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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Vorstellung und dem Gedanken, in der Dichtkunst, gelangt
er zur vollkommenen Innerlichkeit und zur völligen Idealität
der Form. In diesem Stufengang wächst mit der zuneh¬
menden Freiheit, mit der größern Leichtigkeit und äußern
Mühelosigkeit der Darstellung, auch die Möglichkeit des
Häßlichen.

In der Architektur kann allerdings scheußlich gebauet
werden, wie nicht blos zahllose dem beschränkten Bedürfniß
entsprungene Gebäude, sondern wie auch viele öffentliche
Bauten, ja solche Gebäude zeigen, die ausdrücklich architek¬
tonische Prachtwerke sein sollten. Aber es ist schwer, in der
Baukunst ganz abscheulich zu sein. Wenn Göthe gesagt
hat, daß Fehler nicht gebaut werden sollen, weil sie durch
ihre Größe und Dauer den ästhetischen Sinn zu schmerzlich
beleidigen, so hat er damit angedeutet, daß die Werke der
Architektur zu ernst und zu kostbar seien, irgendwie leicht
genommen zu werden. Durch sein Material, als die massen¬
hafte Materie, fordert das Bauen immer die Ueberlegung
heraus. Es muß mindestens Sicherheit gewähren und seinem
Zweck einigermaßen entsprechen. Mit diesen beiden Nützlich¬
keitsrücksichten kommt schon von selbst immer einige Eurythmie
in das Werk. Ein Gebäude ist um so schöner, je mehr es
nach Außen die Festigkeit seiner Verhältnisse beruhigend aus¬
spricht und je mehr es in seiner Gestalt schon symbolisch den
Zweck verkündigt, dem es gewidmet ist. Manche Häuser,
aus der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts vornämlich,
sehen freilich so aus, als hätte man erst vier Mauern ge¬
bauet, sie nothdürftig überdacht und dann, wie die Schöppen¬
städter in ihrem Rathhause, von Innen her nach Laune kleine
und große Fenster ohne alle Symmetrie herausgeschlagen.
Ein größerer Bau wird jedoch immer einige Besinnung

Vorſtellung und dem Gedanken, in der Dichtkunſt, gelangt
er zur vollkommenen Innerlichkeit und zur völligen Idealität
der Form. In dieſem Stufengang wächſt mit der zuneh¬
menden Freiheit, mit der größern Leichtigkeit und äußern
Müheloſigkeit der Darſtellung, auch die Möglichkeit des
Häßlichen.

In der Architektur kann allerdings ſcheußlich gebauet
werden, wie nicht blos zahlloſe dem beſchränkten Bedürfniß
entſprungene Gebäude, ſondern wie auch viele öffentliche
Bauten, ja ſolche Gebäude zeigen, die ausdrücklich architek¬
toniſche Prachtwerke ſein ſollten. Aber es iſt ſchwer, in der
Baukunſt ganz abſcheulich zu ſein. Wenn Göthe geſagt
hat, daß Fehler nicht gebaut werden ſollen, weil ſie durch
ihre Größe und Dauer den äſthetiſchen Sinn zu ſchmerzlich
beleidigen, ſo hat er damit angedeutet, daß die Werke der
Architektur zu ernſt und zu koſtbar ſeien, irgendwie leicht
genommen zu werden. Durch ſein Material, als die maſſen¬
hafte Materie, fordert das Bauen immer die Ueberlegung
heraus. Es muß mindeſtens Sicherheit gewähren und ſeinem
Zweck einigermaßen entſprechen. Mit dieſen beiden Nützlich¬
keitsrückſichten kommt ſchon von ſelbſt immer einige Eurythmie
in das Werk. Ein Gebäude iſt um ſo ſchöner, je mehr es
nach Außen die Feſtigkeit ſeiner Verhältniſſe beruhigend aus¬
ſpricht und je mehr es in ſeiner Geſtalt ſchon ſymboliſch den
Zweck verkündigt, dem es gewidmet iſt. Manche Häuſer,
aus der erſten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts vornämlich,
ſehen freilich ſo aus, als hätte man erſt vier Mauern ge¬
bauet, ſie nothdürftig überdacht und dann, wie die Schöppen¬
ſtädter in ihrem Rathhauſe, von Innen her nach Laune kleine
und große Fenſter ohne alle Symmetrie herausgeſchlagen.
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[48/0070] Vorſtellung und dem Gedanken, in der Dichtkunſt, gelangt er zur vollkommenen Innerlichkeit und zur völligen Idealität der Form. In dieſem Stufengang wächſt mit der zuneh¬ menden Freiheit, mit der größern Leichtigkeit und äußern Müheloſigkeit der Darſtellung, auch die Möglichkeit des Häßlichen. In der Architektur kann allerdings ſcheußlich gebauet werden, wie nicht blos zahlloſe dem beſchränkten Bedürfniß entſprungene Gebäude, ſondern wie auch viele öffentliche Bauten, ja ſolche Gebäude zeigen, die ausdrücklich architek¬ toniſche Prachtwerke ſein ſollten. Aber es iſt ſchwer, in der Baukunſt ganz abſcheulich zu ſein. Wenn Göthe geſagt hat, daß Fehler nicht gebaut werden ſollen, weil ſie durch ihre Größe und Dauer den äſthetiſchen Sinn zu ſchmerzlich beleidigen, ſo hat er damit angedeutet, daß die Werke der Architektur zu ernſt und zu koſtbar ſeien, irgendwie leicht genommen zu werden. Durch ſein Material, als die maſſen¬ hafte Materie, fordert das Bauen immer die Ueberlegung heraus. Es muß mindeſtens Sicherheit gewähren und ſeinem Zweck einigermaßen entſprechen. Mit dieſen beiden Nützlich¬ keitsrückſichten kommt ſchon von ſelbſt immer einige Eurythmie in das Werk. Ein Gebäude iſt um ſo ſchöner, je mehr es nach Außen die Feſtigkeit ſeiner Verhältniſſe beruhigend aus¬ ſpricht und je mehr es in ſeiner Geſtalt ſchon ſymboliſch den Zweck verkündigt, dem es gewidmet iſt. Manche Häuſer, aus der erſten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts vornämlich, ſehen freilich ſo aus, als hätte man erſt vier Mauern ge¬ bauet, ſie nothdürftig überdacht und dann, wie die Schöppen¬ ſtädter in ihrem Rathhauſe, von Innen her nach Laune kleine und große Fenſter ohne alle Symmetrie herausgeſchlagen. Ein größerer Bau wird jedoch immer einige Beſinnung

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/70>, abgerufen am 16.04.2024.