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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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pflegt *), vielleicht weil es, in gewissem Sinne, leichter ist,
wirkliche Formen, als deren Schein hervorzubringen, strebt
allerdings auch in diesem Zeitraum, den zeichnenden Künsten
einen gewissen Vorsprung abzugewinnen. Denn es dürften ei-
nige halberhobene Arbeiten, in denen eine schwache Regung
eigenen Geistes, ein gewisses Bestreben sich zeigt, besseren,
vielleicht altchristlichen Vorbildern gleichzukommen, theils in
Ansehung des Entwurfes und der Ausführung ihrer architek-
tonischen Beywerke, theils weil sie von der rohesten Arbeit
des zehnten und eilften Jahrhunderts zu den Bildwerken des
zwölften einen gewissen Uebergang bilden, vielleicht schon dem
Ende des eilften beyzumessen seyn. Dahin zähle ich das Re-
lief an der Brustwehr der Kanzel des Domes zu Volterra, des-
sen architectonische Beywerke ins eilfte Jahrhundert verweisen,
wenn man, wie es nöthig ist, die älteren Stücke von den
neueren unterscheidet, welche bloße Erweiterung des inneren
Raumes zu bezwecken scheinen. Der Gegenstand der Darstel-
lung ist die Fußwaschung der bußfertigen Magdalena; die Fi-
guren sind auf dieselbe Weise hinter die Tafel geordnet, als
auf den älteren Darstellungen des Abendmahles; Christus in-
deß hier am linken Ende der Tafel, zu seinen Füßen Magda-
lena, von dem symbolischen Drachen noch immer verfolgt,
oder eben erst ausgespieen, worüber wir den Künstler selbst
vernehmen müßten. Die Charaktere der Köpfe sind hier schon
ziemlich entschieden, doch im Verhältniß zum Körper etwas

*) Böttiger, Arch. der Mal. S. 3, bemerkt sehr richtig:
"Die rohesten Versuche der Plastik sind überall den rohesten Ver-
suchen der Malerey vorangegangen. Runde Gestalten nach ih-
rer Apparenz auf einer Fläche darzustellen, setzt schon
Reflexion voraus
."

pflegt *), vielleicht weil es, in gewiſſem Sinne, leichter iſt,
wirkliche Formen, als deren Schein hervorzubringen, ſtrebt
allerdings auch in dieſem Zeitraum, den zeichnenden Kuͤnſten
einen gewiſſen Vorſprung abzugewinnen. Denn es duͤrften ei-
nige halberhobene Arbeiten, in denen eine ſchwache Regung
eigenen Geiſtes, ein gewiſſes Beſtreben ſich zeigt, beſſeren,
vielleicht altchriſtlichen Vorbildern gleichzukommen, theils in
Anſehung des Entwurfes und der Ausfuͤhrung ihrer architek-
toniſchen Beywerke, theils weil ſie von der roheſten Arbeit
des zehnten und eilften Jahrhunderts zu den Bildwerken des
zwoͤlften einen gewiſſen Uebergang bilden, vielleicht ſchon dem
Ende des eilften beyzumeſſen ſeyn. Dahin zaͤhle ich das Re-
lief an der Bruſtwehr der Kanzel des Domes zu Volterra, deſ-
ſen architectoniſche Beywerke ins eilfte Jahrhundert verweiſen,
wenn man, wie es noͤthig iſt, die aͤlteren Stuͤcke von den
neueren unterſcheidet, welche bloße Erweiterung des inneren
Raumes zu bezwecken ſcheinen. Der Gegenſtand der Darſtel-
lung iſt die Fußwaſchung der bußfertigen Magdalena; die Fi-
guren ſind auf dieſelbe Weiſe hinter die Tafel geordnet, als
auf den aͤlteren Darſtellungen des Abendmahles; Chriſtus in-
deß hier am linken Ende der Tafel, zu ſeinen Fuͤßen Magda-
lena, von dem ſymboliſchen Drachen noch immer verfolgt,
oder eben erſt ausgeſpieen, woruͤber wir den Kuͤnſtler ſelbſt
vernehmen muͤßten. Die Charaktere der Koͤpfe ſind hier ſchon
ziemlich entſchieden, doch im Verhaͤltniß zum Koͤrper etwas

*) Boͤttiger, Arch. der Mal. S. 3, bemerkt ſehr richtig:
„Die roheſten Verſuche der Plaſtik ſind uͤberall den roheſten Ver-
ſuchen der Malerey vorangegangen. Runde Geſtalten nach ih-
rer Apparenz auf einer Flaͤche darzuſtellen, ſetzt ſchon
Reflexion voraus
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[251/0269] pflegt *), vielleicht weil es, in gewiſſem Sinne, leichter iſt, wirkliche Formen, als deren Schein hervorzubringen, ſtrebt allerdings auch in dieſem Zeitraum, den zeichnenden Kuͤnſten einen gewiſſen Vorſprung abzugewinnen. Denn es duͤrften ei- nige halberhobene Arbeiten, in denen eine ſchwache Regung eigenen Geiſtes, ein gewiſſes Beſtreben ſich zeigt, beſſeren, vielleicht altchriſtlichen Vorbildern gleichzukommen, theils in Anſehung des Entwurfes und der Ausfuͤhrung ihrer architek- toniſchen Beywerke, theils weil ſie von der roheſten Arbeit des zehnten und eilften Jahrhunderts zu den Bildwerken des zwoͤlften einen gewiſſen Uebergang bilden, vielleicht ſchon dem Ende des eilften beyzumeſſen ſeyn. Dahin zaͤhle ich das Re- lief an der Bruſtwehr der Kanzel des Domes zu Volterra, deſ- ſen architectoniſche Beywerke ins eilfte Jahrhundert verweiſen, wenn man, wie es noͤthig iſt, die aͤlteren Stuͤcke von den neueren unterſcheidet, welche bloße Erweiterung des inneren Raumes zu bezwecken ſcheinen. Der Gegenſtand der Darſtel- lung iſt die Fußwaſchung der bußfertigen Magdalena; die Fi- guren ſind auf dieſelbe Weiſe hinter die Tafel geordnet, als auf den aͤlteren Darſtellungen des Abendmahles; Chriſtus in- deß hier am linken Ende der Tafel, zu ſeinen Fuͤßen Magda- lena, von dem ſymboliſchen Drachen noch immer verfolgt, oder eben erſt ausgeſpieen, woruͤber wir den Kuͤnſtler ſelbſt vernehmen muͤßten. Die Charaktere der Koͤpfe ſind hier ſchon ziemlich entſchieden, doch im Verhaͤltniß zum Koͤrper etwas *) Boͤttiger, Arch. der Mal. S. 3, bemerkt ſehr richtig: „Die roheſten Verſuche der Plaſtik ſind uͤberall den roheſten Ver- ſuchen der Malerey vorangegangen. Runde Geſtalten nach ih- rer Apparenz auf einer Flaͤche darzuſtellen, ſetzt ſchon Reflexion voraus.“

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/269>, abgerufen am 23.04.2024.