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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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hat es sich wiederholt ereignet, daß in demselben Mittelpuncte
verschiedene Stifter gleichzeitig hervorgetreten sind, welche ganz
entgegengesetzte Richtungen und Handhabungen auf ihre Schü-
ler und späteren Nachfolger fortpflanzten. Wenn nun dieselbe
Schule unter Umständen verschiedene Städte und Landgebiete
umfasset; wenn andererseits dieselbe Stadt nicht selten ganz
verschiedene Schulen in sich einschließt; so ist es offenbar un-
zulässig, die Kunstschulen, wie es bey neueren Schriftstellern
üblich ist *), durchhin nach der Oertlichkeit, in welcher sie
Raum gefunden, zu classificiren.

In den früheren Abschnitten begegneten wir großer Ein-
förmigkeit des Wollens und der Manier; kaum gelang es
uns in den ältesten Zeiten die größeren nationalen Massen,
Neugriechen, Italiener und Deutsche, genügend zu sondern;
selbst in der vorgerückten Epoche des Giotto unterschieden wir
nur etwa Florentiner und Sieneser. Um so vielfältiger tren-
nen, zerspalten, durchkreuzen sich die mittelitalienischen Kunst-
schulen seit dem Anbeginn des funfzehnten Jahrhundertes.

Die früheste Spaltung in der Richtung italienischer Künst-
ler entstand unmittelbar aus den Neuerungen des Giotto.
Diese erhielten sich zu Florenz ein ganzes Jahrhundert lang
in Gunst und Gebrauch; hingegen zeigt sich in der sienesischen

*) Bey Lanzi und so viel Anderen heißt, römische Schule:
die Gesammtheit aller Künstler, welche im Staatsgebiete des rö-
mischen Stuhles geboren sind. Nun giebt es in diesem Staate,
von den mannichfaltigsten Meisterschulen abgesehn, auch noch die
entschiedensten Stammverschiedenheiten: Römer, Toscaner, Umbrer;
der Lombarden in den Legationen nicht zu gedenken, welche man
aus Inconsequenz abzusondern und den Bolognesern beyzuordnen
pflegt.
14 *

hat es ſich wiederholt ereignet, daß in demſelben Mittelpuncte
verſchiedene Stifter gleichzeitig hervorgetreten ſind, welche ganz
entgegengeſetzte Richtungen und Handhabungen auf ihre Schuͤ-
ler und ſpaͤteren Nachfolger fortpflanzten. Wenn nun dieſelbe
Schule unter Umſtaͤnden verſchiedene Staͤdte und Landgebiete
umfaſſet; wenn andererſeits dieſelbe Stadt nicht ſelten ganz
verſchiedene Schulen in ſich einſchließt; ſo iſt es offenbar un-
zulaͤſſig, die Kunſtſchulen, wie es bey neueren Schriftſtellern
uͤblich iſt *), durchhin nach der Oertlichkeit, in welcher ſie
Raum gefunden, zu claſſificiren.

In den fruͤheren Abſchnitten begegneten wir großer Ein-
foͤrmigkeit des Wollens und der Manier; kaum gelang es
uns in den aͤlteſten Zeiten die groͤßeren nationalen Maſſen,
Neugriechen, Italiener und Deutſche, genuͤgend zu ſondern;
ſelbſt in der vorgeruͤckten Epoche des Giotto unterſchieden wir
nur etwa Florentiner und Sieneſer. Um ſo vielfaͤltiger tren-
nen, zerſpalten, durchkreuzen ſich die mittelitalieniſchen Kunſt-
ſchulen ſeit dem Anbeginn des funfzehnten Jahrhundertes.

Die fruͤheſte Spaltung in der Richtung italieniſcher Kuͤnſt-
ler entſtand unmittelbar aus den Neuerungen des Giotto.
Dieſe erhielten ſich zu Florenz ein ganzes Jahrhundert lang
in Gunſt und Gebrauch; hingegen zeigt ſich in der ſieneſiſchen

*) Bey Lanzi und ſo viel Anderen heißt, roͤmiſche Schule:
die Geſammtheit aller Kuͤnſtler, welche im Staatsgebiete des roͤ-
miſchen Stuhles geboren ſind. Nun giebt es in dieſem Staate,
von den mannichfaltigſten Meiſterſchulen abgeſehn, auch noch die
entſchiedenſten Stammverſchiedenheiten: Roͤmer, Toscaner, Umbrer;
der Lombarden in den Legationen nicht zu gedenken, welche man
aus Inconſequenz abzuſondern und den Bologneſern beyzuordnen
pflegt.
14 *
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[211/0229] hat es ſich wiederholt ereignet, daß in demſelben Mittelpuncte verſchiedene Stifter gleichzeitig hervorgetreten ſind, welche ganz entgegengeſetzte Richtungen und Handhabungen auf ihre Schuͤ- ler und ſpaͤteren Nachfolger fortpflanzten. Wenn nun dieſelbe Schule unter Umſtaͤnden verſchiedene Staͤdte und Landgebiete umfaſſet; wenn andererſeits dieſelbe Stadt nicht ſelten ganz verſchiedene Schulen in ſich einſchließt; ſo iſt es offenbar un- zulaͤſſig, die Kunſtſchulen, wie es bey neueren Schriftſtellern uͤblich iſt *), durchhin nach der Oertlichkeit, in welcher ſie Raum gefunden, zu claſſificiren. In den fruͤheren Abſchnitten begegneten wir großer Ein- foͤrmigkeit des Wollens und der Manier; kaum gelang es uns in den aͤlteſten Zeiten die groͤßeren nationalen Maſſen, Neugriechen, Italiener und Deutſche, genuͤgend zu ſondern; ſelbſt in der vorgeruͤckten Epoche des Giotto unterſchieden wir nur etwa Florentiner und Sieneſer. Um ſo vielfaͤltiger tren- nen, zerſpalten, durchkreuzen ſich die mittelitalieniſchen Kunſt- ſchulen ſeit dem Anbeginn des funfzehnten Jahrhundertes. Die fruͤheſte Spaltung in der Richtung italieniſcher Kuͤnſt- ler entſtand unmittelbar aus den Neuerungen des Giotto. Dieſe erhielten ſich zu Florenz ein ganzes Jahrhundert lang in Gunſt und Gebrauch; hingegen zeigt ſich in der ſieneſiſchen *) Bey Lanzi und ſo viel Anderen heißt, roͤmiſche Schule: die Geſammtheit aller Kuͤnſtler, welche im Staatsgebiete des roͤ- miſchen Stuhles geboren ſind. Nun giebt es in dieſem Staate, von den mannichfaltigſten Meiſterſchulen abgeſehn, auch noch die entſchiedenſten Stammverſchiedenheiten: Roͤmer, Toscaner, Umbrer; der Lombarden in den Legationen nicht zu gedenken, welche man aus Inconſequenz abzuſondern und den Bologneſern beyzuordnen pflegt. 14 *

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/229>, abgerufen am 29.03.2024.