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Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,1. Nürnberg, 1675.

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Definition der Mahlerey-Kunst.DIe Adeliche Mahlerey-Kunst/ ist eine Kunst/ eine Fläche/ mit unterschiedlichen Farben/ auf einer Tafel/ Mauer oder Tuch/ nach dem Abriß oder Zeichnung / zu überziehen: welche durch vernünftige Austheilung und künstlich-gezogene Striche/ eine Figur oder Bildnis entwerffen.

Die Zeichnung/ gleichwie sie eine rechte Mutter ist mehr-ermeldter unserer dreyen Künste/ und Die Vernunft/ ist der Zeichnung Ursprung/ ihren Ursprung aus der Vernunft hat/ so erfordert solche ein sonderbares Urtheil/ als die universal-Form/ Idea oder Modell aller Dinge/ so die Natur jemals gebohren. Dann diese machet in dem menschlichen Leib/ in den Thieren und Pflanzen/ folgbar auch in der Gebäu- Bildhauer- und Mahler-Arbeit/ die proportion und Gleichheit zwischen dem ganzen völligen Corpo und seinen Theilen/ und den Unterschied zwischen denselben/ erkennen. Und aus dieser Erkäntnis entspringet eine gewiße imagination, Einbildung/ Meinung und Urtheil / welches ihm der Künstler in seinem Verstand vor-formet/ und nachmals mit Kreide/ Rötel oder Kohlen/ durch die Hand/ zu Papier bringet.

und nicht der ungefähre Zufall. Es glauben etliche/ der Ursprung und Vatter des Zeichnens sey der ungefähre Zufall oder Geraht-wol/ die Ubung oder Erfahrenheit aber nehre und erziehe dieses Kind/ als eine Seugamme oder Lehrmeisterin/ mit Hülfe der Erkantnis. Ich aber vermeine zum Widerspiel/ daß der ungefähre Zufall dieselbe nicht gebohren/ sondern nur darzu Anlaß und Ursach gegeben habe.

Hieraus ist nun leichtlich zu schließen/ daß die Definition oder Beschreibung der Zeichnung. Zeichnung nichts anders seye/ als ein erkantlicher Entwurff/ Abbildung oder Erklärung unsers Concepts/ welchen wir in dem Gemüt ausgebrütet/ und der Einbildung/ als eine Form oder Idea, vorgestellet. Sprüchw. Ex ungue Leo. Der Verstand ermisset einen Leib/ aus einem Theil desselben. Es ist ein Welt-kündiges Sprüchwort der Alten: Ex ungue Leo, der Löw aus der Klaue. Damit wird so viel gesaget/ daß/ wann einem vernünftigen Manne nur ein Stuck von einem natürlichen Corpo vorgewiesen werde/ er alsofort in seinem Verstand den ganzen Leib mit allen dessen Theilen/ in seine imagination oder Einbildung fasse/ gleich als ob ihm derselbe völlig und lebhaft vor Augen gestellet wäre.

Es ist aber zu der Zeichnung vonnöten/ daß die Was für eine Hand zum Zeichnen erfordert werde. Hand mit sonderbarem Fleiß und durch langwürige Ubung sich expedit, färtig und hurtig mache/ alles mit der Feder/ Griffel/ Kreide oder Kohle/ abzuzeichnen oder wol nachzubilden/ was die Natur hervor gebracht. Dann wann der Verstand seine wol-ausgesonnene Concepte heraus lässet/ und die Hand/ durch vieler Jahre langen Fleiß in zeichnen geübet/ solche nach der Vernunft zu Papier bringet/ so wird die vollkommene Vortrefflichkeit so wol des Meisters/ als der Kunst/ verspüret. Die Bildhauere gebrauchen sich zuweilen/ anstatt des Weil aber manche Bildhauere in Umrißen und liniren nicht allerdings erfahren sind/ und daher auf das Papier nicht wol zeichnen können/ als machen sie/ an statt dessen/ mit guter proportion und[Spaltenumbruch] Zeichnens/ der Modelle. Maß/ von Erde oder Wachs/ Männlein/ Thiere/ und andere erhobne Modellen/ was sie zu bilden haben/ und stellen solche auf das Papier oder andere Der Zeichnung sind unterschiedliche Arten. flache Ebne/ welche dann auch Zeichnungen von ihnen genennet worden. Also sind des Zeichnens unterschiedliche Arten. Die jenige/ so die Figur nur geringlich mit der Feder/ Kohle oder Kreide in etwas Schizzi, gemeine Abriße. entwerfen/ werden Schizzi oder Abriße benamet. Diese erste Erfindung/ bildet den Concept und die Idea des Verstandes/ und machet/ nur mit einem groben Entwurf/ die Form und Eintheilung des künftigen Gemäldes. Aus solchem schlechten Entwurf/ ersihet der Künstler die Fehler/ so er zu vermeiden hat/ ergrößert zum Theil die kleine Figuren/ und stümmelt die großen/ nach dem Ebenmaß der Vernunft/ damit alles in eine rechte proportion komme. Dann diese Correctur oder Die mus der Verständ beurtheilen. Verbässerung/ welche nachfolglich geschehen soll/ mus zuvor in dem Verstand/ durch Uberleg- und Erwägung der Fehler/ ausgekocht und erzogen werden. Er mus urtheilen/ ob dieses oder jenes vernünftig oder witzig gezeichnet und gestellet seye? ob etwas zu verbässern und zu ändern/ auch wie solche Verbässerung anzugreiffen und zuwegen zu bringen sey? Aus diesem langen discurriren und nachsinnen des Verstandes/ wird nach und nach die Erfahrenheit und Gewonheit reiff und zeitig.

Profil, Umriße:Eine andere Art ist/ die um und um mit Linien umzogen/ Profil, Umriß oder Liedmaß genennet wird. Diese sind zwar/ sowol zur Bau-Kunst und dienen meist zur Architectur. Bildhauerey/ als zur Mahlerey/dienlich/ aber am allermeisten zur Bau-Kunst: weil deren Zeichnung allein in Linien bestehet/ als ihrem Anfang und Ende/ daher sie auch den Namen bekommen/ und das übrige/ vermittels des Modells von Holz/ nach diesen Linien gemacht/ den Steinmetzen und Maurern zugehöret.

Wie die Zeichnung zur Bildhauerey dienlich/ In der Bildhauerey/ dienet die Zeichnung zu allen Umrißen: welche der Bildhauer also von Gesicht zu Gesichtabsehen und in sein Werk bringen kan/ sonderlich wann er einen Theil abzeichnen will/ der bässer herfür kommen soll/ es mag nun in Wachs/ Erde/ Erz/ Marmor oder Holz geschehen.

und zur Mahlerey. In der Mahlerey-Kunst/ dienen diese Zeichnungen auf unterschiedliche Manier/ absonderlich von jeder Figur oder Bildnis einen Umriß zu machen. Wann nun diese gut/ just und nach proportion geschihet/ so ist der Schatten und das Liecht/ welches nachmals beyfüget/ eine Ursach/ daß die lineamenten oder Striche der Figur/ welche man bildet/ besonders erhoben heraus kommen/ und an dem ganzen Bild eine beliebliche Güte und Vollkommenheit erhellet. Wer nun diese Linien wol zu brauchen und anzuwenden weiß/ wird mit der Zeit/ durch stätige Ubung und reiffe Vernunft/ in allen diesen Künsten ein vollkommener Meister werden.

Was zu thun sey/ damit man das Zeichnen wol begreiffe. An Bildern und Statuen/ mus man erstlich zeichnen lernen. Wer aber die Kunst/ alle phantasien und Einbildungen des Gemütes wol auszuzeichnen/ begreiffen will/ hat vonnöten/ daß er/ nachdem er sich ein Zeitlang in Handrißen geübet/ sich ferner exercire/ in Abbildung erhobner stillstehender Stücke/ die aus Marmor/ Gyps oder sonst nach dem Leben gestaltet sind/ wie auch an einer schönen antichen Statue, oder erhobnen Modell von Erbe/

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Definition der Mahlerey-Kunst.DIe Adeliche Mahlerey-Kunst/ ist eine Kunst/ eine Fläche/ mit unterschiedlichen Farben/ auf einer Tafel/ Mauer oder Tuch/ nach dem Abriß oder Zeichnung / zu überziehen: welche durch vernünftige Austheilung und künstlich-gezogene Striche/ eine Figur oder Bildnis entwerffen.

Die Zeichnung/ gleichwie sie eine rechte Mutter ist mehr-ermeldter unserer dreyen Künste/ und Die Vernunft/ ist der Zeichnung Ursprung/ ihren Ursprung aus der Vernunft hat/ so erfordert solche ein sonderbares Urtheil/ als die universal-Form/ Idea oder Modell aller Dinge/ so die Natur jemals gebohren. Dann diese machet in dem menschlichen Leib/ in den Thieren und Pflanzen/ folgbar auch in der Gebäu- Bildhauer- und Mahler-Arbeit/ die proportion und Gleichheit zwischen dem ganzen völligen Corpo und seinen Theilen/ und den Unterschied zwischen denselben/ erkennen. Und aus dieser Erkäntnis entspringet eine gewiße imagination, Einbildung/ Meinung und Urtheil / welches ihm der Künstler in seinem Verstand vor-formet/ und nachmals mit Kreide/ Rötel oder Kohlen/ durch die Hand/ zu Papier bringet.

und nicht der ungefähre Zufall. Es glauben etliche/ der Ursprung und Vatter des Zeichnens sey der ungefähre Zufall oder Geraht-wol/ die Ubung oder Erfahrenheit aber nehre und erziehe dieses Kind/ als eine Seugamme oder Lehrmeisterin/ mit Hülfe der Erkantnis. Ich aber vermeine zum Widerspiel/ daß der ungefähre Zufall dieselbe nicht gebohren/ sondern nur darzu Anlaß und Ursach gegeben habe.

Hieraus ist nun leichtlich zu schließen/ daß die Definition oder Beschreibung der Zeichnung. Zeichnung nichts anders seye/ als ein erkantlicher Entwurff/ Abbildung oder Erklärung unsers Concepts/ welchen wir in dem Gemüt ausgebrütet/ und der Einbildung/ als eine Form oder Idea, vorgestellet. Sprüchw. Ex ungue Leo. Der Verstand ermisset einen Leib/ aus einem Theil desselben. Es ist ein Welt-kündiges Sprüchwort der Alten: Ex ungue Leo, der Löw aus der Klaue. Damit wird so viel gesaget/ daß/ wann einem vernünftigen Manne nur ein Stuck von einem natürlichen Corpo vorgewiesen werde/ er alsofort in seinem Verstand den ganzen Leib mit allen dessen Theilen/ in seine imagination oder Einbildung fasse/ gleich als ob ihm derselbe völlig und lebhaft vor Augen gestellet wäre.

Es ist aber zu der Zeichnung vonnöten/ daß die Was für eine Hand zum Zeichnen erfordert werde. Hand mit sonderbarem Fleiß und durch langwürige Ubung sich expedit, färtig und hurtig mache/ alles mit der Feder/ Griffel/ Kreide oder Kohle/ abzuzeichnen oder wol nachzubilden/ was die Natur hervor gebracht. Dann wann der Verstand seine wol-ausgesonnene Concepte heraus lässet/ und die Hand/ durch vieler Jahre langen Fleiß in zeichnen geübet/ solche nach der Vernunft zu Papier bringet/ so wird die vollkommene Vortrefflichkeit so wol des Meisters/ als der Kunst/ verspüret. Die Bildhauere gebrauchen sich zuweilen/ anstatt des Weil aber manche Bildhauere in Umrißen und liniren nicht allerdings erfahren sind/ und daher auf das Papier nicht wol zeichnen können/ als machen sie/ an statt dessen/ mit guter proportion und[Spaltenumbruch] Zeichnens/ der Modelle. Maß/ von Erde oder Wachs/ Männlein/ Thiere/ und andere erhobne Modellen/ was sie zu bilden haben/ und stellen solche auf das Papier oder andere Der Zeichnung sind unterschiedliche Arten. flache Ebne/ welche dann auch Zeichnungen von ihnen genennet worden. Also sind des Zeichnens unterschiedliche Arten. Die jenige/ so die Figur nur geringlich mit der Feder/ Kohle oder Kreide in etwas Schizzi, gemeine Abriße. entwerfen/ werden Schizzi oder Abriße benamet. Diese erste Erfindung/ bildet den Concept und die Idea des Verstandes/ und machet/ nur mit einem groben Entwurf/ die Form und Eintheilung des künftigen Gemäldes. Aus solchem schlechten Entwurf/ ersihet der Künstler die Fehler/ so er zu vermeiden hat/ ergrößert zum Theil die kleine Figuren/ und stümmelt die großen/ nach dem Ebenmaß der Vernunft/ damit alles in eine rechte proportion komme. Dann diese Correctur oder Die mus der Verständ beurtheilen. Verbässerung/ welche nachfolglich geschehen soll/ mus zuvor in dem Verstand/ durch Uberleg- und Erwägung der Fehler/ ausgekocht und erzogen werden. Er mus urtheilen/ ob dieses oder jenes vernünftig oder witzig gezeichnet und gestellet seye? ob etwas zu verbässern und zu ändern/ auch wie solche Verbässerung anzugreiffen und zuwegen zu bringen sey? Aus diesem langen discurriren und nachsinnen des Verstandes/ wird nach und nach die Erfahrenheit und Gewonheit reiff und zeitig.

Profil, Umriße:Eine andere Art ist/ die um und um mit Linien umzogen/ Profil, Umriß oder Liedmaß genennet wird. Diese sind zwar/ sowol zur Bau-Kunst und dienen meist zur Architectur. Bildhauerey/ als zur Mahlerey/dienlich/ aber am allermeisten zur Bau-Kunst: weil deren Zeichnung allein in Linien bestehet/ als ihrem Anfang und Ende/ daher sie auch den Namen bekommen/ und das übrige/ vermittels des Modells von Holz/ nach diesen Linien gemacht/ den Steinmetzen und Maurern zugehöret.

Wie die Zeichnung zur Bildhauerey dienlich/ In der Bildhauerey/ dienet die Zeichnung zu allen Umrißen: welche der Bildhauer also von Gesicht zu Gesichtabsehen und in sein Werk bringen kan/ sonderlich wann er einen Theil abzeichnen will/ der bässer herfür kommen soll/ es mag nun in Wachs/ Erde/ Erz/ Marmor oder Holz geschehen.

und zur Mahlerey. In der Mahlerey-Kunst/ dienen diese Zeichnungen auf unterschiedliche Manier/ absonderlich von jeder Figur oder Bildnis einen Umriß zu machen. Wann nun diese gut/ just und nach proportion geschihet/ so ist der Schatten und das Liecht/ welches nachmals beyfüget/ eine Ursach/ daß die lineamenten oder Striche der Figur/ welche man bildet/ besonders erhoben heraus kommen/ und an dem ganzen Bild eine beliebliche Güte und Vollkommenheit erhellet. Wer nun diese Linien wol zu brauchen und anzuwenden weiß/ wird mit der Zeit/ durch stätige Ubung und reiffe Vernunft/ in allen diesen Künsten ein vollkommener Meister werden.

Was zu thun sey/ damit man das Zeichnen wol begreiffe. An Bildern und Statuen/ mus man erstlich zeichnen lernen. Wer aber die Kunst/ alle phantasien und Einbildungen des Gemütes wol auszuzeichnen/ begreiffen will/ hat vonnöten/ daß er/ nachdem er sich ein Zeitlang in Handrißen geübet/ sich ferner exercire/ in Abbildung erhobner stillstehender Stücke/ die aus Marmor/ Gyps oder sonst nach dem Leben gestaltet sind/ wie auch an einer schönen antichen Statue, oder erhobnen Modell von Erbe/

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[[I, Buch 3 (Malerei), S. 60]/0239] DIe Adeliche Mahlerey-Kunst/ ist eine Kunst/ eine Fläche/ mit unterschiedlichen Farben/ auf einer Tafel/ Mauer oder Tuch/ nach dem Abriß oder Zeichnung / zu überziehen: welche durch vernünftige Austheilung und künstlich-gezogene Striche/ eine Figur oder Bildnis entwerffen. Definition der Mahlerey-Kunst.Die Zeichnung/ gleichwie sie eine rechte Mutter ist mehr-ermeldter unserer dreyen Künste/ und ihren Ursprung aus der Vernunft hat/ so erfordert solche ein sonderbares Urtheil/ als die universal-Form/ Idea oder Modell aller Dinge/ so die Natur jemals gebohren. Dann diese machet in dem menschlichen Leib/ in den Thieren und Pflanzen/ folgbar auch in der Gebäu- Bildhauer- und Mahler-Arbeit/ die proportion und Gleichheit zwischen dem ganzen völligen Corpo und seinen Theilen/ und den Unterschied zwischen denselben/ erkennen. Und aus dieser Erkäntnis entspringet eine gewiße imagination, Einbildung/ Meinung und Urtheil / welches ihm der Künstler in seinem Verstand vor-formet/ und nachmals mit Kreide/ Rötel oder Kohlen/ durch die Hand/ zu Papier bringet. Die Vernunft/ ist der Zeichnung Ursprung/ Es glauben etliche/ der Ursprung und Vatter des Zeichnens sey der ungefähre Zufall oder Geraht-wol/ die Ubung oder Erfahrenheit aber nehre und erziehe dieses Kind/ als eine Seugamme oder Lehrmeisterin/ mit Hülfe der Erkantnis. Ich aber vermeine zum Widerspiel/ daß der ungefähre Zufall dieselbe nicht gebohren/ sondern nur darzu Anlaß und Ursach gegeben habe. und nicht der ungefähre Zufall.Hieraus ist nun leichtlich zu schließen/ daß die Zeichnung nichts anders seye/ als ein erkantlicher Entwurff/ Abbildung oder Erklärung unsers Concepts/ welchen wir in dem Gemüt ausgebrütet/ und der Einbildung/ als eine Form oder Idea, vorgestellet. Es ist ein Welt-kündiges Sprüchwort der Alten: Ex ungue Leo, der Löw aus der Klaue. Damit wird so viel gesaget/ daß/ wann einem vernünftigen Manne nur ein Stuck von einem natürlichen Corpo vorgewiesen werde/ er alsofort in seinem Verstand den ganzen Leib mit allen dessen Theilen/ in seine imagination oder Einbildung fasse/ gleich als ob ihm derselbe völlig und lebhaft vor Augen gestellet wäre. Definition oder Beschreibung der Zeichnung. Sprüchw. Ex ungue Leo. Der Verstand ermisset einen Leib/ aus einem Theil desselben.Es ist aber zu der Zeichnung vonnöten/ daß die Hand mit sonderbarem Fleiß und durch langwürige Ubung sich expedit, färtig und hurtig mache/ alles mit der Feder/ Griffel/ Kreide oder Kohle/ abzuzeichnen oder wol nachzubilden/ was die Natur hervor gebracht. Dann wann der Verstand seine wol-ausgesonnene Concepte heraus lässet/ und die Hand/ durch vieler Jahre langen Fleiß in zeichnen geübet/ solche nach der Vernunft zu Papier bringet/ so wird die vollkommene Vortrefflichkeit so wol des Meisters/ als der Kunst/ verspüret. Weil aber manche Bildhauere in Umrißen und liniren nicht allerdings erfahren sind/ und daher auf das Papier nicht wol zeichnen können/ als machen sie/ an statt dessen/ mit guter proportion und Maß/ von Erde oder Wachs/ Männlein/ Thiere/ und andere erhobne Modellen/ was sie zu bilden haben/ und stellen solche auf das Papier oder andere flache Ebne/ welche dann auch Zeichnungen von ihnen genennet worden. Also sind des Zeichnens unterschiedliche Arten. Die jenige/ so die Figur nur geringlich mit der Feder/ Kohle oder Kreide in etwas entwerfen/ werden Schizzi oder Abriße benamet. Diese erste Erfindung/ bildet den Concept und die Idea des Verstandes/ und machet/ nur mit einem groben Entwurf/ die Form und Eintheilung des künftigen Gemäldes. Aus solchem schlechten Entwurf/ ersihet der Künstler die Fehler/ so er zu vermeiden hat/ ergrößert zum Theil die kleine Figuren/ und stümmelt die großen/ nach dem Ebenmaß der Vernunft/ damit alles in eine rechte proportion komme. Dann diese Correctur oder Verbässerung/ welche nachfolglich geschehen soll/ mus zuvor in dem Verstand/ durch Uberleg- und Erwägung der Fehler/ ausgekocht und erzogen werden. Er mus urtheilen/ ob dieses oder jenes vernünftig oder witzig gezeichnet und gestellet seye? ob etwas zu verbässern und zu ändern/ auch wie solche Verbässerung anzugreiffen und zuwegen zu bringen sey? Aus diesem langen discurriren und nachsinnen des Verstandes/ wird nach und nach die Erfahrenheit und Gewonheit reiff und zeitig. Was für eine Hand zum Zeichnen erfordert werde. Die Bildhauere gebrauchen sich zuweilen/ anstatt des Zeichnens/ der Modelle. Der Zeichnung sind unterschiedliche Arten. Schizzi, gemeine Abriße. Die mus der Verständ beurtheilen.Eine andere Art ist/ die um und um mit Linien umzogen/ Profil, Umriß oder Liedmaß genennet wird. Diese sind zwar/ sowol zur Bau-Kunst und Bildhauerey/ als zur Mahlerey/dienlich/ aber am allermeisten zur Bau-Kunst: weil deren Zeichnung allein in Linien bestehet/ als ihrem Anfang und Ende/ daher sie auch den Namen bekommen/ und das übrige/ vermittels des Modells von Holz/ nach diesen Linien gemacht/ den Steinmetzen und Maurern zugehöret. Profil, Umriße: dienen meist zur Architectur. In der Bildhauerey/ dienet die Zeichnung zu allen Umrißen: welche der Bildhauer also von Gesicht zu Gesichtabsehen und in sein Werk bringen kan/ sonderlich wann er einen Theil abzeichnen will/ der bässer herfür kommen soll/ es mag nun in Wachs/ Erde/ Erz/ Marmor oder Holz geschehen. Wie die Zeichnung zur Bildhauerey dienlich/ In der Mahlerey-Kunst/ dienen diese Zeichnungen auf unterschiedliche Manier/ absonderlich von jeder Figur oder Bildnis einen Umriß zu machen. Wann nun diese gut/ just und nach proportion geschihet/ so ist der Schatten und das Liecht/ welches nachmals beyfüget/ eine Ursach/ daß die lineamenten oder Striche der Figur/ welche man bildet/ besonders erhoben heraus kommen/ und an dem ganzen Bild eine beliebliche Güte und Vollkommenheit erhellet. Wer nun diese Linien wol zu brauchen und anzuwenden weiß/ wird mit der Zeit/ durch stätige Ubung und reiffe Vernunft/ in allen diesen Künsten ein vollkommener Meister werden. und zur Mahlerey. Wer aber die Kunst/ alle phantasien und Einbildungen des Gemütes wol auszuzeichnen/ begreiffen will/ hat vonnöten/ daß er/ nachdem er sich ein Zeitlang in Handrißen geübet/ sich ferner exercire/ in Abbildung erhobner stillstehender Stücke/ die aus Marmor/ Gyps oder sonst nach dem Leben gestaltet sind/ wie auch an einer schönen antichen Statue, oder erhobnen Modell von Erbe/ Was zu thun sey/ damit man das Zeichnen wol begreiffe. An Bildern und Statuen/ mus man erstlich zeichnen lernen.

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Sandrart.net: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-05-21T09:54:31Z)
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Zitationshilfe: Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,1. Nürnberg, 1675, S. [I, Buch 3 (Malerei), S. 60]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_academie0101_1675/239>, abgerufen am 26.04.2024.