Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

chen, sondern "die blaue Blume" überhaupt ist. Je ab¬
stracter, desto räthselhafter. Shelley's Frau hat denn doch
wirklich tiefere Phantasieen. Wie groß tritt bei ihr die Vor¬
stellung in Frankenstein auf, durch die neue von ihm ins
Dasein gerufene Race in dem menschlichen Geschlecht auf
immer eine unaustilgliche Entzweiung zu begründen, nämlich
zwischen dem gottgeschaffenen Naturmenschen und dem vom
Calcul gemachten Kunstmenschen. Wie tief ist nicht die
Nothwendigkeit motivirt, dem häßlichen Manne folgerichtig
auch das häßliche Weib zuzueignen und mithin das Häßliche
als Norm, als Ideal der Gattung zu setzen!

Wie leicht das Spukhafte in's Komische gewendet
werden könne, ist auszuführen überflüssig, da die Satire
auf die Gespensterseherei sich oft genug mit dieser Persiflage
beschäftigt hat (78). Aber auch außerhalb der Satire hat
die Kunst das Gespenstische und Spukige oft genug zur Be¬
reitung der lächerlichsten Verwicklungen benutzt, unter welchen
der Schlußgesang von Byron's Dun Juan wohl die ele¬
ganteste, scenisch und psychologisch am Folgerechtesten durchge¬
führte Darstellung enthällt. Don Juan ist entschlossen, den
Mönch zu sehen, der im Schlosse spuken soll. Ein alter¬
thümlich meublirtes, Gothisches Zimmer, Mondschein; zwei
Pistolen auf dem Tisch; Mitternacht; sonderbares Rauschen
auf dem Corridor; es nahet sich; er ist es, der Mönch!
Zwei Feueraugen schauen aus einer verhüllten Kapuze. Don
Juan springt auf; der Mönch weicht auf den dunklern Cor¬
ridor zurück; der Ritter folgt, ergreift das Phantom, ringt
mit ihm -- und

Der Geist, -- so's einer war, -- schien süße Seele,
Süß wie sie je sich barg im Muschelhut,
Mit Grübchenkinn und Schwanenhals, als stöhle

chen, ſondern „die blaue Blume“ überhaupt iſt. Je ab¬
ſtracter, deſto räthſelhafter. Shelley's Frau hat denn doch
wirklich tiefere Phantaſieen. Wie groß tritt bei ihr die Vor¬
ſtellung in Frankenſtein auf, durch die neue von ihm ins
Daſein gerufene Raçe in dem menſchlichen Geſchlecht auf
immer eine unaustilgliche Entzweiung zu begründen, nämlich
zwiſchen dem gottgeſchaffenen Naturmenſchen und dem vom
Calcul gemachten Kunſtmenſchen. Wie tief iſt nicht die
Nothwendigkeit motivirt, dem häßlichen Manne folgerichtig
auch das häßliche Weib zuzueignen und mithin das Häßliche
als Norm, als Ideal der Gattung zu ſetzen!

Wie leicht das Spukhafte in's Komiſche gewendet
werden könne, iſt auszuführen überflüſſig, da die Satire
auf die Geſpenſterſeherei ſich oft genug mit dieſer Perſiflage
beſchäftigt hat (78). Aber auch außerhalb der Satire hat
die Kunſt das Geſpenſtiſche und Spukige oft genug zur Be¬
reitung der lächerlichſten Verwicklungen benutzt, unter welchen
der Schlußgeſang von Byron's Dun Juan wohl die ele¬
ganteſte, ſceniſch und pſychologiſch am Folgerechteſten durchge¬
führte Darſtellung enthällt. Don Juan iſt entſchloſſen, den
Mönch zu ſehen, der im Schloſſe ſpuken ſoll. Ein alter¬
thümlich meublirtes, Gothiſches Zimmer, Mondſchein; zwei
Piſtolen auf dem Tiſch; Mitternacht; ſonderbares Rauſchen
auf dem Corridor; es nahet ſich; er iſt es, der Mönch!
Zwei Feueraugen ſchauen aus einer verhüllten Kapuze. Don
Juan ſpringt auf; der Mönch weicht auf den dunklern Cor¬
ridor zurück; der Ritter folgt, ergreift das Phantom, ringt
mit ihm — und

Der Geiſt, — ſo's einer war, — ſchien ſüße Seele,
Süß wie ſie je ſich barg im Muſchelhut,
Mit Grübchenkinn und Schwanenhals, als ſtöhle
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0374" n="352"/>
chen, &#x017F;ondern &#x201E;die blaue Blume&#x201C; überhaupt i&#x017F;t. Je ab¬<lb/>
&#x017F;tracter, de&#x017F;to räth&#x017F;elhafter. Shelley's Frau hat denn doch<lb/>
wirklich tiefere Phanta&#x017F;ieen. Wie groß tritt bei ihr die Vor¬<lb/>
&#x017F;tellung in Franken&#x017F;tein auf, durch die neue von ihm ins<lb/>
Da&#x017F;ein gerufene Ra<hi rendition="#aq">ç</hi>e in dem men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;chlecht auf<lb/>
immer eine unaustilgliche Entzweiung zu begründen, nämlich<lb/>
zwi&#x017F;chen dem gottge&#x017F;chaffenen Naturmen&#x017F;chen und dem vom<lb/>
Calcul gemachten Kun&#x017F;tmen&#x017F;chen. Wie tief i&#x017F;t nicht die<lb/>
Nothwendigkeit motivirt, dem häßlichen Manne folgerichtig<lb/>
auch das häßliche Weib zuzueignen und mithin das Häßliche<lb/>
als Norm, als Ideal der Gattung zu &#x017F;etzen!</p><lb/>
                  <p>Wie leicht das Spukhafte in's Komi&#x017F;che gewendet<lb/>
werden könne, i&#x017F;t auszuführen überflü&#x017F;&#x017F;ig, da die Satire<lb/>
auf die Ge&#x017F;pen&#x017F;ter&#x017F;eherei &#x017F;ich oft genug mit die&#x017F;er Per&#x017F;iflage<lb/>
be&#x017F;chäftigt hat (78). Aber auch außerhalb der Satire hat<lb/>
die Kun&#x017F;t das Ge&#x017F;pen&#x017F;ti&#x017F;che und Spukige oft genug zur Be¬<lb/>
reitung der lächerlich&#x017F;ten Verwicklungen benutzt, unter welchen<lb/>
der Schlußge&#x017F;ang von <hi rendition="#g">Byron's</hi> Dun Juan wohl die ele¬<lb/>
gante&#x017F;te, &#x017F;ceni&#x017F;ch und p&#x017F;ychologi&#x017F;ch am Folgerechte&#x017F;ten durchge¬<lb/>
führte Dar&#x017F;tellung enthällt. Don Juan i&#x017F;t ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, den<lb/>
Mönch zu &#x017F;ehen, der im Schlo&#x017F;&#x017F;e &#x017F;puken &#x017F;oll. Ein alter¬<lb/>
thümlich meublirtes, Gothi&#x017F;ches Zimmer, Mond&#x017F;chein; zwei<lb/>
Pi&#x017F;tolen auf dem Ti&#x017F;ch; Mitternacht; &#x017F;onderbares Rau&#x017F;chen<lb/>
auf dem Corridor; es nahet &#x017F;ich; er i&#x017F;t es, der Mönch!<lb/>
Zwei Feueraugen &#x017F;chauen aus einer verhüllten Kapuze. Don<lb/>
Juan &#x017F;pringt auf; der Mönch weicht auf den dunklern Cor¬<lb/>
ridor zurück; der Ritter folgt, ergreift das Phantom, ringt<lb/>
mit ihm &#x2014; und</p><lb/>
                  <lg type="poem">
                    <l rendition="#et">Der Gei&#x017F;t, &#x2014; &#x017F;o's einer war, &#x2014; &#x017F;chien &#x017F;üße Seele,</l><lb/>
                    <l>Süß wie &#x017F;ie je &#x017F;ich barg im Mu&#x017F;chelhut,</l><lb/>
                    <l>Mit Grübchenkinn und Schwanenhals, als &#x017F;töhle</l><lb/>
                  </lg>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[352/0374] chen, ſondern „die blaue Blume“ überhaupt iſt. Je ab¬ ſtracter, deſto räthſelhafter. Shelley's Frau hat denn doch wirklich tiefere Phantaſieen. Wie groß tritt bei ihr die Vor¬ ſtellung in Frankenſtein auf, durch die neue von ihm ins Daſein gerufene Raçe in dem menſchlichen Geſchlecht auf immer eine unaustilgliche Entzweiung zu begründen, nämlich zwiſchen dem gottgeſchaffenen Naturmenſchen und dem vom Calcul gemachten Kunſtmenſchen. Wie tief iſt nicht die Nothwendigkeit motivirt, dem häßlichen Manne folgerichtig auch das häßliche Weib zuzueignen und mithin das Häßliche als Norm, als Ideal der Gattung zu ſetzen! Wie leicht das Spukhafte in's Komiſche gewendet werden könne, iſt auszuführen überflüſſig, da die Satire auf die Geſpenſterſeherei ſich oft genug mit dieſer Perſiflage beſchäftigt hat (78). Aber auch außerhalb der Satire hat die Kunſt das Geſpenſtiſche und Spukige oft genug zur Be¬ reitung der lächerlichſten Verwicklungen benutzt, unter welchen der Schlußgeſang von Byron's Dun Juan wohl die ele¬ ganteſte, ſceniſch und pſychologiſch am Folgerechteſten durchge¬ führte Darſtellung enthällt. Don Juan iſt entſchloſſen, den Mönch zu ſehen, der im Schloſſe ſpuken ſoll. Ein alter¬ thümlich meublirtes, Gothiſches Zimmer, Mondſchein; zwei Piſtolen auf dem Tiſch; Mitternacht; ſonderbares Rauſchen auf dem Corridor; es nahet ſich; er iſt es, der Mönch! Zwei Feueraugen ſchauen aus einer verhüllten Kapuze. Don Juan ſpringt auf; der Mönch weicht auf den dunklern Cor¬ ridor zurück; der Ritter folgt, ergreift das Phantom, ringt mit ihm — und Der Geiſt, — ſo's einer war, — ſchien ſüße Seele, Süß wie ſie je ſich barg im Muſchelhut, Mit Grübchenkinn und Schwanenhals, als ſtöhle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/374
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/374>, abgerufen am 29.03.2024.