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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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II. Theil. III. Capitul.
anständiges bey sich führen. Befindet er nun bey
Erforschung dieser und anderer Umstände, daß es
ihm an einem und andern, was zu Ablegung einer
geschickten Rede vonnöthen, noch fehlt, so laß er
lieber einen andern seine Stelle vertreten, biß er zu
einem höhern Grad der Geschicklichkeit gekom-
men.

§. 2. Es wäre gut, wenn junge Leute fein bey
Zeiten zu einer natürlichen Beredsamkeit angeführt
würden, wenn sie sich gewöhnten bey Ausarbei-
tung der Reden, mehr der natürlichen Leitung des
Verstandes, als der Kunst zu folgen, ihre Sachen
ordentlich vorzutragen, die Sätze mit tüchtigen Be-
weiß-Gründen zu untersuchen, die Materien, wie sie
mit einander verwandt sind, und aus einander flies-
sen, gehörig zu verbinden, und den Worten ihren
natürlichen Gang und Lauf zu lassen. Durch
diese Methode würden sie es in der Beredsamkeit
viel weiter bringen, und in ihren Reden viel freymü-
thiger seyn, als so, da sie es meistentheils auf das
Gedächtniß ankommen lassen. Sammleten sie
sich nach und nach einen Vorrath ein von man-
cherley guten und ausgesuchten Wörtern und Re-
dens-Arten, und von unterschiedenen Verbin-
dungs-Wörterchen, und brächten ihre Worte fein
bedächtig und mit einer langsamen Aussprache vor,
so würden sie sich nachgehends aus dem Stegreif
zu helffen wissen, und wenn sie schon etwas anders
vorbrächten, als sie vorher in das Concept nie-
dergeschrieben. Es ist ja besser, daß sie ein und

ander

II. Theil. III. Capitul.
anſtaͤndiges bey ſich fuͤhren. Befindet er nun bey
Erforſchung dieſer und anderer Umſtaͤnde, daß es
ihm an einem und andern, was zu Ablegung einer
geſchickten Rede vonnoͤthen, noch fehlt, ſo laß er
lieber einen andern ſeine Stelle vertreten, biß er zu
einem hoͤhern Grad der Geſchicklichkeit gekom-
men.

§. 2. Es waͤre gut, wenn junge Leute fein bey
Zeiten zu einer natuͤrlichen Beredſamkeit angefuͤhrt
wuͤrden, wenn ſie ſich gewoͤhnten bey Ausarbei-
tung der Reden, mehr der natuͤrlichen Leitung des
Verſtandes, als der Kunſt zu folgen, ihre Sachen
ordentlich vorzutragen, die Saͤtze mit tuͤchtigen Be-
weiß-Gruͤnden zu unterſuchen, die Materien, wie ſie
mit einander verwandt ſind, und aus einander flieſ-
ſen, gehoͤrig zu verbinden, und den Worten ihren
natuͤrlichen Gang und Lauf zu laſſen. Durch
dieſe Methode wuͤrden ſie es in der Beredſamkeit
viel weiter bringen, und in ihren Reden viel freymuͤ-
thiger ſeyn, als ſo, da ſie es meiſtentheils auf das
Gedaͤchtniß ankommen laſſen. Sammleten ſie
ſich nach und nach einen Vorrath ein von man-
cherley guten und ausgeſuchten Woͤrtern und Re-
dens-Arten, und von unterſchiedenen Verbin-
dungs-Woͤrterchen, und braͤchten ihre Worte fein
bedaͤchtig und mit einer langſamen Ausſprache vor,
ſo wuͤrden ſie ſich nachgehends aus dem Stegreif
zu helffen wiſſen, und wenn ſie ſchon etwas anders
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dergeſchrieben. Es iſt ja beſſer, daß ſie ein und

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[302/0322] II. Theil. III. Capitul. anſtaͤndiges bey ſich fuͤhren. Befindet er nun bey Erforſchung dieſer und anderer Umſtaͤnde, daß es ihm an einem und andern, was zu Ablegung einer geſchickten Rede vonnoͤthen, noch fehlt, ſo laß er lieber einen andern ſeine Stelle vertreten, biß er zu einem hoͤhern Grad der Geſchicklichkeit gekom- men. §. 2. Es waͤre gut, wenn junge Leute fein bey Zeiten zu einer natuͤrlichen Beredſamkeit angefuͤhrt wuͤrden, wenn ſie ſich gewoͤhnten bey Ausarbei- tung der Reden, mehr der natuͤrlichen Leitung des Verſtandes, als der Kunſt zu folgen, ihre Sachen ordentlich vorzutragen, die Saͤtze mit tuͤchtigen Be- weiß-Gruͤnden zu unterſuchen, die Materien, wie ſie mit einander verwandt ſind, und aus einander flieſ- ſen, gehoͤrig zu verbinden, und den Worten ihren natuͤrlichen Gang und Lauf zu laſſen. Durch dieſe Methode wuͤrden ſie es in der Beredſamkeit viel weiter bringen, und in ihren Reden viel freymuͤ- thiger ſeyn, als ſo, da ſie es meiſtentheils auf das Gedaͤchtniß ankommen laſſen. Sammleten ſie ſich nach und nach einen Vorrath ein von man- cherley guten und ausgeſuchten Woͤrtern und Re- dens-Arten, und von unterſchiedenen Verbin- dungs-Woͤrterchen, und braͤchten ihre Worte fein bedaͤchtig und mit einer langſamen Ausſprache vor, ſo wuͤrden ſie ſich nachgehends aus dem Stegreif zu helffen wiſſen, und wenn ſie ſchon etwas anders vorbraͤchten, als ſie vorher in das Concept nie- dergeſchrieben. Es iſt ja beſſer, daß ſie ein und ander

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/322>, abgerufen am 19.04.2024.