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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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in heftigen thätlichen Streit gerieten, so dass es nur mit Mühe
Agamemnon und den übrigen Achaiern gelang, sie zu trennen. Es
wird beschlossen, den Streit durch Abstimmung zu entscheiden,
bei welcher dann Odysseus siegt. Es ist klar, dass diese oder eine
sehr ähnliche Sagenversion die Voraussetzung des sophokleischen
Aias bildet; sie ist so bekannt, dass Sophokles es unterlassen
kann, den Vorgang überhaupt zu erzählen. Behandelt hatte die
Sage bekanntlich auch Aischylos in der Oplon krisis. Die
äusserst dürftigen Fragmente lassen nur erkennen, dass die
Schmähreden, wie sie die spätere Rhetorik und nach ihrem Vor-
gang die römische Tragödie und zuletzt Ovid kennt, schon im
attischen Drama vorkamen. Dass aber auch in diesem Fall nicht
etwa Aischylos die Quelle für die Vasenmalerei ist, wie man
wohl behauptet hat, beweist für die Streitscene das Vorkom-
men derselben schon in der schwarzfigurigen Vasenmalerei, für
die Abstimmung das Zeugnis des Pindar, der Nem. VIII 26 be-
reits diese Sagenversion kennt, wenn er sagt:

kruphiaisi gar en psaphois Odusse Danaoi therapeusan,
khruseon d Aias steretheis oplon phono palaisen.

Diese einfache Fassung sind wir nun wohl berechtigt auch
für die älteste zu halten und für die Aithiopis vorauszusetzen;
die sehr gekünstelte Fassung der kleinen Ilias ist gewiss nicht
ursprünglich, sondern aus dem Bestreben hervorgegangen, die
frühere poetische Behandlung zu überbieten. Dass der Inter-
polator von Odyssee l 547 gerade diese Version im Sinne hat,
sich aber ungeschickt ausdrückt, scheint mir klar. Die Erklärung
des Scholiasten, dass Agamemnon die gefangenen Troer habe
richten lassen, ist augenscheinlich erst aus dem Odysseevers er-
schlossen. In keinem Falle haben wir ein Recht, dieselbe für
Arktinos vorauszusetzen.



in heftigen thätlichen Streit gerieten, so daſs es nur mit Mühe
Agamemnon und den übrigen Achaiern gelang, sie zu trennen. Es
wird beschlossen, den Streit durch Abstimmung zu entscheiden,
bei welcher dann Odysseus siegt. Es ist klar, daſs diese oder eine
sehr ähnliche Sagenversion die Voraussetzung des sophokleischen
Aias bildet; sie ist so bekannt, daſs Sophokles es unterlassen
kann, den Vorgang überhaupt zu erzählen. Behandelt hatte die
Sage bekanntlich auch Aischylos in der Ὅπλων κρίσις. Die
äuſserst dürftigen Fragmente lassen nur erkennen, daſs die
Schmähreden, wie sie die spätere Rhetorik und nach ihrem Vor-
gang die römische Tragödie und zuletzt Ovid kennt, schon im
attischen Drama vorkamen. Daſs aber auch in diesem Fall nicht
etwa Aischylos die Quelle für die Vasenmalerei ist, wie man
wohl behauptet hat, beweist für die Streitscene das Vorkom-
men derselben schon in der schwarzfigurigen Vasenmalerei, für
die Abstimmung das Zeugnis des Pindar, der Nem. VIII 26 be-
reits diese Sagenversion kennt, wenn er sagt:

κρυφίαισι γὰρ ἐν ψάφοις Ὀδυσσῆ Δαναοὶ ϑεράπευσαν,
χρυσέων δ̕ Αἴας στερηϑεὶς ὅπλων φόνῳ πάλαισεν.

Diese einfache Fassung sind wir nun wohl berechtigt auch
für die älteste zu halten und für die Aithiopis vorauszusetzen;
die sehr gekünstelte Fassung der kleinen Ilias ist gewiſs nicht
ursprünglich, sondern aus dem Bestreben hervorgegangen, die
frühere poetische Behandlung zu überbieten. Daſs der Inter-
polator von Odyssee λ 547 gerade diese Version im Sinne hat,
sich aber ungeschickt ausdrückt, scheint mir klar. Die Erklärung
des Scholiasten, daſs Agamemnon die gefangenen Troer habe
richten lassen, ist augenscheinlich erst aus dem Odysseevers er-
schlossen. In keinem Falle haben wir ein Recht, dieselbe für
Arktinos vorauszusetzen.



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[221/0235] in heftigen thätlichen Streit gerieten, so daſs es nur mit Mühe Agamemnon und den übrigen Achaiern gelang, sie zu trennen. Es wird beschlossen, den Streit durch Abstimmung zu entscheiden, bei welcher dann Odysseus siegt. Es ist klar, daſs diese oder eine sehr ähnliche Sagenversion die Voraussetzung des sophokleischen Aias bildet; sie ist so bekannt, daſs Sophokles es unterlassen kann, den Vorgang überhaupt zu erzählen. Behandelt hatte die Sage bekanntlich auch Aischylos in der Ὅπλων κρίσις. Die äuſserst dürftigen Fragmente lassen nur erkennen, daſs die Schmähreden, wie sie die spätere Rhetorik und nach ihrem Vor- gang die römische Tragödie und zuletzt Ovid kennt, schon im attischen Drama vorkamen. Daſs aber auch in diesem Fall nicht etwa Aischylos die Quelle für die Vasenmalerei ist, wie man wohl behauptet hat, beweist für die Streitscene das Vorkom- men derselben schon in der schwarzfigurigen Vasenmalerei, für die Abstimmung das Zeugnis des Pindar, der Nem. VIII 26 be- reits diese Sagenversion kennt, wenn er sagt: κρυφίαισι γὰρ ἐν ψάφοις Ὀδυσσῆ Δαναοὶ ϑεράπευσαν, χρυσέων δ̕ Αἴας στερηϑεὶς ὅπλων φόνῳ πάλαισεν. Diese einfache Fassung sind wir nun wohl berechtigt auch für die älteste zu halten und für die Aithiopis vorauszusetzen; die sehr gekünstelte Fassung der kleinen Ilias ist gewiſs nicht ursprünglich, sondern aus dem Bestreben hervorgegangen, die frühere poetische Behandlung zu überbieten. Daſs der Inter- polator von Odyssee λ 547 gerade diese Version im Sinne hat, sich aber ungeschickt ausdrückt, scheint mir klar. Die Erklärung des Scholiasten, daſs Agamemnon die gefangenen Troer habe richten lassen, ist augenscheinlich erst aus dem Odysseevers er- schlossen. In keinem Falle haben wir ein Recht, dieselbe für Arktinos vorauszusetzen.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/235>, abgerufen am 25.04.2024.