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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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stimmung, um nicht solche Erscheinungen auszuschließen, die
nicht direct durch das Böse hervorgerufen werden. Durch
das Böse nämlich als ein ihnen selbst inhärirendes, denn
Banquo selber z. B. ist ja nicht böse, nicht verbrecherisch,
und doch erscheint er. Wir hoben die Ruhelosigkeit des
Todten hervor, den noch irgend ein wichtiges Interesse in
das Diesseits zurückbannt. Insofern aber das Gespenstische
zum Spuk wird, tritt es auch noch nicht geradezu in das
Gebiet des Bösen schlechthin, vielmehr in die früher von uns
betrachtete Region des Absurden ein. Das Gespenstische als
der Widerschein der innern Zerrissenheit kann ästhetisch eben
dadurch schön werden, daß es, wie Lessing richtig sagt,
Schaudern und doch Mitleid erweckt. Als mit den Vor¬
stellungen des Todes, der Verwesung, der Schuld, des Bösen
zusammenhängend, erregt es unsern Abscheu; es ist widrig;
aber als mit den ethischen Interessen verknüpft, als die
Würde der selbst über den Tod hinausgreifenden Gerechtig¬
keit darstellend, wird es zugleich von der Häßlichkeit wieder
befreiet, wie die Schattengestalt des Comthur in Mozarts
Don Juan so unvergleichlich zeigt. Der Wahnsinn hat in
seiner Selbstverlorenheit unstreitig etwas Gespenstisches an
sich. Der Verrückte ist aber umgekehrt als der Todte an
eine Vorstellung entfremdet; das Gespenst nämlich kehrt aus
dem Jenseits in das Diesseits zurück; es hat den ungeheuren
Sprung von dem einen zum andern gethan; der Verrückte
hingegen lebt noch, ist aber der Wirklichkeit durch seinen
Wahn entzogen, ist für die lebendigen Interessen der posi¬
tiven Realität krankhaft todt. Die unermeßliche Größe Sha¬
kespeare's, der das menschliche Herz in allen seinen Höhen
und Tiefen gründlichst gekannt hat, gibt uns auch hier die
trefflichsten Beispiele. Seine Lady Macbeth, wie sie des

ſtimmung, um nicht ſolche Erſcheinungen auszuſchließen, die
nicht direct durch das Böſe hervorgerufen werden. Durch
das Böſe nämlich als ein ihnen ſelbſt inhärirendes, denn
Banquo ſelber z. B. iſt ja nicht böſe, nicht verbrecheriſch,
und doch erſcheint er. Wir hoben die Ruheloſigkeit des
Todten hervor, den noch irgend ein wichtiges Intereſſe in
das Dieſſeits zurückbannt. Inſofern aber das Geſpenſtiſche
zum Spuk wird, tritt es auch noch nicht geradezu in das
Gebiet des Böſen ſchlechthin, vielmehr in die früher von uns
betrachtete Region des Abſurden ein. Das Geſpenſtiſche als
der Widerſchein der innern Zerriſſenheit kann äſthetiſch eben
dadurch ſchön werden, daß es, wie Leſſing richtig ſagt,
Schaudern und doch Mitleid erweckt. Als mit den Vor¬
ſtellungen des Todes, der Verweſung, der Schuld, des Böſen
zuſammenhängend, erregt es unſern Abſcheu; es iſt widrig;
aber als mit den ethiſchen Intereſſen verknüpft, als die
Würde der ſelbſt über den Tod hinausgreifenden Gerechtig¬
keit darſtellend, wird es zugleich von der Häßlichkeit wieder
befreiet, wie die Schattengeſtalt des Comthur in Mozarts
Don Juan ſo unvergleichlich zeigt. Der Wahnſinn hat in
ſeiner Selbſtverlorenheit unſtreitig etwas Geſpenſtiſches an
ſich. Der Verrückte iſt aber umgekehrt als der Todte an
eine Vorſtellung entfremdet; das Geſpenſt nämlich kehrt aus
dem Jenſeits in das Dieſſeits zurück; es hat den ungeheuren
Sprung von dem einen zum andern gethan; der Verrückte
hingegen lebt noch, iſt aber der Wirklichkeit durch ſeinen
Wahn entzogen, iſt für die lebendigen Intereſſen der poſi¬
tiven Realität krankhaft todt. Die unermeßliche Größe Sha¬
keſpeare's, der das menſchliche Herz in allen ſeinen Höhen
und Tiefen gründlichſt gekannt hat, gibt uns auch hier die
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[354/0376] ſtimmung, um nicht ſolche Erſcheinungen auszuſchließen, die nicht direct durch das Böſe hervorgerufen werden. Durch das Böſe nämlich als ein ihnen ſelbſt inhärirendes, denn Banquo ſelber z. B. iſt ja nicht böſe, nicht verbrecheriſch, und doch erſcheint er. Wir hoben die Ruheloſigkeit des Todten hervor, den noch irgend ein wichtiges Intereſſe in das Dieſſeits zurückbannt. Inſofern aber das Geſpenſtiſche zum Spuk wird, tritt es auch noch nicht geradezu in das Gebiet des Böſen ſchlechthin, vielmehr in die früher von uns betrachtete Region des Abſurden ein. Das Geſpenſtiſche als der Widerſchein der innern Zerriſſenheit kann äſthetiſch eben dadurch ſchön werden, daß es, wie Leſſing richtig ſagt, Schaudern und doch Mitleid erweckt. Als mit den Vor¬ ſtellungen des Todes, der Verweſung, der Schuld, des Böſen zuſammenhängend, erregt es unſern Abſcheu; es iſt widrig; aber als mit den ethiſchen Intereſſen verknüpft, als die Würde der ſelbſt über den Tod hinausgreifenden Gerechtig¬ keit darſtellend, wird es zugleich von der Häßlichkeit wieder befreiet, wie die Schattengeſtalt des Comthur in Mozarts Don Juan ſo unvergleichlich zeigt. Der Wahnſinn hat in ſeiner Selbſtverlorenheit unſtreitig etwas Geſpenſtiſches an ſich. Der Verrückte iſt aber umgekehrt als der Todte an eine Vorſtellung entfremdet; das Geſpenſt nämlich kehrt aus dem Jenſeits in das Dieſſeits zurück; es hat den ungeheuren Sprung von dem einen zum andern gethan; der Verrückte hingegen lebt noch, iſt aber der Wirklichkeit durch ſeinen Wahn entzogen, iſt für die lebendigen Intereſſen der poſi¬ tiven Realität krankhaft todt. Die unermeßliche Größe Sha¬ keſpeare's, der das menſchliche Herz in allen ſeinen Höhen und Tiefen gründlichſt gekannt hat, gibt uns auch hier die trefflichſten Beiſpiele. Seine Lady Macbeth, wie ſie des

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/376>, abgerufen am 23.04.2024.