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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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gräßlich werden. Das Schwächliche dagegen stellt seine
Endlichkeit in der Ohnmacht des Hervorbringens, in der
Passivität des Duldens und Leidens heraus.

Die Schwäche an sich ist noch nicht häßlich, so wenig,
als die Kleinheit an sich häßlich ist. Sie wird es erst, wenn
sie da erscheint, wo die Kraft erwartet wird. Die Freiheit
als die Seele aller wahren Schönheit manifestirt ihre Macht
im Schaffen und Zerstören oder im Widerstand gegen eine
Macht; die Schwäche zeigt ihre Unkraft in der Unfruchtbar¬
keit ihres Thuns, in der Nachgibigkeit gegen die Gewalt, in
dem absoluten Bestimmtwerden. Eine schwächliche Phantasie,
ein schwächlicher Witz, ein schwächliches Colorit, ein schwäch¬
licher Ton, eine matte Diction, sind etwas Anderes, als
eine zarte Phantasie, als ein feiner Witz, als ein sanftes
Colorit, als ein weicher Ton, als eine leichte Diction. Das
dynamisch Erhabene äußert seine Macht als eine absolute, ihr
Handeln von sich anfangende. Die Selbstbestimmung kann,
was ihre reale Vermittlung betrifft, ein Schein sein, ästhetisch
aber muß sie als solche sich darstellen. Sehen wir, wie ein
Krahn aus einem Schiffsraum eine große Last emporhebt,
so finden wir darin nichts Erhabenes, weil der Anblick der
Maschine jeden Gedanken an irgend welche freie Bewegung
entfernt. Wirft dagegen ein Vulcan Lavagüsse, Steine,
Aschenregen aus seinem Innern heraus, so ist dies ein er¬
habenes Schauspiel, weil hier ein freier elementarischer Proceß
vorhanden ist; die elastische Spannung der Dämpfe im Erd¬
innern wirkt auch mechanisch, allein mit einer spontanen
Gewalt. Nun wäre es sehr ungeschickt, zu folgern, daß
eine Maschine, weil sie nicht den Eindruck des Erhabenen
macht, den des Schwächlichen mit sich führen müßte. Dies
ist nicht der Fall; sie erscheint auch in ihren größten Leistun¬

gräßlich werden. Das Schwächliche dagegen ſtellt ſeine
Endlichkeit in der Ohnmacht des Hervorbringens, in der
Paſſivität des Duldens und Leidens heraus.

Die Schwäche an ſich iſt noch nicht häßlich, ſo wenig,
als die Kleinheit an ſich häßlich iſt. Sie wird es erſt, wenn
ſie da erſcheint, wo die Kraft erwartet wird. Die Freiheit
als die Seele aller wahren Schönheit manifeſtirt ihre Macht
im Schaffen und Zerſtören oder im Widerſtand gegen eine
Macht; die Schwäche zeigt ihre Unkraft in der Unfruchtbar¬
keit ihres Thuns, in der Nachgibigkeit gegen die Gewalt, in
dem abſoluten Beſtimmtwerden. Eine ſchwächliche Phantaſie,
ein ſchwächlicher Witz, ein ſchwächliches Colorit, ein ſchwäch¬
licher Ton, eine matte Diction, ſind etwas Anderes, als
eine zarte Phantaſie, als ein feiner Witz, als ein ſanftes
Colorit, als ein weicher Ton, als eine leichte Diction. Das
dynamiſch Erhabene äußert ſeine Macht als eine abſolute, ihr
Handeln von ſich anfangende. Die Selbſtbeſtimmung kann,
was ihre reale Vermittlung betrifft, ein Schein ſein, äſthetiſch
aber muß ſie als ſolche ſich darſtellen. Sehen wir, wie ein
Krahn aus einem Schiffsraum eine große Laſt emporhebt,
ſo finden wir darin nichts Erhabenes, weil der Anblick der
Maſchine jeden Gedanken an irgend welche freie Bewegung
entfernt. Wirft dagegen ein Vulcan Lavagüſſe, Steine,
Aſchenregen aus ſeinem Innern heraus, ſo iſt dies ein er¬
habenes Schauſpiel, weil hier ein freier elementariſcher Proceß
vorhanden iſt; die elaſtiſche Spannung der Dämpfe im Erd¬
innern wirkt auch mechaniſch, allein mit einer ſpontanen
Gewalt. Nun wäre es ſehr ungeſchickt, zu folgern, daß
eine Maſchine, weil ſie nicht den Eindruck des Erhabenen
macht, den des Schwächlichen mit ſich führen müßte. Dies
iſt nicht der Fall; ſie erſcheint auch in ihren größten Leiſtun¬

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[187/0209] gräßlich werden. Das Schwächliche dagegen ſtellt ſeine Endlichkeit in der Ohnmacht des Hervorbringens, in der Paſſivität des Duldens und Leidens heraus. Die Schwäche an ſich iſt noch nicht häßlich, ſo wenig, als die Kleinheit an ſich häßlich iſt. Sie wird es erſt, wenn ſie da erſcheint, wo die Kraft erwartet wird. Die Freiheit als die Seele aller wahren Schönheit manifeſtirt ihre Macht im Schaffen und Zerſtören oder im Widerſtand gegen eine Macht; die Schwäche zeigt ihre Unkraft in der Unfruchtbar¬ keit ihres Thuns, in der Nachgibigkeit gegen die Gewalt, in dem abſoluten Beſtimmtwerden. Eine ſchwächliche Phantaſie, ein ſchwächlicher Witz, ein ſchwächliches Colorit, ein ſchwäch¬ licher Ton, eine matte Diction, ſind etwas Anderes, als eine zarte Phantaſie, als ein feiner Witz, als ein ſanftes Colorit, als ein weicher Ton, als eine leichte Diction. Das dynamiſch Erhabene äußert ſeine Macht als eine abſolute, ihr Handeln von ſich anfangende. Die Selbſtbeſtimmung kann, was ihre reale Vermittlung betrifft, ein Schein ſein, äſthetiſch aber muß ſie als ſolche ſich darſtellen. Sehen wir, wie ein Krahn aus einem Schiffsraum eine große Laſt emporhebt, ſo finden wir darin nichts Erhabenes, weil der Anblick der Maſchine jeden Gedanken an irgend welche freie Bewegung entfernt. Wirft dagegen ein Vulcan Lavagüſſe, Steine, Aſchenregen aus ſeinem Innern heraus, ſo iſt dies ein er¬ habenes Schauſpiel, weil hier ein freier elementariſcher Proceß vorhanden iſt; die elaſtiſche Spannung der Dämpfe im Erd¬ innern wirkt auch mechaniſch, allein mit einer ſpontanen Gewalt. Nun wäre es ſehr ungeſchickt, zu folgern, daß eine Maſchine, weil ſie nicht den Eindruck des Erhabenen macht, den des Schwächlichen mit ſich führen müßte. Dies iſt nicht der Fall; ſie erſcheint auch in ihren größten Leiſtun¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/209>, abgerufen am 19.04.2024.