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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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III. Die Wohnung.

1. Die Baumaterialien.

Die Bauten aus Holz und natürlichen Steinen.

Wenn der Satz, daß die Not der Erfindungen Mutter ist, zu irgend
einer Zeit Geltung gehabt hat, so war dies offenbar in der Kindheit
des Menschengeschlechtes. Wenn der Urmensch vor dem Wüten ent-
fesselter Elemente Schutz suchend, in der Haut der erlegten Jagdbeute
die seinige barg, so ward er zum Erfinder der Kleidung, wenn er die
Zweige und Stämme der Bäume aus der gleichen Not zum wohn-
lichen Obdach verband, so hatte er die Wohnung erfunden. Beides
erhob ihn keineswegs über die Stufe des Tieres. Wir begegnen im
Tierreiche manchem Wesen, das durch seinen geschickten Wohnungsbau
und durch die Fähigkeit, sich mit einer künstlich zusammengefügten Hülle
zu umgeben, die ersten Menschen offenbar übertraf. Jene hervorragende
Stellung unter den lebenden Wesen erringt derselbe erst durch das
Hinzutreten einer Vielfachheit von anderen Fähigkeiten.

"Im Fleiß kann dich die Biene meistern,
In der Geschicklichkeit ein Wurm Dein Lehrer sein,
Dein Wissen teilest Du mit höheren Geistern,
Die Kunst, o Mensch, hast Du allein."

Es ist jene Mannigfaltigkeit des Könnens, welche jede einzelne
Kunstfertigkeit des Menschen einschließt, die ihm die oberste Stufe im
Range der lebenden Wesen sicherte. Jede Tierspezies besitzt eben
höchstens zwei oder drei in ganz bestimmter Richtung wirksame Fertig-
keiten, der Mensch besitzt deren so viele und in so verschiedener Weise
variierbare, daß er als alleinige Spezies eine Vielheit von Baustilen
und von Moden zu erzeugen wußte. In diesen Namen fassen wir die
höchsten Staffeln zusammen, denen der Erfindungstrieb seit den Tagen
der Urzeit zustrebte. Lang war der Weg zu diesen, und es ist derselbe
Weg, den jede Erfindung nehmen muß, die sich im Laufe der Zeiten

III. Die Wohnung.

1. Die Baumaterialien.

Die Bauten aus Holz und natürlichen Steinen.

Wenn der Satz, daß die Not der Erfindungen Mutter iſt, zu irgend
einer Zeit Geltung gehabt hat, ſo war dies offenbar in der Kindheit
des Menſchengeſchlechtes. Wenn der Urmenſch vor dem Wüten ent-
feſſelter Elemente Schutz ſuchend, in der Haut der erlegten Jagdbeute
die ſeinige barg, ſo ward er zum Erfinder der Kleidung, wenn er die
Zweige und Stämme der Bäume aus der gleichen Not zum wohn-
lichen Obdach verband, ſo hatte er die Wohnung erfunden. Beides
erhob ihn keineswegs über die Stufe des Tieres. Wir begegnen im
Tierreiche manchem Weſen, das durch ſeinen geſchickten Wohnungsbau
und durch die Fähigkeit, ſich mit einer künſtlich zuſammengefügten Hülle
zu umgeben, die erſten Menſchen offenbar übertraf. Jene hervorragende
Stellung unter den lebenden Weſen erringt derſelbe erſt durch das
Hinzutreten einer Vielfachheit von anderen Fähigkeiten.

„Im Fleiß kann dich die Biene meiſtern,
In der Geſchicklichkeit ein Wurm Dein Lehrer ſein,
Dein Wiſſen teileſt Du mit höheren Geiſtern,
Die Kunſt, o Menſch, haſt Du allein.“

Es iſt jene Mannigfaltigkeit des Könnens, welche jede einzelne
Kunſtfertigkeit des Menſchen einſchließt, die ihm die oberſte Stufe im
Range der lebenden Weſen ſicherte. Jede Tierſpezies beſitzt eben
höchſtens zwei oder drei in ganz beſtimmter Richtung wirkſame Fertig-
keiten, der Menſch beſitzt deren ſo viele und in ſo verſchiedener Weiſe
variierbare, daß er als alleinige Spezies eine Vielheit von Bauſtilen
und von Moden zu erzeugen wußte. In dieſen Namen faſſen wir die
höchſten Staffeln zuſammen, denen der Erfindungstrieb ſeit den Tagen
der Urzeit zuſtrebte. Lang war der Weg zu dieſen, und es iſt derſelbe
Weg, den jede Erfindung nehmen muß, die ſich im Laufe der Zeiten

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[[261]/0279] III. Die Wohnung. 1. Die Baumaterialien. Die Bauten aus Holz und natürlichen Steinen. Wenn der Satz, daß die Not der Erfindungen Mutter iſt, zu irgend einer Zeit Geltung gehabt hat, ſo war dies offenbar in der Kindheit des Menſchengeſchlechtes. Wenn der Urmenſch vor dem Wüten ent- feſſelter Elemente Schutz ſuchend, in der Haut der erlegten Jagdbeute die ſeinige barg, ſo ward er zum Erfinder der Kleidung, wenn er die Zweige und Stämme der Bäume aus der gleichen Not zum wohn- lichen Obdach verband, ſo hatte er die Wohnung erfunden. Beides erhob ihn keineswegs über die Stufe des Tieres. Wir begegnen im Tierreiche manchem Weſen, das durch ſeinen geſchickten Wohnungsbau und durch die Fähigkeit, ſich mit einer künſtlich zuſammengefügten Hülle zu umgeben, die erſten Menſchen offenbar übertraf. Jene hervorragende Stellung unter den lebenden Weſen erringt derſelbe erſt durch das Hinzutreten einer Vielfachheit von anderen Fähigkeiten. „Im Fleiß kann dich die Biene meiſtern, In der Geſchicklichkeit ein Wurm Dein Lehrer ſein, Dein Wiſſen teileſt Du mit höheren Geiſtern, Die Kunſt, o Menſch, haſt Du allein.“ Es iſt jene Mannigfaltigkeit des Könnens, welche jede einzelne Kunſtfertigkeit des Menſchen einſchließt, die ihm die oberſte Stufe im Range der lebenden Weſen ſicherte. Jede Tierſpezies beſitzt eben höchſtens zwei oder drei in ganz beſtimmter Richtung wirkſame Fertig- keiten, der Menſch beſitzt deren ſo viele und in ſo verſchiedener Weiſe variierbare, daß er als alleinige Spezies eine Vielheit von Bauſtilen und von Moden zu erzeugen wußte. In dieſen Namen faſſen wir die höchſten Staffeln zuſammen, denen der Erfindungstrieb ſeit den Tagen der Urzeit zuſtrebte. Lang war der Weg zu dieſen, und es iſt derſelbe Weg, den jede Erfindung nehmen muß, die ſich im Laufe der Zeiten

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. [261]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/279>, abgerufen am 20.04.2024.