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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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am leichtesten zu gelingen pflegen, alle wirklich werthvollen
Schulen der alten, wie der neuen Welt unläugbar ein eigen-
thümlich-örtliches Ansehen haben. Gewiß also können Künst-
ler, deren geschichtliche Richtung falsch, oder doch niedrig ist,
wohl, gleich vielen Holländern des siebzehnten Jahrhunderts,
den Anregungen, welche die Natur ihnen gewähren will, min-
der entsprechen, doch nimmer durch den Begriff so weit über
sie hinausgehoben werden, als unsere mancherley Idealisten
voraussetzen.

Genau genommen geht es den Künsten des Begriffs nicht
so gar viel besser; doch haben sie den Vortheil der unbestimm-
teren Darstellung. Denn so schwer es seyn mag, in einer
Sprache, der von Natur etwas Plattes, Lächerliches oder
Kleinliches anklebt, tragische und heroische Wirkungen hervor-
zubringen, so gewöhnt man sich doch allgemach an ihre Aeu-
ßerlichkeiten und, was im Grunde schwimmt, erhält am Ende
die Gestalt, welche die Phantasie ihm aufdrücken will. Der
Künstler aber erschöpft seinen Gegenstand, bis auf den Grund,
und Alles, was er falsch gedacht, schief aufgefaßt, ungenü-
gend gearbeitet, liegt nackt und bloß vor aller Augen da.
Auf einer Täuschung zwar beruht es, wenn wir dem Dichter
glauben, er habe sich weit über seine geschichtliche Befangen-
heit hinaus in ferne Welten versetzt. Doch eben weil diese
Art der Täuschung dem Künstler nicht zu Hülfe kommt, muß
er, wie endlich selbst die Schönheitslehre zugeben wird, vieles
an sich selbst ganz Wünschenswerthe sich versagen.

Nicht herabstimmen, nein ermuntern möge diese Erinne-
rung, Solches, was nach den Umständen allein geschehen
kann, ganz zu thun; die kurze Zeit, welche der jugendlichen
Empfänglichkeit gewährt ist, nicht in hoffnungslosem Sehnen

hinzu-

am leichteſten zu gelingen pflegen, alle wirklich werthvollen
Schulen der alten, wie der neuen Welt unlaͤugbar ein eigen-
thuͤmlich-oͤrtliches Anſehen haben. Gewiß alſo koͤnnen Kuͤnſt-
ler, deren geſchichtliche Richtung falſch, oder doch niedrig iſt,
wohl, gleich vielen Hollaͤndern des ſiebzehnten Jahrhunderts,
den Anregungen, welche die Natur ihnen gewaͤhren will, min-
der entſprechen, doch nimmer durch den Begriff ſo weit uͤber
ſie hinausgehoben werden, als unſere mancherley Idealiſten
vorausſetzen.

Genau genommen geht es den Kuͤnſten des Begriffs nicht
ſo gar viel beſſer; doch haben ſie den Vortheil der unbeſtimm-
teren Darſtellung. Denn ſo ſchwer es ſeyn mag, in einer
Sprache, der von Natur etwas Plattes, Laͤcherliches oder
Kleinliches anklebt, tragiſche und heroiſche Wirkungen hervor-
zubringen, ſo gewoͤhnt man ſich doch allgemach an ihre Aeu-
ßerlichkeiten und, was im Grunde ſchwimmt, erhaͤlt am Ende
die Geſtalt, welche die Phantaſie ihm aufdruͤcken will. Der
Kuͤnſtler aber erſchoͤpft ſeinen Gegenſtand, bis auf den Grund,
und Alles, was er falſch gedacht, ſchief aufgefaßt, ungenuͤ-
gend gearbeitet, liegt nackt und bloß vor aller Augen da.
Auf einer Taͤuſchung zwar beruht es, wenn wir dem Dichter
glauben, er habe ſich weit uͤber ſeine geſchichtliche Befangen-
heit hinaus in ferne Welten verſetzt. Doch eben weil dieſe
Art der Taͤuſchung dem Kuͤnſtler nicht zu Huͤlfe kommt, muß
er, wie endlich ſelbſt die Schoͤnheitslehre zugeben wird, vieles
an ſich ſelbſt ganz Wuͤnſchenswerthe ſich verſagen.

Nicht herabſtimmen, nein ermuntern moͤge dieſe Erinne-
rung, Solches, was nach den Umſtaͤnden allein geſchehen
kann, ganz zu thun; die kurze Zeit, welche der jugendlichen
Empfaͤnglichkeit gewaͤhrt iſt, nicht in hoffnungsloſem Sehnen

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[80/0098] am leichteſten zu gelingen pflegen, alle wirklich werthvollen Schulen der alten, wie der neuen Welt unlaͤugbar ein eigen- thuͤmlich-oͤrtliches Anſehen haben. Gewiß alſo koͤnnen Kuͤnſt- ler, deren geſchichtliche Richtung falſch, oder doch niedrig iſt, wohl, gleich vielen Hollaͤndern des ſiebzehnten Jahrhunderts, den Anregungen, welche die Natur ihnen gewaͤhren will, min- der entſprechen, doch nimmer durch den Begriff ſo weit uͤber ſie hinausgehoben werden, als unſere mancherley Idealiſten vorausſetzen. Genau genommen geht es den Kuͤnſten des Begriffs nicht ſo gar viel beſſer; doch haben ſie den Vortheil der unbeſtimm- teren Darſtellung. Denn ſo ſchwer es ſeyn mag, in einer Sprache, der von Natur etwas Plattes, Laͤcherliches oder Kleinliches anklebt, tragiſche und heroiſche Wirkungen hervor- zubringen, ſo gewoͤhnt man ſich doch allgemach an ihre Aeu- ßerlichkeiten und, was im Grunde ſchwimmt, erhaͤlt am Ende die Geſtalt, welche die Phantaſie ihm aufdruͤcken will. Der Kuͤnſtler aber erſchoͤpft ſeinen Gegenſtand, bis auf den Grund, und Alles, was er falſch gedacht, ſchief aufgefaßt, ungenuͤ- gend gearbeitet, liegt nackt und bloß vor aller Augen da. Auf einer Taͤuſchung zwar beruht es, wenn wir dem Dichter glauben, er habe ſich weit uͤber ſeine geſchichtliche Befangen- heit hinaus in ferne Welten verſetzt. Doch eben weil dieſe Art der Taͤuſchung dem Kuͤnſtler nicht zu Huͤlfe kommt, muß er, wie endlich ſelbſt die Schoͤnheitslehre zugeben wird, vieles an ſich ſelbſt ganz Wuͤnſchenswerthe ſich verſagen. Nicht herabſtimmen, nein ermuntern moͤge dieſe Erinne- rung, Solches, was nach den Umſtaͤnden allein geſchehen kann, ganz zu thun; die kurze Zeit, welche der jugendlichen Empfaͤnglichkeit gewaͤhrt iſt, nicht in hoffnungsloſem Sehnen hinzu-

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/98>, abgerufen am 29.03.2024.