser war die Nachbarschaft. Unter der Fensterscharte sangen die Frösche im Sumpfgraben sehr mannigfaltig und vollchörig. Zur Seite aber grenzte ein anderes Gefängniß, von einem alten Weibe bewohnt, welches hartnäckig läugnete, daß sie eine Hexe sei. Ihr sogenanntes Fen-
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Zitationshilfe: | Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/12>, abgerufen am 19.08.2022. |