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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Ungleichheit der Erhebung. Ein Profil der Erdrinde zeigt
uns, blos stereometrisch betrachtet, das zufälligste Durch¬
einander von Erhebung und Vertiefung in den unberechen¬
barsten Umrissen. So können wir auch von der Oberfläche
des Mondes nicht sagen, daß sie mit ihren Gewirr von
Höhen und Tiefen schön sei. Die Silberscheibe des Mondes,
aus der Ferne als ein einfacher Glanzkörper geschauet, ist
schön, allein dies Gewimmel von Kegeln, Rillen, Thälern ist
es nicht. Die Linien, welche die Weltkörper in ihrer Be¬
wegung als mannigfach elliptische in Spiralwendungen be¬
schreiben, können wir nicht als ästhetische Objecte ansehen,
weil sie nur in unsern Zeichnungen als Linien sich darstellen.
Die Unendlichkeit der Sternenmenge aber wirkt auf unsern
Gesichtssinn nicht durch die Masse, sondern durch das Licht.
Bei manchen Bewunderern des funkelnden Nachthimmels
schleicht sich auch eine gewisse Illusion der Phantasie durch
die Benennung der Sternbilder ein; die Leier, der Schwan,
das Haar der Berenike, Herkules, Perseus u. s. w. wie
schön klingt das nicht! Die neuere Astronomie ist in ihren
Benamsungen sehr prosaisch geworden, indem sie den Sex¬
tanten, das Teleskop, die Luftpumpe, die Buchdruckerwelk¬
statt und ähnliche wichtige Erfindungen in Sterngruppen
verherrlicht hat.

Daß mechanische Actionen, Stoß, Wurf, Fall,
Schwung, schön werden können, ist nicht blos durch die
Form der Bewegung, sondern auch durch die Beschaffenheit
der Objecte und den Grad ihrer Geschwindigkeit bedingt. Eine
Schaukel wird z. B. in ihrem Schwung nicht gerade häßlich,
aber auch nicht schön sein. Man stelle sich aber vor, daß
ein junges Mädchen in graciöser Haltung auf der Schaukel
in heller Frühlingsluft hin und her schwingt, so wird dies

Ungleichheit der Erhebung. Ein Profil der Erdrinde zeigt
uns, blos ſtereometriſch betrachtet, das zufälligſte Durch¬
einander von Erhebung und Vertiefung in den unberechen¬
barſten Umriſſen. So können wir auch von der Oberfläche
des Mondes nicht ſagen, daß ſie mit ihren Gewirr von
Höhen und Tiefen ſchön ſei. Die Silberſcheibe des Mondes,
aus der Ferne als ein einfacher Glanzkörper geſchauet, iſt
ſchön, allein dies Gewimmel von Kegeln, Rillen, Thälern iſt
es nicht. Die Linien, welche die Weltkörper in ihrer Be¬
wegung als mannigfach elliptiſche in Spiralwendungen be¬
ſchreiben, können wir nicht als äſthetiſche Objecte anſehen,
weil ſie nur in unſern Zeichnungen als Linien ſich darſtellen.
Die Unendlichkeit der Sternenmenge aber wirkt auf unſern
Geſichtsſinn nicht durch die Maſſe, ſondern durch das Licht.
Bei manchen Bewunderern des funkelnden Nachthimmels
ſchleicht ſich auch eine gewiſſe Illuſion der Phantaſie durch
die Benennung der Sternbilder ein; die Leier, der Schwan,
das Haar der Berenike, Herkules, Perſeus u. ſ. w. wie
ſchön klingt das nicht! Die neuere Aſtronomie iſt in ihren
Benamſungen ſehr proſaiſch geworden, indem ſie den Sex¬
tanten, das Teleskop, die Luftpumpe, die Buchdruckerwelk¬
ſtatt und ähnliche wichtige Erfindungen in Sterngruppen
verherrlicht hat.

Daß mechaniſche Actionen, Stoß, Wurf, Fall,
Schwung, ſchön werden können, iſt nicht blos durch die
Form der Bewegung, ſondern auch durch die Beſchaffenheit
der Objecte und den Grad ihrer Geſchwindigkeit bedingt. Eine
Schaukel wird z. B. in ihrem Schwung nicht gerade häßlich,
aber auch nicht ſchön ſein. Man ſtelle ſich aber vor, daß
ein junges Mädchen in graciöſer Haltung auf der Schaukel
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[16/0038] Ungleichheit der Erhebung. Ein Profil der Erdrinde zeigt uns, blos ſtereometriſch betrachtet, das zufälligſte Durch¬ einander von Erhebung und Vertiefung in den unberechen¬ barſten Umriſſen. So können wir auch von der Oberfläche des Mondes nicht ſagen, daß ſie mit ihren Gewirr von Höhen und Tiefen ſchön ſei. Die Silberſcheibe des Mondes, aus der Ferne als ein einfacher Glanzkörper geſchauet, iſt ſchön, allein dies Gewimmel von Kegeln, Rillen, Thälern iſt es nicht. Die Linien, welche die Weltkörper in ihrer Be¬ wegung als mannigfach elliptiſche in Spiralwendungen be¬ ſchreiben, können wir nicht als äſthetiſche Objecte anſehen, weil ſie nur in unſern Zeichnungen als Linien ſich darſtellen. Die Unendlichkeit der Sternenmenge aber wirkt auf unſern Geſichtsſinn nicht durch die Maſſe, ſondern durch das Licht. Bei manchen Bewunderern des funkelnden Nachthimmels ſchleicht ſich auch eine gewiſſe Illuſion der Phantaſie durch die Benennung der Sternbilder ein; die Leier, der Schwan, das Haar der Berenike, Herkules, Perſeus u. ſ. w. wie ſchön klingt das nicht! Die neuere Aſtronomie iſt in ihren Benamſungen ſehr proſaiſch geworden, indem ſie den Sex¬ tanten, das Teleskop, die Luftpumpe, die Buchdruckerwelk¬ ſtatt und ähnliche wichtige Erfindungen in Sterngruppen verherrlicht hat. Daß mechaniſche Actionen, Stoß, Wurf, Fall, Schwung, ſchön werden können, iſt nicht blos durch die Form der Bewegung, ſondern auch durch die Beſchaffenheit der Objecte und den Grad ihrer Geſchwindigkeit bedingt. Eine Schaukel wird z. B. in ihrem Schwung nicht gerade häßlich, aber auch nicht ſchön ſein. Man ſtelle ſich aber vor, daß ein junges Mädchen in graciöſer Haltung auf der Schaukel in heller Frühlingsluft hin und her ſchwingt, ſo wird dies

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/38>, abgerufen am 29.03.2024.