Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

solchen Welt. Es wird ein Schwein, das den Gästen erst
lebend vorgeführt worden, nach kurzer Zeit aufgetragen.
Es ist nicht ausgeweidet. Wüthend läßt der Herr den Koch
kommen, ihm für solche Vergessenheit, für solche Beleidigung
seiner Gäste den Kopf vor die Füße legen zu lassen. Auf
einen Wink des Herrn macht sich der Koch furchtsam an's
Ausweiden und was sind diese ekelhaften Gedärme? Man ent¬
deckt in ihnen die trefflichsten Würste, denen aber die Form
der natürlichen Eingeweide belassen worden. Alles ist enthu¬
siasmirt. Man macht dem Herrn seine Complimente, einen
solchen Koch zu besitzen und der Koch behält nicht nur sein
Leben, sondern wird sogar mit einer Silberkrone gekrönt
und mit einem Becken von Korinthischem Erz beschenkt.
Mache die Eingeweide des Schweins zu Leckerbissen und du
wirst solch ekelhaftelender Zeit ein großer Mann sein. Einen
Pätus wird sie hinrichten, aber dich wird sie mit Lorbeern
kränzen (69)! -- Der Cynismus der geschlechtlichen Ver¬
hältnisse gestattet zwischen der Natur und der entschiedenen
Unnatur noch einen Spielraum ekler Lüstelei, auf den wir
hier nicht eingehen wollen (70). Die Komik selber, wenn
sie dergleichen durch die Zote auch ins Burleske treibt, kann
doch das Häßliche nicht daraus eliminiren. Wir rechnen
hieher z. B. aus des Aristophanes Lysistrata die an
sich höchst komische Scene, wo Myrrhine die Begierden des
Kinesias aufs Außerste steigert und ihn dann stehen läßt (71).
Kommt zu solchen Situationen und Empfindungen noch das
Alter hinzu, so wächst die Widrigkeit. Horaz hat sie in
der achten Ode der Epoden geschildert (72). Die Unnatur
als die Verkehrung des Naturgesetzes durch die Freiheit oder
richtiger Frechheit des menschlichen Willens ist durchaus
ekelhaft. Die Sodomiterei, die Päderastie, die lüstern raffinir¬

ſolchen Welt. Es wird ein Schwein, das den Gäſten erſt
lebend vorgeführt worden, nach kurzer Zeit aufgetragen.
Es iſt nicht ausgeweidet. Wüthend läßt der Herr den Koch
kommen, ihm für ſolche Vergeſſenheit, für ſolche Beleidigung
ſeiner Gäſte den Kopf vor die Füße legen zu laſſen. Auf
einen Wink des Herrn macht ſich der Koch furchtſam an's
Ausweiden und was ſind dieſe ekelhaften Gedärme? Man ent¬
deckt in ihnen die trefflichſten Würſte, denen aber die Form
der natürlichen Eingeweide belaſſen worden. Alles iſt enthu¬
ſiasmirt. Man macht dem Herrn ſeine Complimente, einen
ſolchen Koch zu beſitzen und der Koch behält nicht nur ſein
Leben, ſondern wird ſogar mit einer Silberkrone gekrönt
und mit einem Becken von Korinthiſchem Erz beſchenkt.
Mache die Eingeweide des Schweins zu Leckerbiſſen und du
wirſt ſolch ekelhaftelender Zeit ein großer Mann ſein. Einen
Pätus wird ſie hinrichten, aber dich wird ſie mit Lorbeern
kränzen (69)! — Der Cynismus der geſchlechtlichen Ver¬
hältniſſe geſtattet zwiſchen der Natur und der entſchiedenen
Unnatur noch einen Spielraum ekler Lüſtelei, auf den wir
hier nicht eingehen wollen (70). Die Komik ſelber, wenn
ſie dergleichen durch die Zote auch ins Burleske treibt, kann
doch das Häßliche nicht daraus eliminiren. Wir rechnen
hieher z. B. aus des Ariſtophanes Lyſiſtrata die an
ſich höchſt komiſche Scene, wo Myrrhine die Begierden des
Kineſias aufs Außerſte ſteigert und ihn dann ſtehen läßt (71).
Kommt zu ſolchen Situationen und Empfindungen noch das
Alter hinzu, ſo wächſt die Widrigkeit. Horaz hat ſie in
der achten Ode der Epoden geſchildert (72). Die Unnatur
als die Verkehrung des Naturgeſetzes durch die Freiheit oder
richtiger Frechheit des menſchlichen Willens iſt durchaus
ekelhaft. Die Sodomiterei, die Päderaſtie, die lüſtern raffinir¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0344" n="322"/>
&#x017F;olchen Welt. Es wird ein Schwein, das den Gä&#x017F;ten er&#x017F;t<lb/>
lebend vorgeführt worden, nach kurzer Zeit aufgetragen.<lb/>
Es i&#x017F;t nicht ausgeweidet. Wüthend läßt der Herr den Koch<lb/>
kommen, ihm für &#x017F;olche Verge&#x017F;&#x017F;enheit, für &#x017F;olche Beleidigung<lb/>
&#x017F;einer Gä&#x017F;te den Kopf vor die Füße legen zu la&#x017F;&#x017F;en. Auf<lb/>
einen Wink des Herrn macht &#x017F;ich der Koch furcht&#x017F;am an's<lb/>
Ausweiden und was &#x017F;ind die&#x017F;e ekelhaften Gedärme? Man ent¬<lb/>
deckt in ihnen die trefflich&#x017F;ten Wür&#x017F;te, denen aber die Form<lb/>
der natürlichen Eingeweide bela&#x017F;&#x017F;en worden. Alles i&#x017F;t enthu¬<lb/>
&#x017F;iasmirt. Man macht dem Herrn &#x017F;eine Complimente, einen<lb/>
&#x017F;olchen Koch zu be&#x017F;itzen und der Koch behält nicht nur &#x017F;ein<lb/>
Leben, &#x017F;ondern wird &#x017F;ogar mit einer Silberkrone gekrönt<lb/>
und mit einem Becken von Korinthi&#x017F;chem Erz be&#x017F;chenkt.<lb/>
Mache die Eingeweide des Schweins zu Leckerbi&#x017F;&#x017F;en und du<lb/>
wir&#x017F;t &#x017F;olch ekelhaftelender Zeit ein großer Mann &#x017F;ein. Einen<lb/>
Pätus wird &#x017F;ie hinrichten, aber dich wird &#x017F;ie mit Lorbeern<lb/>
kränzen (69)! &#x2014; Der Cynismus der ge&#x017F;chlechtlichen Ver¬<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e ge&#x017F;tattet zwi&#x017F;chen der Natur und der ent&#x017F;chiedenen<lb/>
Unnatur noch einen Spielraum ekler Lü&#x017F;telei, auf den wir<lb/>
hier nicht eingehen wollen (70). Die Komik &#x017F;elber, wenn<lb/>
&#x017F;ie dergleichen durch die Zote auch ins Burleske treibt, kann<lb/>
doch das Häßliche nicht daraus eliminiren. Wir rechnen<lb/>
hieher z. B. aus des <hi rendition="#g">Ari&#x017F;tophanes Ly&#x017F;i&#x017F;trata</hi> die an<lb/>
&#x017F;ich höch&#x017F;t komi&#x017F;che Scene, wo Myrrhine die Begierden des<lb/>
Kine&#x017F;ias aufs Außer&#x017F;te &#x017F;teigert und ihn dann &#x017F;tehen läßt (71).<lb/>
Kommt zu &#x017F;olchen Situationen und Empfindungen noch das<lb/>
Alter hinzu, &#x017F;o wäch&#x017F;t die Widrigkeit. <hi rendition="#g">Horaz</hi> hat &#x017F;ie in<lb/>
der achten Ode der Epoden ge&#x017F;childert (72). Die Unnatur<lb/>
als die Verkehrung des Naturge&#x017F;etzes durch die Freiheit oder<lb/>
richtiger Frechheit des men&#x017F;chlichen Willens i&#x017F;t durchaus<lb/>
ekelhaft. Die Sodomiterei, die Pädera&#x017F;tie, die lü&#x017F;tern raffinir¬<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[322/0344] ſolchen Welt. Es wird ein Schwein, das den Gäſten erſt lebend vorgeführt worden, nach kurzer Zeit aufgetragen. Es iſt nicht ausgeweidet. Wüthend läßt der Herr den Koch kommen, ihm für ſolche Vergeſſenheit, für ſolche Beleidigung ſeiner Gäſte den Kopf vor die Füße legen zu laſſen. Auf einen Wink des Herrn macht ſich der Koch furchtſam an's Ausweiden und was ſind dieſe ekelhaften Gedärme? Man ent¬ deckt in ihnen die trefflichſten Würſte, denen aber die Form der natürlichen Eingeweide belaſſen worden. Alles iſt enthu¬ ſiasmirt. Man macht dem Herrn ſeine Complimente, einen ſolchen Koch zu beſitzen und der Koch behält nicht nur ſein Leben, ſondern wird ſogar mit einer Silberkrone gekrönt und mit einem Becken von Korinthiſchem Erz beſchenkt. Mache die Eingeweide des Schweins zu Leckerbiſſen und du wirſt ſolch ekelhaftelender Zeit ein großer Mann ſein. Einen Pätus wird ſie hinrichten, aber dich wird ſie mit Lorbeern kränzen (69)! — Der Cynismus der geſchlechtlichen Ver¬ hältniſſe geſtattet zwiſchen der Natur und der entſchiedenen Unnatur noch einen Spielraum ekler Lüſtelei, auf den wir hier nicht eingehen wollen (70). Die Komik ſelber, wenn ſie dergleichen durch die Zote auch ins Burleske treibt, kann doch das Häßliche nicht daraus eliminiren. Wir rechnen hieher z. B. aus des Ariſtophanes Lyſiſtrata die an ſich höchſt komiſche Scene, wo Myrrhine die Begierden des Kineſias aufs Außerſte ſteigert und ihn dann ſtehen läßt (71). Kommt zu ſolchen Situationen und Empfindungen noch das Alter hinzu, ſo wächſt die Widrigkeit. Horaz hat ſie in der achten Ode der Epoden geſchildert (72). Die Unnatur als die Verkehrung des Naturgeſetzes durch die Freiheit oder richtiger Frechheit des menſchlichen Willens iſt durchaus ekelhaft. Die Sodomiterei, die Päderaſtie, die lüſtern raffinir¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/344
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/344>, abgerufen am 25.04.2024.