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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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II. Der Kampf der Theile im Organismus.
lang oder dauernd leben bleiben und eventuell weiter wachsen.
Aber viel grösser ist bekanntlich diese Fähigkeit bei denjenigen
Organismen, welche dem Vorgange den Namen gegeben haben,
bei den Pflanzen, wo ganze Organcomplexe, Knospen, über-
tragbar sind und ein abgeschnittener Zweig sich zu einem
selbständigen Stock entwickelt.

Virchow1) spricht danach folgendes Urtheil aus:

"Wenn es möglich ist, aus dem Verbande des menschlichen
Körpers gewisse Elemente oder Gruppen von Elementen zu
trennen, ohne dass sie aufhören, Lebenseigenschaften zu äussern
und sich zu erhalten, so folgt daraus, dass jener Verband nicht
in dem hergebrachten Sinne ein einheitlicher, sondern vielmehr
ein gesellschaftlicher oder genauer ein genossenschaftlicher
(socialer) ist. Aus demselben können Elemente oder Elemen-
targruppen ausscheiden, ohne dass der Bestand der Genossen-
schaft vernichtet wird; ja der Eintritt kann sogar die Wirkung
haben, die Genossenschaft aufzubessern und zu stärken."

Ausser diesem Beweise, dass viele Theile nicht in abso-
luter Abhängigkeit von dem Ganzen stehen, spricht sich eine
gewisse individuelle Freiheit derselben schon in der embryona-
len Entwickelung dadurch aus, dass die vererbten Formenbil-
dungen nicht durch eine vererbte Normirung der Leistungen
jeder einzelnen Zelle, sondern blos nach allgemeinen Normen
für die Grösse, Gestalt, Structur und Leistung jedes Organes
hergestellt werden, so dass für die Einzelausführung, für den
Aufbau aus den einzelnen Zellen ein gewisser Spielraum bleibt,
innerhalb dessen sich das Geschehen gegenseitig selber regulirt.

Dies erkennen wir aus der Ungleichheit der Theile jedes
Organes. Keine Leberzelle gleicht vollkommen in Grösse und
Gestalt der andern, und doch fügen sie sich alle zu dem nach

1) l. c. Bd. 79. p. 186.

II. Der Kampf der Theile im Organismus.
lang oder dauernd leben bleiben und eventuell weiter wachsen.
Aber viel grösser ist bekanntlich diese Fähigkeit bei denjenigen
Organismen, welche dem Vorgange den Namen gegeben haben,
bei den Pflanzen, wo ganze Organcomplexe, Knospen, über-
tragbar sind und ein abgeschnittener Zweig sich zu einem
selbständigen Stock entwickelt.

Virchow1) spricht danach folgendes Urtheil aus:

»Wenn es möglich ist, aus dem Verbande des menschlichen
Körpers gewisse Elemente oder Gruppen von Elementen zu
trennen, ohne dass sie aufhören, Lebenseigenschaften zu äussern
und sich zu erhalten, so folgt daraus, dass jener Verband nicht
in dem hergebrachten Sinne ein einheitlicher, sondern vielmehr
ein gesellschaftlicher oder genauer ein genossenschaftlicher
(socialer) ist. Aus demselben können Elemente oder Elemen-
targruppen ausscheiden, ohne dass der Bestand der Genossen-
schaft vernichtet wird; ja der Eintritt kann sogar die Wirkung
haben, die Genossenschaft aufzubessern und zu stärken.«

Ausser diesem Beweise, dass viele Theile nicht in abso-
luter Abhängigkeit von dem Ganzen stehen, spricht sich eine
gewisse individuelle Freiheit derselben schon in der embryona-
len Entwickelung dadurch aus, dass die vererbten Formenbil-
dungen nicht durch eine vererbte Normirung der Leistungen
jeder einzelnen Zelle, sondern blos nach allgemeinen Normen
für die Grösse, Gestalt, Structur und Leistung jedes Organes
hergestellt werden, so dass für die Einzelausführung, für den
Aufbau aus den einzelnen Zellen ein gewisser Spielraum bleibt,
innerhalb dessen sich das Geschehen gegenseitig selber regulirt.

Dies erkennen wir aus der Ungleichheit der Theile jedes
Organes. Keine Leberzelle gleicht vollkommen in Grösse und
Gestalt der andern, und doch fügen sie sich alle zu dem nach

1) l. c. Bd. 79. p. 186.
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[66/0080] II. Der Kampf der Theile im Organismus. lang oder dauernd leben bleiben und eventuell weiter wachsen. Aber viel grösser ist bekanntlich diese Fähigkeit bei denjenigen Organismen, welche dem Vorgange den Namen gegeben haben, bei den Pflanzen, wo ganze Organcomplexe, Knospen, über- tragbar sind und ein abgeschnittener Zweig sich zu einem selbständigen Stock entwickelt. Virchow 1) spricht danach folgendes Urtheil aus: »Wenn es möglich ist, aus dem Verbande des menschlichen Körpers gewisse Elemente oder Gruppen von Elementen zu trennen, ohne dass sie aufhören, Lebenseigenschaften zu äussern und sich zu erhalten, so folgt daraus, dass jener Verband nicht in dem hergebrachten Sinne ein einheitlicher, sondern vielmehr ein gesellschaftlicher oder genauer ein genossenschaftlicher (socialer) ist. Aus demselben können Elemente oder Elemen- targruppen ausscheiden, ohne dass der Bestand der Genossen- schaft vernichtet wird; ja der Eintritt kann sogar die Wirkung haben, die Genossenschaft aufzubessern und zu stärken.« Ausser diesem Beweise, dass viele Theile nicht in abso- luter Abhängigkeit von dem Ganzen stehen, spricht sich eine gewisse individuelle Freiheit derselben schon in der embryona- len Entwickelung dadurch aus, dass die vererbten Formenbil- dungen nicht durch eine vererbte Normirung der Leistungen jeder einzelnen Zelle, sondern blos nach allgemeinen Normen für die Grösse, Gestalt, Structur und Leistung jedes Organes hergestellt werden, so dass für die Einzelausführung, für den Aufbau aus den einzelnen Zellen ein gewisser Spielraum bleibt, innerhalb dessen sich das Geschehen gegenseitig selber regulirt. Dies erkennen wir aus der Ungleichheit der Theile jedes Organes. Keine Leberzelle gleicht vollkommen in Grösse und Gestalt der andern, und doch fügen sie sich alle zu dem nach 1) l. c. Bd. 79. p. 186.

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/80>, abgerufen am 25.04.2024.