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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

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Scheingründe für den Selbstmord.
als in der Schule bey dem Schullehrer: wür-
de die Mutter, wenn sie Mutter wäre, nicht
nur hiesse, mit dieser unzeitigen, und eitel
vorgeblichen Anhänglichkeit des Kindes an die
Mutterseite zufrieden seyn? Würde sie nicht
vielmehr sagen: Kind, wenn du mich lieb
hast, so beweise es dadurch, daß du die
bestimmte Schulzeit bis auf den letzten
Punct aushältst.
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Nun ist es ein abgenutzter, aber wah-
rer, aber nie genug zu überdenkender Ge-
danke, daß dieses unser Leben eine Pilger-
reise nach unserer Heimat, eine Universi-
tät zur Bildung der Menschheit, eine Er-
ziehungsanstalt zum bessern Leben sey.

So ist es denn offenbar gegen die Absicht
des Vaters der Menschen gehandelt, wenn
der Pilger seine Erdereise hienieden eigen-
mächtig einstellt, oder der Schüler im
Gymnasium der Fürsehung (den Menschen
meyne ich) -- eigenmächtig aus der Zucht-
schule hinausläuft, und den Ruf des großen
Erziehers nicht abwartet.

4. "Da

Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord.
als in der Schule bey dem Schullehrer: wuͤr-
de die Mutter, wenn ſie Mutter waͤre, nicht
nur hieſſe, mit dieſer unzeitigen, und eitel
vorgeblichen Anhaͤnglichkeit des Kindes an die
Mutterſeite zufrieden ſeyn? Wuͤrde ſie nicht
vielmehr ſagen: Kind, wenn du mich lieb
haſt, ſo beweiſe es dadurch, daß du die
beſtimmte Schulzeit bis auf den letzten
Punct aushaͤltſt.

Nun iſt es ein abgenutzter, aber wah-
rer, aber nie genug zu uͤberdenkender Ge-
danke, daß dieſes unſer Leben eine Pilger-
reiſe nach unſerer Heimat, eine Univerſi-
taͤt zur Bildung der Menſchheit, eine Er-
ziehungsanſtalt zum beſſern Leben ſey.

So iſt es denn offenbar gegen die Abſicht
des Vaters der Menſchen gehandelt, wenn
der Pilger ſeine Erdereiſe hienieden eigen-
maͤchtig einſtellt, oder der Schuͤler im
Gymnaſium der Fuͤrſehung (den Menſchen
meyne ich) — eigenmaͤchtig aus der Zucht-
ſchule hinauslaͤuft, und den Ruf des großen
Erziehers nicht abwartet.

4. „Da
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[95/0107] Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord. als in der Schule bey dem Schullehrer: wuͤr- de die Mutter, wenn ſie Mutter waͤre, nicht nur hieſſe, mit dieſer unzeitigen, und eitel vorgeblichen Anhaͤnglichkeit des Kindes an die Mutterſeite zufrieden ſeyn? Wuͤrde ſie nicht vielmehr ſagen: Kind, wenn du mich lieb haſt, ſo beweiſe es dadurch, daß du die beſtimmte Schulzeit bis auf den letzten Punct aushaͤltſt. — Nun iſt es ein abgenutzter, aber wah- rer, aber nie genug zu uͤberdenkender Ge- danke, daß dieſes unſer Leben eine Pilger- reiſe nach unſerer Heimat, eine Univerſi- taͤt zur Bildung der Menſchheit, eine Er- ziehungsanſtalt zum beſſern Leben ſey. So iſt es denn offenbar gegen die Abſicht des Vaters der Menſchen gehandelt, wenn der Pilger ſeine Erdereiſe hienieden eigen- maͤchtig einſtellt, oder der Schuͤler im Gymnaſium der Fuͤrſehung (den Menſchen meyne ich) — eigenmaͤchtig aus der Zucht- ſchule hinauslaͤuft, und den Ruf des großen Erziehers nicht abwartet. 4. „Da

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/107>, abgerufen am 18.04.2024.