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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die Schreibschrift.
ist zuerst zu nennen die Chiffernschrift, die den Zweck hat, nur ganz
bestimmten Personen die Entzifferung einer Botschaft zu ermöglichen.
Schon bei den alten Griechen sehen wir die Anfänge einer solchen
Geheimschrift. Es wurde nämlich ein schmaler Pergamentstreifen auf
einen Stock so aufgerollt, daß sich die Ränder der verschiedenen Spiral-
windungen des Streifens gerade berührten. Darauf beschrieb man
das Pergament der Länge des Stockes nach, so daß also Teile desselben
Wortes an ganz verschiedenen Stellen des Streifens standen, wickelte
den Streifen wieder ab und rollte ihn in sich zusammen. Es konnte dann
nur derjenige die Schrift lesen, der sich im Besitz eines gleich dicken
Stabes befand, auf den er den Streifen wieder aufrollte. Die neueren
Chiffernschriften beruhen meist auf der Ersetzung aller oder einzelner
Buchstaben durch eine bestimmte Zahlenfolge, die natürlich vorher
zwischen den Beteiligten verabredet ist. Es lassen sich dadurch so kom-
plizierte Geheimschriften herstellen, daß es nur dem schärfsten Nach-
denken und langen Bemühungen manchmal gelingt, eine solche Schrift
zu entziffern, wenn man sich nicht im Besitz des dazu nötigen "Schlüssels",
d. h. der Erklärung der angewandten Chiffern befindet. Recht ingeniös
erdacht ist eine Art Geheimschrift, die noch in der Mitte dieses Jahr-
hunderts viel in Gebrauch war. Sie beruht darauf, daß sich in den
Händen zweier Korrespondenten zwei gleiche Gitter mit einer in un-
regelmäßigen Zwischenräumen angebrachten größeren Anzahl Öffnungen
befinden. Man legt die Gitter auf das Papier und schreibt in jede
Öffnung einen oder mehrere Buchstaben hinein, so daß eine Folge
von Öffnungen gerade durch ein Wort ausgefüllt wird. Hat man
alles, was man mitteilen wollte, in die Öffnungen hineingeschrieben, so
nimmt man das Gitter fort und füllt die Zwischenräume zwischen den
schon dastehenden Buchstaben mit anderen ganz beliebigen Buchstaben aus,
so daß die Schrift nur für den lesbar ist, der, im Besitze eines gleichen
Gitters, wieder die ungiltigen Buchstaben mit demselben verdecken kann.

Eine sehr wichtige humanitäre Erfindung, die viel Kopfzerbrechen
verursacht hat, ist die Blindenschrift. Nachdem der Franzose Valentin
Hauy, dem der große Ruhm gebührt, zuerst das staatliche Interesse
zur Errichtung von Blindenanstalten erregt zu haben, im Jahre 1785
die Erfindung gemacht hatte, durch Anwendung erhabener Buchstaben
den Blinden das Lesen zu ermöglichen, wurden von ihm und späteren
Denkern vielfache Versuche unternommen, den Blinden auch das
Schreiben und gleichzeitig das Lesen des Geschriebenen angängig zu
machen. Aber erst im Jahre 1830 gelang es dem Franzosen Charles
Barbier die Grundlage zur heutigen Blindenschrift zu legen. Seine
Methode besteht darin, daß die Buchstaben durch Punkt-Anordnungen
ersetzt werden, deren Fixierung auf Papier durch ein durchlöchertes
Lineal hindurch mittels eines spitzen Instrumentes geschieht. Zwischen
den Buchstaben wird ein kleiner, zwischen den Wörtern ein größerer
Zwischenraum gelassen.

Die Schreibſchrift.
iſt zuerſt zu nennen die Chiffernſchrift, die den Zweck hat, nur ganz
beſtimmten Perſonen die Entzifferung einer Botſchaft zu ermöglichen.
Schon bei den alten Griechen ſehen wir die Anfänge einer ſolchen
Geheimſchrift. Es wurde nämlich ein ſchmaler Pergamentſtreifen auf
einen Stock ſo aufgerollt, daß ſich die Ränder der verſchiedenen Spiral-
windungen des Streifens gerade berührten. Darauf beſchrieb man
das Pergament der Länge des Stockes nach, ſo daß alſo Teile desſelben
Wortes an ganz verſchiedenen Stellen des Streifens ſtanden, wickelte
den Streifen wieder ab und rollte ihn in ſich zuſammen. Es konnte dann
nur derjenige die Schrift leſen, der ſich im Beſitz eines gleich dicken
Stabes befand, auf den er den Streifen wieder aufrollte. Die neueren
Chiffernſchriften beruhen meiſt auf der Erſetzung aller oder einzelner
Buchſtaben durch eine beſtimmte Zahlenfolge, die natürlich vorher
zwiſchen den Beteiligten verabredet iſt. Es laſſen ſich dadurch ſo kom-
plizierte Geheimſchriften herſtellen, daß es nur dem ſchärfſten Nach-
denken und langen Bemühungen manchmal gelingt, eine ſolche Schrift
zu entziffern, wenn man ſich nicht im Beſitz des dazu nötigen „Schlüſſels“,
d. h. der Erklärung der angewandten Chiffern befindet. Recht ingeniös
erdacht iſt eine Art Geheimſchrift, die noch in der Mitte dieſes Jahr-
hunderts viel in Gebrauch war. Sie beruht darauf, daß ſich in den
Händen zweier Korreſpondenten zwei gleiche Gitter mit einer in un-
regelmäßigen Zwiſchenräumen angebrachten größeren Anzahl Öffnungen
befinden. Man legt die Gitter auf das Papier und ſchreibt in jede
Öffnung einen oder mehrere Buchſtaben hinein, ſo daß eine Folge
von Öffnungen gerade durch ein Wort ausgefüllt wird. Hat man
alles, was man mitteilen wollte, in die Öffnungen hineingeſchrieben, ſo
nimmt man das Gitter fort und füllt die Zwiſchenräume zwiſchen den
ſchon daſtehenden Buchſtaben mit anderen ganz beliebigen Buchſtaben aus,
ſo daß die Schrift nur für den lesbar iſt, der, im Beſitze eines gleichen
Gitters, wieder die ungiltigen Buchſtaben mit demſelben verdecken kann.

Eine ſehr wichtige humanitäre Erfindung, die viel Kopfzerbrechen
verurſacht hat, iſt die Blindenſchrift. Nachdem der Franzoſe Valentin
Hauy, dem der große Ruhm gebührt, zuerſt das ſtaatliche Intereſſe
zur Errichtung von Blindenanſtalten erregt zu haben, im Jahre 1785
die Erfindung gemacht hatte, durch Anwendung erhabener Buchſtaben
den Blinden das Leſen zu ermöglichen, wurden von ihm und ſpäteren
Denkern vielfache Verſuche unternommen, den Blinden auch das
Schreiben und gleichzeitig das Leſen des Geſchriebenen angängig zu
machen. Aber erſt im Jahre 1830 gelang es dem Franzoſen Charles
Barbier die Grundlage zur heutigen Blindenſchrift zu legen. Seine
Methode beſteht darin, daß die Buchſtaben durch Punkt-Anordnungen
erſetzt werden, deren Fixierung auf Papier durch ein durchlöchertes
Lineal hindurch mittels eines ſpitzen Inſtrumentes geſchieht. Zwiſchen
den Buchſtaben wird ein kleiner, zwiſchen den Wörtern ein größerer
Zwiſchenraum gelaſſen.

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[939/0957] Die Schreibſchrift. iſt zuerſt zu nennen die Chiffernſchrift, die den Zweck hat, nur ganz beſtimmten Perſonen die Entzifferung einer Botſchaft zu ermöglichen. Schon bei den alten Griechen ſehen wir die Anfänge einer ſolchen Geheimſchrift. Es wurde nämlich ein ſchmaler Pergamentſtreifen auf einen Stock ſo aufgerollt, daß ſich die Ränder der verſchiedenen Spiral- windungen des Streifens gerade berührten. Darauf beſchrieb man das Pergament der Länge des Stockes nach, ſo daß alſo Teile desſelben Wortes an ganz verſchiedenen Stellen des Streifens ſtanden, wickelte den Streifen wieder ab und rollte ihn in ſich zuſammen. Es konnte dann nur derjenige die Schrift leſen, der ſich im Beſitz eines gleich dicken Stabes befand, auf den er den Streifen wieder aufrollte. Die neueren Chiffernſchriften beruhen meiſt auf der Erſetzung aller oder einzelner Buchſtaben durch eine beſtimmte Zahlenfolge, die natürlich vorher zwiſchen den Beteiligten verabredet iſt. Es laſſen ſich dadurch ſo kom- plizierte Geheimſchriften herſtellen, daß es nur dem ſchärfſten Nach- denken und langen Bemühungen manchmal gelingt, eine ſolche Schrift zu entziffern, wenn man ſich nicht im Beſitz des dazu nötigen „Schlüſſels“, d. h. der Erklärung der angewandten Chiffern befindet. Recht ingeniös erdacht iſt eine Art Geheimſchrift, die noch in der Mitte dieſes Jahr- hunderts viel in Gebrauch war. Sie beruht darauf, daß ſich in den Händen zweier Korreſpondenten zwei gleiche Gitter mit einer in un- regelmäßigen Zwiſchenräumen angebrachten größeren Anzahl Öffnungen befinden. Man legt die Gitter auf das Papier und ſchreibt in jede Öffnung einen oder mehrere Buchſtaben hinein, ſo daß eine Folge von Öffnungen gerade durch ein Wort ausgefüllt wird. Hat man alles, was man mitteilen wollte, in die Öffnungen hineingeſchrieben, ſo nimmt man das Gitter fort und füllt die Zwiſchenräume zwiſchen den ſchon daſtehenden Buchſtaben mit anderen ganz beliebigen Buchſtaben aus, ſo daß die Schrift nur für den lesbar iſt, der, im Beſitze eines gleichen Gitters, wieder die ungiltigen Buchſtaben mit demſelben verdecken kann. Eine ſehr wichtige humanitäre Erfindung, die viel Kopfzerbrechen verurſacht hat, iſt die Blindenſchrift. Nachdem der Franzoſe Valentin Hauy, dem der große Ruhm gebührt, zuerſt das ſtaatliche Intereſſe zur Errichtung von Blindenanſtalten erregt zu haben, im Jahre 1785 die Erfindung gemacht hatte, durch Anwendung erhabener Buchſtaben den Blinden das Leſen zu ermöglichen, wurden von ihm und ſpäteren Denkern vielfache Verſuche unternommen, den Blinden auch das Schreiben und gleichzeitig das Leſen des Geſchriebenen angängig zu machen. Aber erſt im Jahre 1830 gelang es dem Franzoſen Charles Barbier die Grundlage zur heutigen Blindenſchrift zu legen. Seine Methode beſteht darin, daß die Buchſtaben durch Punkt-Anordnungen erſetzt werden, deren Fixierung auf Papier durch ein durchlöchertes Lineal hindurch mittels eines ſpitzen Inſtrumentes geſchieht. Zwiſchen den Buchſtaben wird ein kleiner, zwiſchen den Wörtern ein größerer Zwiſchenraum gelaſſen.

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 939. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/957>, abgerufen am 29.03.2024.