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Sanders, Daniel: Aus der Werkstatt eines Wörterbuchschreibers. Plaudereien. Berlin, 1889.

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"Wenn du dich lebenslang beschäftigest mit Wörtern,
Verachten dich mit Recht, die lieber Ding' erörtern.
Wenn du dich wenigstens beschäftigtest mit Worten,
Aus welchen aufgebaut sind der Begriffe Pforten!
Doch, wenn du wirklich dich beschäftigst mit dem Wort,
Es ist nichts Höheres zu finden hier noch dort."

Dann aber sagte ich mir sofort, nicht bloß, dass
dieser sechszeilige Spruch schon durch seinen Umfang
nicht zu der von dem Verleger gewählten Buchgröße
passe, sondern auch, dass er leicht eine falsche Meinung
über den Werth erwecken könne, welcher nach meiner
Schätzung der Thätigkeit des Wörterbuchschreibers zu-
kommt.

Ich verkenne einerseits nicht und habe nie ver-
kannt, wie unendlich höher das oft wie mühelos mit
der Gewalt und Schnelle des Blitzes zu Tage tretende
Thun der von göttlichem Geiste erleuchteten und durch-
drungenen wahren Wortschöpfer steht als die mühe-
volle, still und langsam, aber stetig wirkende Arbeit
der kleinern Geister, welche die von der Gesammtheit
aller schöpferischen Geister eines Volkes in den Wör-
tern seiner Sprache niedergelegten Schätze möglichst
vollständig und erschöpfend zu sammeln, übersichtlich
zu ordnen und den über die ungeahnte und in der
stetigen Fortentwicklung gradezu unerschöpflichen Fülle

„Wenn du dich lebenslang beſchäftigeſt mit Wörtern,
Verachten dich mit Recht, die lieber Ding’ erörtern.
Wenn du dich wenigſtens beſchäftigteſt mit Worten,
Aus welchen aufgebaut ſind der Begriffe Pforten!
Doch, wenn du wirklich dich beſchäftigſt mit dem Wort,
Es iſt nichts Höheres zu finden hier noch dort.“

Dann aber ſagte ich mir ſofort, nicht bloß, daſs
dieſer ſechszeilige Spruch ſchon durch ſeinen Umfang
nicht zu der von dem Verleger gewählten Buchgröße
paſſe, ſondern auch, daſs er leicht eine falſche Meinung
über den Werth erwecken könne, welcher nach meiner
Schätzung der Thätigkeit des Wörterbuchſchreibers zu-
kommt.

Ich verkenne einerſeits nicht und habe nie ver-
kannt, wie unendlich höher das oft wie mühelos mit
der Gewalt und Schnelle des Blitzes zu Tage tretende
Thun der von göttlichem Geiſte erleuchteten und durch-
drungenen wahren Wortſchöpfer ſteht als die mühe-
volle, ſtill und langſam, aber ſtetig wirkende Arbeit
der kleinern Geiſter, welche die von der Geſammtheit
aller ſchöpferiſchen Geiſter eines Volkes in den Wör-
tern ſeiner Sprache niedergelegten Schätze möglichſt
vollſtändig und erſchöpfend zu ſammeln, überſichtlich
zu ordnen und den über die ungeahnte und in der
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[XIV/0022] „Wenn du dich lebenslang beſchäftigeſt mit Wörtern, Verachten dich mit Recht, die lieber Ding’ erörtern. Wenn du dich wenigſtens beſchäftigteſt mit Worten, Aus welchen aufgebaut ſind der Begriffe Pforten! Doch, wenn du wirklich dich beſchäftigſt mit dem Wort, Es iſt nichts Höheres zu finden hier noch dort.“ Dann aber ſagte ich mir ſofort, nicht bloß, daſs dieſer ſechszeilige Spruch ſchon durch ſeinen Umfang nicht zu der von dem Verleger gewählten Buchgröße paſſe, ſondern auch, daſs er leicht eine falſche Meinung über den Werth erwecken könne, welcher nach meiner Schätzung der Thätigkeit des Wörterbuchſchreibers zu- kommt. Ich verkenne einerſeits nicht und habe nie ver- kannt, wie unendlich höher das oft wie mühelos mit der Gewalt und Schnelle des Blitzes zu Tage tretende Thun der von göttlichem Geiſte erleuchteten und durch- drungenen wahren Wortſchöpfer ſteht als die mühe- volle, ſtill und langſam, aber ſtetig wirkende Arbeit der kleinern Geiſter, welche die von der Geſammtheit aller ſchöpferiſchen Geiſter eines Volkes in den Wör- tern ſeiner Sprache niedergelegten Schätze möglichſt vollſtändig und erſchöpfend zu ſammeln, überſichtlich zu ordnen und den über die ungeahnte und in der ſtetigen Fortentwicklung gradezu unerſchöpflichen Fülle

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Zitationshilfe: Sanders, Daniel: Aus der Werkstatt eines Wörterbuchschreibers. Plaudereien. Berlin, 1889, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sanders_woerterbuchschreiber_1889/22>, abgerufen am 28.03.2024.