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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Entweder die Episode aus dem Leben des Themistokles ist
historisch; da man sich nun schwerlich zu der Annahme wird
entschliessen können, dass Themistokles und Admet eine Episode
der Kyprien oder eines eben aufgeführten attischen Dramas ins
praktische Leben übersetzt haben, wie das allerdings schon im
Altertum einige Historiker gethan zu haben scheinen (Plutarch
Themist. 25), so wird man sich in diesem Falle der Vermutung
Geels zuneigen müssen, dass Aischylos ein Ereignis aus dem
Leben des Themistokles, wie es sich wirklich begeben hatte oder
wie es wenigstens das Gerücht erzählte, auf Telephos übertragen
habe, vielleicht mit einer ganz bestimmten politischen Tendenz.
In diesem Falle wäre also die Episode in den Kyprien nicht vor-
gekommen und die poetische Quelle für das Vasenbild würde
Aischylos sein. Oder die Episode gehört bereits der Themistokles-
legende 15), dann natürlich in ihrem frühesten Stadium an; dann
ist sie von Telephos auf Themistokles übertragen, und dann ist es
weit wahrscheinlicher, dass die Volksphantasie aus alter epischer
Überlieferung als aus junger dramatischer Erfindung schöpfte.
Wer den starken Trieb schon des fünften Jahrhunderts zur
Legendenbildung kennt, wird nicht umhin können, die letztere
Annahme für die weitaus wahrscheinlichere zu halten. So darf
also das Epos mindestens mit demselben Recht, wie Aischylos,
für die poetische Quelle der Darstellung auf der Londoner Vase
gelten.

Nähere Prüfung hat also gezeigt, dass Einwirkung des
attischen Dramas auf die Vasenmalerei des fünften Jahrhunderts
in keinem einzigen Falle wirklich erwiesen ist, und man also
kein Recht hat, wie es so häufig geschieht, eine solche ohne
weiteres zu postulieren und rotfigurige Vasen strengen Stiles zur
Rekonstruktion von Dramen zu verwenden.



15) So urteilt auch Mommsen, Römische Forschungen I S. 118. 146.

Entweder die Episode aus dem Leben des Themistokles ist
historisch; da man sich nun schwerlich zu der Annahme wird
entschlieſsen können, daſs Themistokles und Admet eine Episode
der Kyprien oder eines eben aufgeführten attischen Dramas ins
praktische Leben übersetzt haben, wie das allerdings schon im
Altertum einige Historiker gethan zu haben scheinen (Plutarch
Themist. 25), so wird man sich in diesem Falle der Vermutung
Geels zuneigen müssen, daſs Aischylos ein Ereignis aus dem
Leben des Themistokles, wie es sich wirklich begeben hatte oder
wie es wenigstens das Gerücht erzählte, auf Telephos übertragen
habe, vielleicht mit einer ganz bestimmten politischen Tendenz.
In diesem Falle wäre also die Episode in den Kyprien nicht vor-
gekommen und die poetische Quelle für das Vasenbild würde
Aischylos sein. Oder die Episode gehört bereits der Themistokles-
legende 15), dann natürlich in ihrem frühesten Stadium an; dann
ist sie von Telephos auf Themistokles übertragen, und dann ist es
weit wahrscheinlicher, daſs die Volksphantasie aus alter epischer
Überlieferung als aus junger dramatischer Erfindung schöpfte.
Wer den starken Trieb schon des fünften Jahrhunderts zur
Legendenbildung kennt, wird nicht umhin können, die letztere
Annahme für die weitaus wahrscheinlichere zu halten. So darf
also das Epos mindestens mit demselben Recht, wie Aischylos,
für die poetische Quelle der Darstellung auf der Londoner Vase
gelten.

Nähere Prüfung hat also gezeigt, daſs Einwirkung des
attischen Dramas auf die Vasenmalerei des fünften Jahrhunderts
in keinem einzigen Falle wirklich erwiesen ist, und man also
kein Recht hat, wie es so häufig geschieht, eine solche ohne
weiteres zu postulieren und rotfigurige Vasen strengen Stiles zur
Rekonstruktion von Dramen zu verwenden.



15) So urteilt auch Mommsen, Römische Forschungen I S. 118. 146.
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[148/0162] Entweder die Episode aus dem Leben des Themistokles ist historisch; da man sich nun schwerlich zu der Annahme wird entschlieſsen können, daſs Themistokles und Admet eine Episode der Kyprien oder eines eben aufgeführten attischen Dramas ins praktische Leben übersetzt haben, wie das allerdings schon im Altertum einige Historiker gethan zu haben scheinen (Plutarch Themist. 25), so wird man sich in diesem Falle der Vermutung Geels zuneigen müssen, daſs Aischylos ein Ereignis aus dem Leben des Themistokles, wie es sich wirklich begeben hatte oder wie es wenigstens das Gerücht erzählte, auf Telephos übertragen habe, vielleicht mit einer ganz bestimmten politischen Tendenz. In diesem Falle wäre also die Episode in den Kyprien nicht vor- gekommen und die poetische Quelle für das Vasenbild würde Aischylos sein. Oder die Episode gehört bereits der Themistokles- legende 15), dann natürlich in ihrem frühesten Stadium an; dann ist sie von Telephos auf Themistokles übertragen, und dann ist es weit wahrscheinlicher, daſs die Volksphantasie aus alter epischer Überlieferung als aus junger dramatischer Erfindung schöpfte. Wer den starken Trieb schon des fünften Jahrhunderts zur Legendenbildung kennt, wird nicht umhin können, die letztere Annahme für die weitaus wahrscheinlichere zu halten. So darf also das Epos mindestens mit demselben Recht, wie Aischylos, für die poetische Quelle der Darstellung auf der Londoner Vase gelten. Nähere Prüfung hat also gezeigt, daſs Einwirkung des attischen Dramas auf die Vasenmalerei des fünften Jahrhunderts in keinem einzigen Falle wirklich erwiesen ist, und man also kein Recht hat, wie es so häufig geschieht, eine solche ohne weiteres zu postulieren und rotfigurige Vasen strengen Stiles zur Rekonstruktion von Dramen zu verwenden. 15) So urteilt auch Mommsen, Römische Forschungen I S. 118. 146.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/162>, abgerufen am 25.04.2024.