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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die elektrischen Erfindungen.
Was Wunder, wenn die grelle Farbe zuckender Blitze, das gewaltige
Poltern rollenden Donners überall und immer den Schrecken in die
Gemüter der aus ihrer Ruhe jäh emporgescheuchten Erdenkinder trugen.
Die Natur des Menschengeistes aber ist allüberall dieselbe, und auf
wie verschiedener Kulturstufe der Europäer und der Bewohner Inner-
Afrikas stehen mögen, das Suchen nach Ursachen für die Erscheinungen
ist ihnen gemeinsam. Diesen befriedigt es, den ersten besten Fetisch
als die Ursache des Schreckens anzusehen; ihn zu besänftigen gilt ihm
als das erfolgreichste Mittel zur Abwendung der Gefahr. Als die
europäische Menschheit noch in den Kinderschuhen der Naturauffassung
steckte, da war ihnen das Schütteln des Hauptes des Gerndonnerers
Zeus die genügende Veranlassung des Donners; die Blitze zückte er
mit der ausgestreckten Rechten. Solchen naiven Auffassungen entwächst
die Wissenschaft erst dann ganz und gar, wenn sie sich auf den Boden
des Experimentes stellt, und nicht eher konnte daher eine befriedigende
Gewittertheorie aufgestellt werden, bis es gelang, ein solches mit
allen seinen Begleiterscheinungen wirklich hervorzuzaubern. Ein wirk-
sames Schutzmittel gegen die Fährlichkeiten des Gewitters aber konnte
natürlich auch erst erdacht werden, als man sich über die Natur des
Phänomens im Klaren war. Der erste, der den Weg des Versuches
betrat, war Benjamin Franklin. Zwar hatten andere bereits vor ihm
das als Vermutung ausgesprochen, was Franklin experimentell be-
gründete, aber das Verdienst dieses wird dadurch in nichts geschmälert.
So hatte Wall 1698 beobachtet, daß man durch Reiben eines Stückes
Bernstein eine starke Lichtentwickelung erhalten könne, daß nämlich von
dem Bernstein auf einen genäherten Finger ein Funke hinüberfährt,
und daß man auch gleichzeitig ein Knistern oder Geräusch vernimmt.
Hieran hatte er die Bemerkung geknüpft: "Das Licht und das Knistern
scheint einigermaßen Blitz und Donner darzustellen." Nun ist der
griechische Name des Bernsteins Elektron, und jene Erscheinung, die
im Zusammenhange mit noch andern zuerst an diesem Material be-
obachtet wurde, wird daher als eine elektrische bezeichnet. Somit hatte
Wall zuerst die elektrische Natur des Gewitters vermutet. Wir wollen
diese am Bernstein auftretenden Phänomene ganz kurz erläutern; das
wird uns dazu dienen, Franklins Versuche genauer zu verstehen.

Reibt man ein Stück dieses kostbaren Harzes mit einem Tuche,
so gewinnt es dadurch die Fähigkeit, leichte Körperchen an sich heran
zu ziehen. Aber die Umarmung dauert nicht eben lange. Nach kurzer
Frist werden die Teilchen mit derselben Heftigkeit fortgestoßen, mit der
sie vorher gegen den Bernstein hingezogen wurden. Das ist nun keine
Eigentümlichkeit des Bernsteins allein. Er teilt dieselbe mit anderen
Harzen, z. B. dem Hartgummi und dem Siegellack, und auch manche
Glasart nimmt beim Reiben jene Anziehungskraft an. Man sagt
deshalb, daß alle diese Körper beim Reiben elektrisch werden. Es hat
sich aber herausgestellt, daß jenes Körperchen, nachdem es einmal von

Die elektriſchen Erfindungen.
Was Wunder, wenn die grelle Farbe zuckender Blitze, das gewaltige
Poltern rollenden Donners überall und immer den Schrecken in die
Gemüter der aus ihrer Ruhe jäh emporgeſcheuchten Erdenkinder trugen.
Die Natur des Menſchengeiſtes aber iſt allüberall dieſelbe, und auf
wie verſchiedener Kulturſtufe der Europäer und der Bewohner Inner-
Afrikas ſtehen mögen, das Suchen nach Urſachen für die Erſcheinungen
iſt ihnen gemeinſam. Dieſen befriedigt es, den erſten beſten Fetiſch
als die Urſache des Schreckens anzuſehen; ihn zu beſänftigen gilt ihm
als das erfolgreichſte Mittel zur Abwendung der Gefahr. Als die
europäiſche Menſchheit noch in den Kinderſchuhen der Naturauffaſſung
ſteckte, da war ihnen das Schütteln des Hauptes des Gerndonnerers
Zeus die genügende Veranlaſſung des Donners; die Blitze zückte er
mit der ausgeſtreckten Rechten. Solchen naiven Auffaſſungen entwächſt
die Wiſſenſchaft erſt dann ganz und gar, wenn ſie ſich auf den Boden
des Experimentes ſtellt, und nicht eher konnte daher eine befriedigende
Gewittertheorie aufgeſtellt werden, bis es gelang, ein ſolches mit
allen ſeinen Begleiterſcheinungen wirklich hervorzuzaubern. Ein wirk-
ſames Schutzmittel gegen die Fährlichkeiten des Gewitters aber konnte
natürlich auch erſt erdacht werden, als man ſich über die Natur des
Phänomens im Klaren war. Der erſte, der den Weg des Verſuches
betrat, war Benjamin Franklin. Zwar hatten andere bereits vor ihm
das als Vermutung ausgeſprochen, was Franklin experimentell be-
gründete, aber das Verdienſt dieſes wird dadurch in nichts geſchmälert.
So hatte Wall 1698 beobachtet, daß man durch Reiben eines Stückes
Bernſtein eine ſtarke Lichtentwickelung erhalten könne, daß nämlich von
dem Bernſtein auf einen genäherten Finger ein Funke hinüberfährt,
und daß man auch gleichzeitig ein Kniſtern oder Geräuſch vernimmt.
Hieran hatte er die Bemerkung geknüpft: „Das Licht und das Kniſtern
ſcheint einigermaßen Blitz und Donner darzuſtellen.“ Nun iſt der
griechiſche Name des Bernſteins Elektron, und jene Erſcheinung, die
im Zuſammenhange mit noch andern zuerſt an dieſem Material be-
obachtet wurde, wird daher als eine elektriſche bezeichnet. Somit hatte
Wall zuerſt die elektriſche Natur des Gewitters vermutet. Wir wollen
dieſe am Bernſtein auftretenden Phänomene ganz kurz erläutern; das
wird uns dazu dienen, Franklins Verſuche genauer zu verſtehen.

Reibt man ein Stück dieſes koſtbaren Harzes mit einem Tuche,
ſo gewinnt es dadurch die Fähigkeit, leichte Körperchen an ſich heran
zu ziehen. Aber die Umarmung dauert nicht eben lange. Nach kurzer
Friſt werden die Teilchen mit derſelben Heftigkeit fortgeſtoßen, mit der
ſie vorher gegen den Bernſtein hingezogen wurden. Das iſt nun keine
Eigentümlichkeit des Bernſteins allein. Er teilt dieſelbe mit anderen
Harzen, z. B. dem Hartgummi und dem Siegellack, und auch manche
Glasart nimmt beim Reiben jene Anziehungskraft an. Man ſagt
deshalb, daß alle dieſe Körper beim Reiben elektriſch werden. Es hat
ſich aber herausgeſtellt, daß jenes Körperchen, nachdem es einmal von

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[124/0142] Die elektriſchen Erfindungen. Was Wunder, wenn die grelle Farbe zuckender Blitze, das gewaltige Poltern rollenden Donners überall und immer den Schrecken in die Gemüter der aus ihrer Ruhe jäh emporgeſcheuchten Erdenkinder trugen. Die Natur des Menſchengeiſtes aber iſt allüberall dieſelbe, und auf wie verſchiedener Kulturſtufe der Europäer und der Bewohner Inner- Afrikas ſtehen mögen, das Suchen nach Urſachen für die Erſcheinungen iſt ihnen gemeinſam. Dieſen befriedigt es, den erſten beſten Fetiſch als die Urſache des Schreckens anzuſehen; ihn zu beſänftigen gilt ihm als das erfolgreichſte Mittel zur Abwendung der Gefahr. Als die europäiſche Menſchheit noch in den Kinderſchuhen der Naturauffaſſung ſteckte, da war ihnen das Schütteln des Hauptes des Gerndonnerers Zeus die genügende Veranlaſſung des Donners; die Blitze zückte er mit der ausgeſtreckten Rechten. Solchen naiven Auffaſſungen entwächſt die Wiſſenſchaft erſt dann ganz und gar, wenn ſie ſich auf den Boden des Experimentes ſtellt, und nicht eher konnte daher eine befriedigende Gewittertheorie aufgeſtellt werden, bis es gelang, ein ſolches mit allen ſeinen Begleiterſcheinungen wirklich hervorzuzaubern. Ein wirk- ſames Schutzmittel gegen die Fährlichkeiten des Gewitters aber konnte natürlich auch erſt erdacht werden, als man ſich über die Natur des Phänomens im Klaren war. Der erſte, der den Weg des Verſuches betrat, war Benjamin Franklin. Zwar hatten andere bereits vor ihm das als Vermutung ausgeſprochen, was Franklin experimentell be- gründete, aber das Verdienſt dieſes wird dadurch in nichts geſchmälert. So hatte Wall 1698 beobachtet, daß man durch Reiben eines Stückes Bernſtein eine ſtarke Lichtentwickelung erhalten könne, daß nämlich von dem Bernſtein auf einen genäherten Finger ein Funke hinüberfährt, und daß man auch gleichzeitig ein Kniſtern oder Geräuſch vernimmt. Hieran hatte er die Bemerkung geknüpft: „Das Licht und das Kniſtern ſcheint einigermaßen Blitz und Donner darzuſtellen.“ Nun iſt der griechiſche Name des Bernſteins Elektron, und jene Erſcheinung, die im Zuſammenhange mit noch andern zuerſt an dieſem Material be- obachtet wurde, wird daher als eine elektriſche bezeichnet. Somit hatte Wall zuerſt die elektriſche Natur des Gewitters vermutet. Wir wollen dieſe am Bernſtein auftretenden Phänomene ganz kurz erläutern; das wird uns dazu dienen, Franklins Verſuche genauer zu verſtehen. Reibt man ein Stück dieſes koſtbaren Harzes mit einem Tuche, ſo gewinnt es dadurch die Fähigkeit, leichte Körperchen an ſich heran zu ziehen. Aber die Umarmung dauert nicht eben lange. Nach kurzer Friſt werden die Teilchen mit derſelben Heftigkeit fortgeſtoßen, mit der ſie vorher gegen den Bernſtein hingezogen wurden. Das iſt nun keine Eigentümlichkeit des Bernſteins allein. Er teilt dieſelbe mit anderen Harzen, z. B. dem Hartgummi und dem Siegellack, und auch manche Glasart nimmt beim Reiben jene Anziehungskraft an. Man ſagt deshalb, daß alle dieſe Körper beim Reiben elektriſch werden. Es hat ſich aber herausgeſtellt, daß jenes Körperchen, nachdem es einmal von

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/142>, abgerufen am 25.04.2024.