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Sanders, Daniel: Aus der Werkstatt eines Wörterbuchschreibers. Plaudereien. Berlin, 1889.

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los für sich, als milde und freigebig gegen Noth-
leidende, als nach Kräften hilfsbereit gegen Alle in
allen Lagen. Ich bin auf meinem Lebenswege sehr
vielen Männern begegnet, die meinen Vater an Gaben
des Geistes und an geistiger Ausbildung weit, weit
überragt haben, aber keinem einzigen, der ihn an
Herzensbildung, an Wohlwollen gegen alle Menschen,
an Bieder- und Gradsinn übertroffen hätte, keinem,
in dem mehr die Goethe'sche Forderung verkörpert zu
Tage getreten wäre:

"Der edle Mensch
Sei hilfreich und gut!
Unermüdet schaff' er
Das Nützliche, Rechte,
Sei uns ein Vorbild
Jener geahneten Wesen!"

Als Kind hätte ich natürlich Das, was ich hier
über meinen Vater gesagt, nicht in Worte zu fassen
vermocht und auch von Andern habe ich, so viel ich
weiß, es so im Zusammenhang nicht gehört, sondern
mehr nur gelegentlich in einzelnen zerstreuten und ab-
gerissenen Ausrufen und Andeutungen; aber gefühlt
habe ich es, so lange ich denken kann, wie im eigenen
Herzen, so in dem von allen Bewohnern unseres
Städtchens gegen meinen Vater unwillkürlich sich kund-

los für ſich, als milde und freigebig gegen Noth-
leidende, als nach Kräften hilfsbereit gegen Alle in
allen Lagen. Ich bin auf meinem Lebenswege ſehr
vielen Männern begegnet, die meinen Vater an Gaben
des Geiſtes und an geiſtiger Ausbildung weit, weit
überragt haben, aber keinem einzigen, der ihn an
Herzensbildung, an Wohlwollen gegen alle Menſchen,
an Bieder- und Gradſinn übertroffen hätte, keinem,
in dem mehr die Goethe’ſche Forderung verkörpert zu
Tage getreten wäre:

„Der edle Menſch
Sei hilfreich und gut!
Unermüdet ſchaff’ er
Das Nützliche, Rechte,
Sei uns ein Vorbild
Jener geahneten Weſen!“

Als Kind hätte ich natürlich Das, was ich hier
über meinen Vater geſagt, nicht in Worte zu faſſen
vermocht und auch von Andern habe ich, ſo viel ich
weiß, es ſo im Zuſammenhang nicht gehört, ſondern
mehr nur gelegentlich in einzelnen zerſtreuten und ab-
geriſſenen Ausrufen und Andeutungen; aber gefühlt
habe ich es, ſo lange ich denken kann, wie im eigenen
Herzen, ſo in dem von allen Bewohnern unſeres
Städtchens gegen meinen Vater unwillkürlich ſich kund-

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[6/0034] los für ſich, als milde und freigebig gegen Noth- leidende, als nach Kräften hilfsbereit gegen Alle in allen Lagen. Ich bin auf meinem Lebenswege ſehr vielen Männern begegnet, die meinen Vater an Gaben des Geiſtes und an geiſtiger Ausbildung weit, weit überragt haben, aber keinem einzigen, der ihn an Herzensbildung, an Wohlwollen gegen alle Menſchen, an Bieder- und Gradſinn übertroffen hätte, keinem, in dem mehr die Goethe’ſche Forderung verkörpert zu Tage getreten wäre: „Der edle Menſch Sei hilfreich und gut! Unermüdet ſchaff’ er Das Nützliche, Rechte, Sei uns ein Vorbild Jener geahneten Weſen!“ Als Kind hätte ich natürlich Das, was ich hier über meinen Vater geſagt, nicht in Worte zu faſſen vermocht und auch von Andern habe ich, ſo viel ich weiß, es ſo im Zuſammenhang nicht gehört, ſondern mehr nur gelegentlich in einzelnen zerſtreuten und ab- geriſſenen Ausrufen und Andeutungen; aber gefühlt habe ich es, ſo lange ich denken kann, wie im eigenen Herzen, ſo in dem von allen Bewohnern unſeres Städtchens gegen meinen Vater unwillkürlich ſich kund-

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Zitationshilfe: Sanders, Daniel: Aus der Werkstatt eines Wörterbuchschreibers. Plaudereien. Berlin, 1889, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sanders_woerterbuchschreiber_1889/34>, abgerufen am 28.03.2024.