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Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,1. Nürnberg, 1675.

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Die neue gerechte Manier zu mahlen/ ist feistlich/ Neue rechte Manier zu mahlen. mürb/ glatt und und meisterhaft/ weiß die Farben wol zu regiren/ die große Flacken warzunehmen/ wol zu rundiren/ und zwischen beeden die mezze tinten oder halbe Schatten wol zu halten. Dieses letzere gibt der Rundirung ihre Kraft/ zumal wann die Farben nicht blau/ matt und bleich/ als wären es Wasserfarben/ oder Miniatur, sondern glühend/ stark/ warm/ und dem Fleisch gleich/ Vom Wohlcoloriren; angelegt werden. Es sollen auch allezeit die Coloriten/ in ihrer qualitet/ den Schatten/ wie ihn das Liecht vorstellet/ vereinbaren. Man mus auch wol unterscheiden die alte Personen/ die Farben mit unterscheidung der Personen. des Angesichts/ der Leiber und Hände/ an Alten und Jungen. Die Mannsbilder müßen härter colorirt werden/ als zarte Weibsbilder und Kinder. Also/ die stets in der heißen Sonne arbeiten/ oder sonst hartem Luft untergeben sind/ oder auf dem wilden Meer schiffen/ bey denen soll gelb/ schwarz/ braun und roht/ nicht gesparet werden. Den Kienruß' Kienruß mus man in allem/ was von Oelfarben ist/ vermeiden: dann er verstirbet/ und machet andere Farben zu hart/ worunter er gemischet worden. und Smalten/ sind böse Farben. Also ists auch mit dem Smalten gefährlich: auser in großen liechten Luften/ wann er mit viel Weiß auch Nußöl untermischet/ und wann mit sauberem Pensel gemahlet wird: dann mit andern gelblichten Farben zuviel vermischet/ verursacht er auch das versterben.

Durch Abcopiren und Nachahmen/ gelanget man zur Vollkommenheit. Endlich durch Abcopirung der bästen modernen Gemälde/ worinn sich alle diese Dinge erzeigen/ kan man die bäste Manier/ und einen wolfliessenden Pensel ergreiffen: ist also die imitation und Nachahmung/ der sicherste Weg/ in diesen (gleichwie auch in andern) Studien zur perfection zu gelangen.

Der Mahler/ soll in seinen Werken keinen Fehler dulten;Wir wollen/ diesem Discurs, noch etliche gute Lehren und Vermahnungen für unsere Virtuosen anhängen. Wann der Kunstmahler einen Fehler in seinem Werk vermerket/ oder dessen von andern erinnert wird: soll er nicht thun/ wie die unvernünftige Mütter/ die auch die Torheiten an ihren Kindern lieben und loben. Dann ein Strich des Pensels stirbet nicht gleich in der Geburt/ wie die Stimme der Musik und Harmonie, da der Lebensschall mit dem Todes-Hall verbrüdert ist/ sondern er lebet und währet viel Jahre/ und zeiget die Fehler allezeit/ zu schmach der Hand/ die solche begangen. Und ist[Spaltenumbruch] das keine Entschuldigung/ wann einer sagen wolte/ die Noht hätte ihn getrieben/ sich damit zu übereilen/ weil die Lebensmittel schlecht und die Zeit seiner Studien gering gewesen: dann hiermit würde er sich nur mehrers beschuldigen. Tugend und Wissenschaft/ ist der Weg zur Nahrung des Leibes und der Seele/ welche nicht eben in allem Uberfluß bestehet. Wieviel sinnreiche Philosophen und Weltweise/ sind reich von Mitteln gebohren worden: und haben doch solche verlassen/ damit sie nicht von denselben verstricket und gefässelt werden/ sondern desto färtiger der Tugend nachwandeln möchten.

soll nicht seinem/ sondern anderer/ Urteil trauen.Kein ding ist/ das den Menschen mehr betrieget/ als das eigene Urteil/ und die Selbst-Liebe/ die alles sein Thun gut-heisset. Das bäste Urteil ist/ das man von andern/ ja gar von Feinden holet: weil auch die Freunde/ aüs Beyfälligkeit und guter affection, ein Werk für vollkommener ansehen/ als es ist/ liebkosen und lobsprechen/ und nicht die Warheit/ sondern was lieblich in den Ohren klinget/ aussagen. Er mus sich ganz nicht verdriessen lassen/ das Urtheil eines jeden anzunehmen. Und wann gleich andere keine Mahler sind/ so haben sie doch Verstand und Wissenschaft von des Menschen Gestalt und Natur-wesen: daher ihnen erlaubt ist/ von den Werken/ die der Natur nachahmen/ zu urtheilen.

Wer eine Kunst üben will/ mus sie wissen und können.Wer in dieser und andren Künsten etwas löbliches thun will/ der mus sie zuvor recht erlernen. Kunst/ hat ihren Namen vom können: man mus können und kennen/ was man practiciren will. Die ohne Wissenschaft herein platzen/ sind wie die Schiffleute/ die auf das hohe Meer sich begeben/ und doch vorher mit Segeln oder Steurruder sich nicht versehen haben/ auch daher der gewißen Gefahr in die Arme fahren.

Der Mahler soll mehr bey der Natur/ als bey andern/ zur Schul gehen.Ein Mahler/ der mit Verstand und Sinnreichtum versehen ist/ mus sich nicht eben an eines andern Manier binden/ demselben allerdings nachzufolgen: dann also würde er/ nicht ein Sohn/ sondern ein Enkel oder Vetter der Natur seyn. Da er den großen Schauplatz der Natur vor sich hat/ warum wolte andern in die Winkel nachlaufen/ die auch allein von ihr gelernet? Man schöpfet das Wasser reiner und bässer aus den Quellbrunnen/ als aus Bächen oder Cisternen/ die von dannen geronnen sind. Es hat ein jeder die Freyheit/ in der Natur zu studiren.

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Die neue gerechte Manier zu mahlen/ ist feistlich/ Neue rechte Manier zu mahlen. mürb/ glatt und und meisterhaft/ weiß die Farben wol zu regiren/ die große Flacken warzunehmen/ wol zu rundiren/ und zwischen beeden die mezze tinten oder halbe Schatten wol zu halten. Dieses letzere gibt der Rundirung ihre Kraft/ zumal wann die Farben nicht blau/ matt und bleich/ als wären es Wasserfarben/ oder Miniatur, sondern glühend/ stark/ warm/ und dem Fleisch gleich/ Vom Wohlcoloriren; angelegt werden. Es sollen auch allezeit die Coloriten/ in ihrer qualitet/ den Schatten/ wie ihn das Liecht vorstellet/ vereinbaren. Man mus auch wol unterscheiden die alte Personen/ die Farben mit unterscheidung der Personen. des Angesichts/ der Leiber und Hände/ an Alten und Jungen. Die Mannsbilder müßen härter colorirt werden/ als zarte Weibsbilder und Kinder. Also/ die stets in der heißen Sonne arbeiten/ oder sonst hartem Luft untergeben sind/ oder auf dem wilden Meer schiffen/ bey denen soll gelb/ schwarz/ braun und roht/ nicht gesparet werden. Den Kienruß’ Kienruß mus man in allem/ was von Oelfarben ist/ vermeiden: dann er verstirbet/ und machet andere Farben zu hart/ worunter er gemischet worden. und Smalten/ sind böse Farben. Also ists auch mit dem Smalten gefährlich: auser in großen liechten Luften/ wann er mit viel Weiß auch Nußöl untermischet/ und wann mit sauberem Pensel gemahlet wird: dann mit andern gelblichten Farben zuviel vermischet/ verursacht er auch das versterben.

Durch Abcopiren und Nachahmen/ gelanget man zur Vollkommenheit. Endlich durch Abcopirung der bästen modernen Gemälde/ worinn sich alle diese Dinge erzeigen/ kan man die bäste Manier/ und einen wolfliessenden Pensel ergreiffen: ist also die imitation und Nachahmung/ der sicherste Weg/ in diesen (gleichwie auch in andern) Studien zur perfection zu gelangen.

Der Mahler/ soll in seinen Werken keinen Fehler dulten;Wir wollen/ diesem Discurs, noch etliche gute Lehren und Vermahnungen für unsere Virtuosen anhängen. Wann der Kunstmahler einen Fehler in seinem Werk vermerket/ oder dessen von andern erinnert wird: soll er nicht thun/ wie die unvernünftige Mütter/ die auch die Torheiten an ihren Kindern lieben und loben. Dann ein Strich des Pensels stirbet nicht gleich in der Geburt/ wie die Stimme der Musik und Harmonie, da der Lebensschall mit dem Todes-Hall verbrüdert ist/ sondern er lebet und währet viel Jahre/ und zeiget die Fehler allezeit/ zu schmach der Hand/ die solche begangen. Und ist[Spaltenumbruch] das keine Entschuldigung/ wann einer sagen wolte/ die Noht hätte ihn getrieben/ sich damit zu übereilen/ weil die Lebensmittel schlecht und die Zeit seiner Studien gering gewesen: dann hiermit würde er sich nur mehrers beschuldigen. Tugend und Wissenschaft/ ist der Weg zur Nahrung des Leibes und der Seele/ welche nicht eben in allem Uberfluß bestehet. Wieviel sinnreiche Philosophen und Weltweise/ sind reich von Mitteln gebohren worden: und haben doch solche verlassen/ damit sie nicht von denselben verstricket und gefässelt werden/ sondern desto färtiger der Tugend nachwandeln möchten.

soll nicht seinem/ sondern anderer/ Urteil trauen.Kein ding ist/ das den Menschen mehr betrieget/ als das eigene Urteil/ und die Selbst-Liebe/ die alles sein Thun gut-heisset. Das bäste Urteil ist/ das man von andern/ ja gar von Feinden holet: weil auch die Freunde/ aüs Beyfälligkeit und guter affection, ein Werk für vollkommener ansehen/ als es ist/ liebkosen und lobsprechen/ und nicht die Warheit/ sondern was lieblich in den Ohren klinget/ aussagen. Er mus sich ganz nicht verdriessen lassen/ das Urtheil eines jeden anzunehmen. Und wann gleich andere keine Mahler sind/ so haben sie doch Verstand und Wissenschaft von des Menschen Gestalt und Natur-wesen: daher ihnen erlaubt ist/ von den Werken/ die der Natur nachahmen/ zu urtheilen.

Wer eine Kunst üben will/ mus sie wissen und können.Wer in dieser und andren Künsten etwas löbliches thun will/ der mus sie zuvor recht erlernen. Kunst/ hat ihren Namen vom können: man mus können und kennen/ was man practiciren will. Die ohne Wissenschaft herein platzen/ sind wie die Schiffleute/ die auf das hohe Meer sich begeben/ und doch vorher mit Segeln oder Steurruder sich nicht versehen haben/ auch daher der gewißen Gefahr in die Arme fahren.

Der Mahler soll mehr bey der Natur/ als bey andern/ zur Schul gehen.Ein Mahler/ der mit Verstand und Sinnreichtum versehen ist/ mus sich nicht eben an eines andern Manier binden/ demselben allerdings nachzufolgen: dann also würde er/ nicht ein Sohn/ sondern ein Enkel oder Vetter der Natur seyn. Da er den großen Schauplatz der Natur vor sich hat/ warum wolte andern in die Winkel nachlaufen/ die auch allein von ihr gelernet? Man schöpfet das Wasser reiner und bässer aus den Quellbrunnen/ als aus Bächen oder Cisternen/ die von dannen geronnen sind. Es hat ein jeder die Freyheit/ in der Natur zu studiren.

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[[I, Buch 3 (Malerei), S. 73]/0252] Die neue gerechte Manier zu mahlen/ ist feistlich/ mürb/ glatt und und meisterhaft/ weiß die Farben wol zu regiren/ die große Flacken warzunehmen/ wol zu rundiren/ und zwischen beeden die mezze tinten oder halbe Schatten wol zu halten. Dieses letzere gibt der Rundirung ihre Kraft/ zumal wann die Farben nicht blau/ matt und bleich/ als wären es Wasserfarben/ oder Miniatur, sondern glühend/ stark/ warm/ und dem Fleisch gleich/ angelegt werden. Es sollen auch allezeit die Coloriten/ in ihrer qualitet/ den Schatten/ wie ihn das Liecht vorstellet/ vereinbaren. Man mus auch wol unterscheiden die alte Personen/ die Farben des Angesichts/ der Leiber und Hände/ an Alten und Jungen. Die Mannsbilder müßen härter colorirt werden/ als zarte Weibsbilder und Kinder. Also/ die stets in der heißen Sonne arbeiten/ oder sonst hartem Luft untergeben sind/ oder auf dem wilden Meer schiffen/ bey denen soll gelb/ schwarz/ braun und roht/ nicht gesparet werden. Den Kienruß mus man in allem/ was von Oelfarben ist/ vermeiden: dann er verstirbet/ und machet andere Farben zu hart/ worunter er gemischet worden. Also ists auch mit dem Smalten gefährlich: auser in großen liechten Luften/ wann er mit viel Weiß auch Nußöl untermischet/ und wann mit sauberem Pensel gemahlet wird: dann mit andern gelblichten Farben zuviel vermischet/ verursacht er auch das versterben. Neue rechte Manier zu mahlen. Vom Wohlcoloriren; mit unterscheidung der Personen. Kienruß’ und Smalten/ sind böse Farben. Endlich durch Abcopirung der bästen modernen Gemälde/ worinn sich alle diese Dinge erzeigen/ kan man die bäste Manier/ und einen wolfliessenden Pensel ergreiffen: ist also die imitation und Nachahmung/ der sicherste Weg/ in diesen (gleichwie auch in andern) Studien zur perfection zu gelangen. Durch Abcopiren und Nachahmen/ gelanget man zur Vollkommenheit.Wir wollen/ diesem Discurs, noch etliche gute Lehren und Vermahnungen für unsere Virtuosen anhängen. Wann der Kunstmahler einen Fehler in seinem Werk vermerket/ oder dessen von andern erinnert wird: soll er nicht thun/ wie die unvernünftige Mütter/ die auch die Torheiten an ihren Kindern lieben und loben. Dann ein Strich des Pensels stirbet nicht gleich in der Geburt/ wie die Stimme der Musik und Harmonie, da der Lebensschall mit dem Todes-Hall verbrüdert ist/ sondern er lebet und währet viel Jahre/ und zeiget die Fehler allezeit/ zu schmach der Hand/ die solche begangen. Und ist das keine Entschuldigung/ wann einer sagen wolte/ die Noht hätte ihn getrieben/ sich damit zu übereilen/ weil die Lebensmittel schlecht und die Zeit seiner Studien gering gewesen: dann hiermit würde er sich nur mehrers beschuldigen. Tugend und Wissenschaft/ ist der Weg zur Nahrung des Leibes und der Seele/ welche nicht eben in allem Uberfluß bestehet. Wieviel sinnreiche Philosophen und Weltweise/ sind reich von Mitteln gebohren worden: und haben doch solche verlassen/ damit sie nicht von denselben verstricket und gefässelt werden/ sondern desto färtiger der Tugend nachwandeln möchten. Der Mahler/ soll in seinen Werken keinen Fehler dulten;Kein ding ist/ das den Menschen mehr betrieget/ als das eigene Urteil/ und die Selbst-Liebe/ die alles sein Thun gut-heisset. Das bäste Urteil ist/ das man von andern/ ja gar von Feinden holet: weil auch die Freunde/ aüs Beyfälligkeit und guter affection, ein Werk für vollkommener ansehen/ als es ist/ liebkosen und lobsprechen/ und nicht die Warheit/ sondern was lieblich in den Ohren klinget/ aussagen. Er mus sich ganz nicht verdriessen lassen/ das Urtheil eines jeden anzunehmen. Und wann gleich andere keine Mahler sind/ so haben sie doch Verstand und Wissenschaft von des Menschen Gestalt und Natur-wesen: daher ihnen erlaubt ist/ von den Werken/ die der Natur nachahmen/ zu urtheilen. soll nicht seinem/ sondern anderer/ Urteil trauen.Wer in dieser und andren Künsten etwas löbliches thun will/ der mus sie zuvor recht erlernen. Kunst/ hat ihren Namen vom können: man mus können und kennen/ was man practiciren will. Die ohne Wissenschaft herein platzen/ sind wie die Schiffleute/ die auf das hohe Meer sich begeben/ und doch vorher mit Segeln oder Steurruder sich nicht versehen haben/ auch daher der gewißen Gefahr in die Arme fahren. Wer eine Kunst üben will/ mus sie wissen und können.Ein Mahler/ der mit Verstand und Sinnreichtum versehen ist/ mus sich nicht eben an eines andern Manier binden/ demselben allerdings nachzufolgen: dann also würde er/ nicht ein Sohn/ sondern ein Enkel oder Vetter der Natur seyn. Da er den großen Schauplatz der Natur vor sich hat/ warum wolte andern in die Winkel nachlaufen/ die auch allein von ihr gelernet? Man schöpfet das Wasser reiner und bässer aus den Quellbrunnen/ als aus Bächen oder Cisternen/ die von dannen geronnen sind. Es hat ein jeder die Freyheit/ in der Natur zu studiren. Der Mahler soll mehr bey der Natur/ als bey andern/ zur Schul gehen. [Abbildung [Abbildung] ]

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Zitationshilfe: Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,1. Nürnberg, 1675, S. [I, Buch 3 (Malerei), S. 73]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_academie0101_1675/252>, abgerufen am 23.04.2024.