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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

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Gründe wider den Selbstmord.
grösser also der Heldenmuth des Sterbli-
chen,
desto belohnender wird das neue Da-
seyn des Unsterblichen seyn. Wenn nun
der Sterbliche das Recht hätte, die Stelle
hienieden nach Willkühr zu verlassen, so
würde er eben dadurch berechtiget seyn, sei-
nen Schicksalen jenseits des Grabes gerade
die schlechtere Wendung zu geben: Und dieß
Recht sollte der Schöpfer, die erste Liebe,
dem Lieblinge der Schöpfung, bestimmt zum
lebendigsten, vollkommensten Leben, er-
theilen können? Also keine Spur von die-
sem Rechte in der ganzen, grossen, viel-
umfassenden Menschennatur.


Uebrigens hat schon Pythagoras diesen
Grund gegen den Selbstmord, der aus der
Oberherrschaft Gottes hergeholet ist, ange-
bracht, indem er verboten (e)
Ohne Befehl des Feldherrn, das
heißt, Gottes, den Posten, und

die
(e) Vetatque Pythagoras, injussu impera-
toris, id est, Dei, de praesidio, et sta-
tione vitae decedere. (Cic. de Senect.
XX. edit. Haude
.)
B 4

Gruͤnde wider den Selbſtmord.
groͤſſer alſo der Heldenmuth des Sterbli-
chen,
deſto belohnender wird das neue Da-
ſeyn des Unſterblichen ſeyn. Wenn nun
der Sterbliche das Recht haͤtte, die Stelle
hienieden nach Willkuͤhr zu verlaſſen, ſo
wuͤrde er eben dadurch berechtiget ſeyn, ſei-
nen Schickſalen jenſeits des Grabes gerade
die ſchlechtere Wendung zu geben: Und dieß
Recht ſollte der Schoͤpfer, die erſte Liebe,
dem Lieblinge der Schoͤpfung, beſtimmt zum
lebendigſten, vollkommenſten Leben, er-
theilen koͤnnen? Alſo keine Spur von die-
ſem Rechte in der ganzen, groſſen, viel-
umfaſſenden Menſchennatur.


Uebrigens hat ſchon Pythagoras dieſen
Grund gegen den Selbſtmord, der aus der
Oberherrſchaft Gottes hergeholet iſt, ange-
bracht, indem er verboten (e)
Ohne Befehl des Feldherrn, das
heißt, Gottes, den Poſten, und

die
(e) Vetatque Pythagoras, injuſſu impera-
toris, id eſt, Dei, de praeſidio, et ſta-
tione vitae decedere. (Cic. de Senect.
XX. edit. Haude
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[23/0035] Gruͤnde wider den Selbſtmord. groͤſſer alſo der Heldenmuth des Sterbli- chen, deſto belohnender wird das neue Da- ſeyn des Unſterblichen ſeyn. Wenn nun der Sterbliche das Recht haͤtte, die Stelle hienieden nach Willkuͤhr zu verlaſſen, ſo wuͤrde er eben dadurch berechtiget ſeyn, ſei- nen Schickſalen jenſeits des Grabes gerade die ſchlechtere Wendung zu geben: Und dieß Recht ſollte der Schoͤpfer, die erſte Liebe, dem Lieblinge der Schoͤpfung, beſtimmt zum lebendigſten, vollkommenſten Leben, er- theilen koͤnnen? Alſo keine Spur von die- ſem Rechte in der ganzen, groſſen, viel- umfaſſenden Menſchennatur. Uebrigens hat ſchon Pythagoras dieſen Grund gegen den Selbſtmord, der aus der Oberherrſchaft Gottes hergeholet iſt, ange- bracht, indem er verboten (e) Ohne Befehl des Feldherrn, das heißt, Gottes, den Poſten, und die (e) Vetatque Pythagoras, injuſſu impera- toris, id eſt, Dei, de praeſidio, et ſta- tione vitae decedere. (Cic. de Senect. XX. edit. Haude.) B 4

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/35>, abgerufen am 16.04.2024.