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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Verbindung von Laokoons Tod mit dem Auszug des Aineias, und
diese Verbindung war auch augenscheinlich für die Form der
Sage bestimmend; denn das teras symbolisiert das Schicksal
Troias und des Geschlechtes des Tros; wie Laokoon und sein
einer Sohn untergeht, so auch Troia und das Geschlecht des
Priamos, d. h. der auf Ilos, den ältesten Sohn des Tros, zurück-
gehende Zweig; aber wie der jüngere Laokoonsohn gerettet wird,
so zieht, durch das teras gewarnt, Aineias und sein Geschlecht,
d. h. der auf Assarakos, den jüngeren Sohn des Tros, zurück-
gehende Zweig, aus der Stadt aus und wird gerettet. Ent-
sprechend der Zahl der Opfer werden zwei Schlangen eingeführt.
Ob und in welcher Weise Arktinos den geretteten Laokoontiden
verwante, ob er ihn mit Aineias ausziehen oder in der Nykto-
machie umkommen liess, entzieht sich unserer Kenntnis, und ist
auch im Grunde ziemlich gleichgültig. Das Wesentliche ist, dass
die ganze Episode nur um des Aineias Willen eingefügt gewesen
zu sein scheint, es ist deshalb weder notwendig noch nach der
Verfahrungsweise des Epos wahrscheinlich, dass der Untergang
des Laokoon durch eine von ihm begangene Schuld noch beson-
ders motiviert war.

Nach langem Zwischenraum finden wir die Sage dann wieder
bei Bakchylides; wir lesen darüber in den vortrefflichen Vergil-
scholien des Fuldensis zur Aen. II 201: Sane Bacchylides de Lao-
coonte et uxore eius vel de serpentibus a Calydnis insulis
venientibus atque in homines conversis dicit,
Worte, die, so
kaum verständlich, erst im Verlauf der Untersuchung Licht er-
halten werden.

Wir gehen deshalb gleich zum Laokoon des Sophokles
über, einem Stück, von dem kürzlich vermutet worden ist, dass
es "das Dramatische des Stoffes aus der epischen Erzählung
poetisch einheitlicher und abgeschlossener herausgehoben und den
bildenden Künstlern gewissermassen vorgebildet, dazu die Sage
ethisch tiefer begründet haben möge", während von anderer Seite
versichert wird, "dass eben durch den Laokoon des Sophokles
alle Kunstdarstellungen der Sage inspiriert worden seien". Dar-
nach könnte es scheinen, als ob wir über den Inhalt dieser Tra-

Philolog. Untersuchungen V. 13

Verbindung von Laokoons Tod mit dem Auszug des Aineias, und
diese Verbindung war auch augenscheinlich für die Form der
Sage bestimmend; denn das τέρας symbolisiert das Schicksal
Troias und des Geschlechtes des Tros; wie Laokoon und sein
einer Sohn untergeht, so auch Troia und das Geschlecht des
Priamos, d. h. der auf Ilos, den ältesten Sohn des Tros, zurück-
gehende Zweig; aber wie der jüngere Laokoonsohn gerettet wird,
so zieht, durch das τέρας gewarnt, Aineias und sein Geschlecht,
d. h. der auf Assarakos, den jüngeren Sohn des Tros, zurück-
gehende Zweig, aus der Stadt aus und wird gerettet. Ent-
sprechend der Zahl der Opfer werden zwei Schlangen eingeführt.
Ob und in welcher Weise Arktinos den geretteten Laokoontiden
verwante, ob er ihn mit Aineias ausziehen oder in der Nykto-
machie umkommen lieſs, entzieht sich unserer Kenntnis, und ist
auch im Grunde ziemlich gleichgültig. Das Wesentliche ist, daſs
die ganze Episode nur um des Aineias Willen eingefügt gewesen
zu sein scheint, es ist deshalb weder notwendig noch nach der
Verfahrungsweise des Epos wahrscheinlich, daſs der Untergang
des Laokoon durch eine von ihm begangene Schuld noch beson-
ders motiviert war.

Nach langem Zwischenraum finden wir die Sage dann wieder
bei Bakchylides; wir lesen darüber in den vortrefflichen Vergil-
scholien des Fuldensis zur Aen. II 201: Sane Bacchylides de Lao-
coonte et uxore eius vel de serpentibus a Calydnis insulis
venientibus atque in homines conversis dicit,
Worte, die, so
kaum verständlich, erst im Verlauf der Untersuchung Licht er-
halten werden.

Wir gehen deshalb gleich zum Laokoon des Sophokles
über, einem Stück, von dem kürzlich vermutet worden ist, daſs
es „das Dramatische des Stoffes aus der epischen Erzählung
poetisch einheitlicher und abgeschlossener herausgehoben und den
bildenden Künstlern gewissermaſsen vorgebildet, dazu die Sage
ethisch tiefer begründet haben möge“, während von anderer Seite
versichert wird, „daſs eben durch den Laokoon des Sophokles
alle Kunstdarstellungen der Sage inspiriert worden seien“. Dar-
nach könnte es scheinen, als ob wir über den Inhalt dieser Tra-

Philolog. Untersuchungen V. 13
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[193/0207] Verbindung von Laokoons Tod mit dem Auszug des Aineias, und diese Verbindung war auch augenscheinlich für die Form der Sage bestimmend; denn das τέρας symbolisiert das Schicksal Troias und des Geschlechtes des Tros; wie Laokoon und sein einer Sohn untergeht, so auch Troia und das Geschlecht des Priamos, d. h. der auf Ilos, den ältesten Sohn des Tros, zurück- gehende Zweig; aber wie der jüngere Laokoonsohn gerettet wird, so zieht, durch das τέρας gewarnt, Aineias und sein Geschlecht, d. h. der auf Assarakos, den jüngeren Sohn des Tros, zurück- gehende Zweig, aus der Stadt aus und wird gerettet. Ent- sprechend der Zahl der Opfer werden zwei Schlangen eingeführt. Ob und in welcher Weise Arktinos den geretteten Laokoontiden verwante, ob er ihn mit Aineias ausziehen oder in der Nykto- machie umkommen lieſs, entzieht sich unserer Kenntnis, und ist auch im Grunde ziemlich gleichgültig. Das Wesentliche ist, daſs die ganze Episode nur um des Aineias Willen eingefügt gewesen zu sein scheint, es ist deshalb weder notwendig noch nach der Verfahrungsweise des Epos wahrscheinlich, daſs der Untergang des Laokoon durch eine von ihm begangene Schuld noch beson- ders motiviert war. Nach langem Zwischenraum finden wir die Sage dann wieder bei Bakchylides; wir lesen darüber in den vortrefflichen Vergil- scholien des Fuldensis zur Aen. II 201: Sane Bacchylides de Lao- coonte et uxore eius vel de serpentibus a Calydnis insulis venientibus atque in homines conversis dicit, Worte, die, so kaum verständlich, erst im Verlauf der Untersuchung Licht er- halten werden. Wir gehen deshalb gleich zum Laokoon des Sophokles über, einem Stück, von dem kürzlich vermutet worden ist, daſs es „das Dramatische des Stoffes aus der epischen Erzählung poetisch einheitlicher und abgeschlossener herausgehoben und den bildenden Künstlern gewissermaſsen vorgebildet, dazu die Sage ethisch tiefer begründet haben möge“, während von anderer Seite versichert wird, „daſs eben durch den Laokoon des Sophokles alle Kunstdarstellungen der Sage inspiriert worden seien“. Dar- nach könnte es scheinen, als ob wir über den Inhalt dieser Tra- Philolog. Untersuchungen V. 13

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/207>, abgerufen am 28.03.2024.