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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die Röhrenerzeugung.
aber ein engeres Kaliber und einen dickeren Dorn auswählt. Soll
die Röhre jetzt wieder durch, so muß sie sich strecken und während die
Wandungen dünner werden, wird sie bei jedem Durchgange länger.
Dreimal bis viermal eilt sie mit großer Geschwindigkeit durch die
Walzen und wird zuletzt, damit sie sich beim Erkalten nicht verziehe,
mehrere Male auf der Kratzbank durch Hartgußringe mit scharfen ge-
schliffenen Rändern gezogen, wobei auch der Glühspan abgeschabt wird.
Die Schweißnaht ist hierbei ganz unbedenklich, die Röhren haben sich
für Gasleitungen in den Gebäuden, für Siederöhren bei Dampf-
kesseln u. s. w. vorzüglich bewährt, aber wie es überall geht, so ist
auch hier das Bessere der Feind des Guten und das Bessere ist das
Mannesmannsche Verfahren, Röhren ohne weitere Vorbereitung aus
einem vollen Blocke durch bloßes Walzen herzustellen. Die ganzen
vorbereitenden Arbeiten, das Blechwalzen, das Biegen, mehrmalige
Erhitzen, und was sonst noch alles nötig war, fällt einfach fort. Das
Mannesmannsche Verfahren bedeutet eine vollständige Umwälzung auf
diesem Gebiete, es ist in jeder Richtung neu und originell, es ver-
einfacht das ganze Verfahren, indem es gestattet, in einem Durchgange
eine fast unbegrenzte Streckung zu erzielen, und noch obendrein die
Röhre völlig ohne Naht herstellt.

Bei den bisher angeführten Walzwerken liegen die Walzen so,
daß ihre Achsen einander vollkommen parallel sind. Laufen dieselben
in entgegengesetzter Richtung, so wird ein rechtwinklig zur Walzen-
achse eingeführtes Werkstück je nach der Schnelligkeit der Umdrehung
mit mehr oder minder großer Geschwindigkeit hindurchgezogen; laufen
dagegen Ober- und Unterwalze in derselben Umdrehungsrichtung, so
wird ein in der Walzenrichtung eingebrachtes Werkstück sich zwar eben-
falls in eine drehende Bewegung versetzen, aber auf seiner Stelle liegen
bleiben. Beide Methoden werden zur Formgebung benutzt, bei
beiden aber hütet man sich davor, das Werkstück in Schrauben-
bewegung geraten zu lassen, mit welcher eine Faserdrehung, und ein
leichtes Zerbröckeln des Materials verbunden wäre, namentlich dann,
wenn die Querschnittsverringerung und Streckung eine erhebliche ist.
Bei Mannesmann wird das Umgekehrte erstrebt, nämlich größte Faser-
drehung mit größter Streckung und Querschnittsverringerung. Beides
wird erreicht durch eine besondere Walzenanordnung. Die Walzen-
achsen sind nicht mehr einander parallel, sondern bilden einen Winkel
mit einander, ja sie liegen nicht einmal in derselben Ebene, sondern
sie kreuzen sich. Man kann sich eine Vorstellung von dieser An-
ordnung in folgender Weise machen. Beim gewöhnlichen Walzwerk
hebt man die Oberwalze an einem Ende, während man die Unter-
walze an demselben Ende senkt, dann bilden die Achsen in der-
selben Ebene einen Winkel. Darauf zieht man an demselben Ende
die Oberwalze nach rechts, die Unterwalze nach links, dann liegen
die anderen Enden nicht mehr bei einander, sondern die Walzen

Die Röhrenerzeugung.
aber ein engeres Kaliber und einen dickeren Dorn auswählt. Soll
die Röhre jetzt wieder durch, ſo muß ſie ſich ſtrecken und während die
Wandungen dünner werden, wird ſie bei jedem Durchgange länger.
Dreimal bis viermal eilt ſie mit großer Geſchwindigkeit durch die
Walzen und wird zuletzt, damit ſie ſich beim Erkalten nicht verziehe,
mehrere Male auf der Kratzbank durch Hartgußringe mit ſcharfen ge-
ſchliffenen Rändern gezogen, wobei auch der Glühſpan abgeſchabt wird.
Die Schweißnaht iſt hierbei ganz unbedenklich, die Röhren haben ſich
für Gasleitungen in den Gebäuden, für Siederöhren bei Dampf-
keſſeln u. ſ. w. vorzüglich bewährt, aber wie es überall geht, ſo iſt
auch hier das Beſſere der Feind des Guten und das Beſſere iſt das
Mannesmannſche Verfahren, Röhren ohne weitere Vorbereitung aus
einem vollen Blocke durch bloßes Walzen herzuſtellen. Die ganzen
vorbereitenden Arbeiten, das Blechwalzen, das Biegen, mehrmalige
Erhitzen, und was ſonſt noch alles nötig war, fällt einfach fort. Das
Mannesmannſche Verfahren bedeutet eine vollſtändige Umwälzung auf
dieſem Gebiete, es iſt in jeder Richtung neu und originell, es ver-
einfacht das ganze Verfahren, indem es geſtattet, in einem Durchgange
eine faſt unbegrenzte Streckung zu erzielen, und noch obendrein die
Röhre völlig ohne Naht herſtellt.

Bei den bisher angeführten Walzwerken liegen die Walzen ſo,
daß ihre Achſen einander vollkommen parallel ſind. Laufen dieſelben
in entgegengeſetzter Richtung, ſo wird ein rechtwinklig zur Walzen-
achſe eingeführtes Werkſtück je nach der Schnelligkeit der Umdrehung
mit mehr oder minder großer Geſchwindigkeit hindurchgezogen; laufen
dagegen Ober- und Unterwalze in derſelben Umdrehungsrichtung, ſo
wird ein in der Walzenrichtung eingebrachtes Werkſtück ſich zwar eben-
falls in eine drehende Bewegung verſetzen, aber auf ſeiner Stelle liegen
bleiben. Beide Methoden werden zur Formgebung benutzt, bei
beiden aber hütet man ſich davor, das Werkſtück in Schrauben-
bewegung geraten zu laſſen, mit welcher eine Faſerdrehung, und ein
leichtes Zerbröckeln des Materials verbunden wäre, namentlich dann,
wenn die Querſchnittsverringerung und Streckung eine erhebliche iſt.
Bei Mannesmann wird das Umgekehrte erſtrebt, nämlich größte Faſer-
drehung mit größter Streckung und Querſchnittsverringerung. Beides
wird erreicht durch eine beſondere Walzenanordnung. Die Walzen-
achſen ſind nicht mehr einander parallel, ſondern bilden einen Winkel
mit einander, ja ſie liegen nicht einmal in derſelben Ebene, ſondern
ſie kreuzen ſich. Man kann ſich eine Vorſtellung von dieſer An-
ordnung in folgender Weiſe machen. Beim gewöhnlichen Walzwerk
hebt man die Oberwalze an einem Ende, während man die Unter-
walze an demſelben Ende ſenkt, dann bilden die Achſen in der-
ſelben Ebene einen Winkel. Darauf zieht man an demſelben Ende
die Oberwalze nach rechts, die Unterwalze nach links, dann liegen
die anderen Enden nicht mehr bei einander, ſondern die Walzen

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[669/0687] Die Röhrenerzeugung. aber ein engeres Kaliber und einen dickeren Dorn auswählt. Soll die Röhre jetzt wieder durch, ſo muß ſie ſich ſtrecken und während die Wandungen dünner werden, wird ſie bei jedem Durchgange länger. Dreimal bis viermal eilt ſie mit großer Geſchwindigkeit durch die Walzen und wird zuletzt, damit ſie ſich beim Erkalten nicht verziehe, mehrere Male auf der Kratzbank durch Hartgußringe mit ſcharfen ge- ſchliffenen Rändern gezogen, wobei auch der Glühſpan abgeſchabt wird. Die Schweißnaht iſt hierbei ganz unbedenklich, die Röhren haben ſich für Gasleitungen in den Gebäuden, für Siederöhren bei Dampf- keſſeln u. ſ. w. vorzüglich bewährt, aber wie es überall geht, ſo iſt auch hier das Beſſere der Feind des Guten und das Beſſere iſt das Mannesmannſche Verfahren, Röhren ohne weitere Vorbereitung aus einem vollen Blocke durch bloßes Walzen herzuſtellen. Die ganzen vorbereitenden Arbeiten, das Blechwalzen, das Biegen, mehrmalige Erhitzen, und was ſonſt noch alles nötig war, fällt einfach fort. Das Mannesmannſche Verfahren bedeutet eine vollſtändige Umwälzung auf dieſem Gebiete, es iſt in jeder Richtung neu und originell, es ver- einfacht das ganze Verfahren, indem es geſtattet, in einem Durchgange eine faſt unbegrenzte Streckung zu erzielen, und noch obendrein die Röhre völlig ohne Naht herſtellt. Bei den bisher angeführten Walzwerken liegen die Walzen ſo, daß ihre Achſen einander vollkommen parallel ſind. Laufen dieſelben in entgegengeſetzter Richtung, ſo wird ein rechtwinklig zur Walzen- achſe eingeführtes Werkſtück je nach der Schnelligkeit der Umdrehung mit mehr oder minder großer Geſchwindigkeit hindurchgezogen; laufen dagegen Ober- und Unterwalze in derſelben Umdrehungsrichtung, ſo wird ein in der Walzenrichtung eingebrachtes Werkſtück ſich zwar eben- falls in eine drehende Bewegung verſetzen, aber auf ſeiner Stelle liegen bleiben. Beide Methoden werden zur Formgebung benutzt, bei beiden aber hütet man ſich davor, das Werkſtück in Schrauben- bewegung geraten zu laſſen, mit welcher eine Faſerdrehung, und ein leichtes Zerbröckeln des Materials verbunden wäre, namentlich dann, wenn die Querſchnittsverringerung und Streckung eine erhebliche iſt. Bei Mannesmann wird das Umgekehrte erſtrebt, nämlich größte Faſer- drehung mit größter Streckung und Querſchnittsverringerung. Beides wird erreicht durch eine beſondere Walzenanordnung. Die Walzen- achſen ſind nicht mehr einander parallel, ſondern bilden einen Winkel mit einander, ja ſie liegen nicht einmal in derſelben Ebene, ſondern ſie kreuzen ſich. Man kann ſich eine Vorſtellung von dieſer An- ordnung in folgender Weiſe machen. Beim gewöhnlichen Walzwerk hebt man die Oberwalze an einem Ende, während man die Unter- walze an demſelben Ende ſenkt, dann bilden die Achſen in der- ſelben Ebene einen Winkel. Darauf zieht man an demſelben Ende die Oberwalze nach rechts, die Unterwalze nach links, dann liegen die anderen Enden nicht mehr bei einander, ſondern die Walzen

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 669. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/687>, abgerufen am 25.04.2024.