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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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hinzubringen *), wie dem geschieht, welcher die rednerischen
Wendungen, durch welche die Sterblichen sich über die Be-
dingtheit ihres Daseyns hinauszureden lieben, für baaren Ernst
nimmt. Allerdings soll der Künstler sich sittlich bestimmen
lassen zum Wahren, Rechten und Guten; doch nimmer sich
überreden, über das angeborene Maß seines Talentes, über
seine geschichtliche Stellung und natürliche Umgebung hinaus
zu wollen. Denn nur dieses liegt in der Macht seiner Ent-
schließungen, ob er das verliehene Pfund inneren Lebensgeistes
und äußerer Anregungen freudig und rüstig verschmelze und
einige, was unter allen Umständen gute und reichliche Früchte
bringt. Ueberhaupt ist in der Kunst Raum für mancherley
Gaben und mancherley Beziehungen desselben Bestrebens. Wenn
ihr ein rechtes Gedeihen beywohnt, blüht sie nicht bloß in
den Treibhäusern der Hauptstädte, in den Prunksälen der Rei-
chen, oder zur Befriedigung gelehrter Grillen, vielmehr ver-
breitet sie sich über Alles, was nur den Aufdruck der Gestalt
zuläßt, und beherrscht, wie in den glücklichsten Zeiten der alten

*) Am leichtesten nehmen gerade die edelsten Gemüther diese
Stimmung an, weshalb der Verlust, welcher daraus entsteht, nur
um so mehr zu beklagen ist, und dringend auffordert, ihn auf alle
Weise abzuwenden. -- Bis zur Absichtlichkeit durchgebildet zeigt
sich die Sehnsucht nach vergangener Herrlichkeit in einer Aeuße-
rung des Petrarca, welche Hr. Hofr. H. Meyer zur Andeutung
seines eigenen Standpunktes, als Motto, seiner Kunstgeschichte
vorangestellt. Wäre es nicht gewiß, daß Petrarca an dieser Stelle,
als warmer Patriot, den bürgerlichen Verfall seines Vaterlandes
im Sinne hatte, wäre es, wie bey einigen Neueren, ein bloß
ästhetischer Ueberdruß an den Ecken und Schärfen der Gegenwart:
so dürfte man doch bezweifeln, ob der weiche moderne Dichter,
hätte das Schicksal ihn plötzlich in antike Lebensverhältnisse ver-
setzt, sich darin so ganz behaglich gefühlt haben könne.
I. 6

hinzubringen *), wie dem geſchieht, welcher die redneriſchen
Wendungen, durch welche die Sterblichen ſich uͤber die Be-
dingtheit ihres Daſeyns hinauszureden lieben, fuͤr baaren Ernſt
nimmt. Allerdings ſoll der Kuͤnſtler ſich ſittlich beſtimmen
laſſen zum Wahren, Rechten und Guten; doch nimmer ſich
uͤberreden, uͤber das angeborene Maß ſeines Talentes, uͤber
ſeine geſchichtliche Stellung und natuͤrliche Umgebung hinaus
zu wollen. Denn nur dieſes liegt in der Macht ſeiner Ent-
ſchließungen, ob er das verliehene Pfund inneren Lebensgeiſtes
und aͤußerer Anregungen freudig und ruͤſtig verſchmelze und
einige, was unter allen Umſtaͤnden gute und reichliche Fruͤchte
bringt. Ueberhaupt iſt in der Kunſt Raum fuͤr mancherley
Gaben und mancherley Beziehungen deſſelben Beſtrebens. Wenn
ihr ein rechtes Gedeihen beywohnt, bluͤht ſie nicht bloß in
den Treibhaͤuſern der Hauptſtaͤdte, in den Prunkſaͤlen der Rei-
chen, oder zur Befriedigung gelehrter Grillen, vielmehr ver-
breitet ſie ſich uͤber Alles, was nur den Aufdruck der Geſtalt
zulaͤßt, und beherrſcht, wie in den gluͤcklichſten Zeiten der alten

*) Am leichteſten nehmen gerade die edelſten Gemuͤther dieſe
Stimmung an, weshalb der Verluſt, welcher daraus entſteht, nur
um ſo mehr zu beklagen iſt, und dringend auffordert, ihn auf alle
Weiſe abzuwenden. — Bis zur Abſichtlichkeit durchgebildet zeigt
ſich die Sehnſucht nach vergangener Herrlichkeit in einer Aeuße-
rung des Petrarca, welche Hr. Hofr. H. Meyer zur Andeutung
ſeines eigenen Standpunktes, als Motto, ſeiner Kunſtgeſchichte
vorangeſtellt. Waͤre es nicht gewiß, daß Petrarca an dieſer Stelle,
als warmer Patriot, den buͤrgerlichen Verfall ſeines Vaterlandes
im Sinne hatte, waͤre es, wie bey einigen Neueren, ein bloß
aͤſthetiſcher Ueberdruß an den Ecken und Schaͤrfen der Gegenwart:
ſo duͤrfte man doch bezweifeln, ob der weiche moderne Dichter,
haͤtte das Schickſal ihn ploͤtzlich in antike Lebensverhaͤltniſſe ver-
ſetzt, ſich darin ſo ganz behaglich gefuͤhlt haben koͤnne.
I. 6
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[81/0099] hinzubringen *), wie dem geſchieht, welcher die redneriſchen Wendungen, durch welche die Sterblichen ſich uͤber die Be- dingtheit ihres Daſeyns hinauszureden lieben, fuͤr baaren Ernſt nimmt. Allerdings ſoll der Kuͤnſtler ſich ſittlich beſtimmen laſſen zum Wahren, Rechten und Guten; doch nimmer ſich uͤberreden, uͤber das angeborene Maß ſeines Talentes, uͤber ſeine geſchichtliche Stellung und natuͤrliche Umgebung hinaus zu wollen. Denn nur dieſes liegt in der Macht ſeiner Ent- ſchließungen, ob er das verliehene Pfund inneren Lebensgeiſtes und aͤußerer Anregungen freudig und ruͤſtig verſchmelze und einige, was unter allen Umſtaͤnden gute und reichliche Fruͤchte bringt. Ueberhaupt iſt in der Kunſt Raum fuͤr mancherley Gaben und mancherley Beziehungen deſſelben Beſtrebens. Wenn ihr ein rechtes Gedeihen beywohnt, bluͤht ſie nicht bloß in den Treibhaͤuſern der Hauptſtaͤdte, in den Prunkſaͤlen der Rei- chen, oder zur Befriedigung gelehrter Grillen, vielmehr ver- breitet ſie ſich uͤber Alles, was nur den Aufdruck der Geſtalt zulaͤßt, und beherrſcht, wie in den gluͤcklichſten Zeiten der alten *) Am leichteſten nehmen gerade die edelſten Gemuͤther dieſe Stimmung an, weshalb der Verluſt, welcher daraus entſteht, nur um ſo mehr zu beklagen iſt, und dringend auffordert, ihn auf alle Weiſe abzuwenden. — Bis zur Abſichtlichkeit durchgebildet zeigt ſich die Sehnſucht nach vergangener Herrlichkeit in einer Aeuße- rung des Petrarca, welche Hr. Hofr. H. Meyer zur Andeutung ſeines eigenen Standpunktes, als Motto, ſeiner Kunſtgeſchichte vorangeſtellt. Waͤre es nicht gewiß, daß Petrarca an dieſer Stelle, als warmer Patriot, den buͤrgerlichen Verfall ſeines Vaterlandes im Sinne hatte, waͤre es, wie bey einigen Neueren, ein bloß aͤſthetiſcher Ueberdruß an den Ecken und Schaͤrfen der Gegenwart: ſo duͤrfte man doch bezweifeln, ob der weiche moderne Dichter, haͤtte das Schickſal ihn ploͤtzlich in antike Lebensverhaͤltniſſe ver- ſetzt, ſich darin ſo ganz behaglich gefuͤhlt haben koͤnne. I. 6

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/99>, abgerufen am 29.03.2024.