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Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,1. Nürnberg, 1675.

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[Spaltenumbruch] ersticken. Hierdurch wird die Gebärung der Geister entweder allerdings verhintert/ oder/ obschon dieselbige zum theil gezeugt werden/ können sie doch nicht mit dem Geblüt frey und unverhintert ausgetheilt und ausgebreitet werden. Also verdirbet tödet die schöne Gestalt. die Lebens-Krafft/ die schöne und lebhafte Farbe verlischet/ und werden solche Personen ganz gelb/ wie die Erde/ trucken von Angesicht/ furchtsam/ widerwillig und verdrossen.

Die Furcht/ locket gleichfalls die Geister in des Wirkung der Furcht. Menschen Leib hinein: aber nicht langsam/ wie die Traurigkeit/ sondern geschwind und unversehens. Sie macht das Angesicht erbleichen/ die äuserste Glieder erkalten/ und den ganzen Leib erzittren. Endlich entgehet auch die Rede/ und bleibt gleichsam im Rachen stecken. Der puls des Herzens/ ist ungestüm: weil dasselbe/ von großer Mänge des Geblüts und der Geister/ so schnell Ursach des Aufstehens der Haare auf dem Haupt. überfallen wird. Die Haare stehen gen Berg und empor: weil fast alle Wärme/ samt dem Geblüt/ hinnein zu den innerlichen Gliedern entwichen/ daher die äuserste Glieder kälter und truckener/ als ein Marmelstein/ werden/ und die ganze Haut/ samt deren Luftlöchern/ erhartet; wodurch die Wurzeln der Haare/ als welche in denselben stecken/ starr werden und folgbar übersich steigen.

Wirkung der Schamhaftigkeit/ Die Schamhaftigkeit/ ist eine Gemütsregung/ aus Zorn und Furcht vermischt. Wann nun/ im Kampf dieser beyden Affecten/ die Furcht den Sieg behält/ so weichet das Geblüt hinein in den Leib/ das Angesicht erbleichet/ und entstehen allerley Zufälle/ nachdem die natürliche Wärme wenig oder viel in den innnersten Theil des Leibs zusammen getrieben wird. Im gegentheil/ wann der Zorn obsiget/ so kehret der Lauf des Geblüts zurück in die Augen/ daß sie entbrennen und schimmern: worbey zuweilen auch der Mund schaumet.

und Angst. Die Angst/ welche aus großer Furcht/ und häfftigem Zorn vermischt ist/ bewegt das Herz mit diesen beyden Affecten zugleich: dadurch die Lebens-Kräffte in äuserste Noht und Gefahr gerahten.

Neun andere Gemütsregungen. Zu diesen Sechs Gemütsregungen/ werden alle andere referirt und gezogen: als der Haß und die Zweytracht/ zum Zorn; die Leichtsinnigkeit und Ruhmsucht/ zur Freude; der Schrecken und die Kleinmütigkeit/ zur Furcht; die Mißgunst/ Leid und Verzweiflung/ zur Traurigkeit. Und hieraus erhellet genugsam/ wie vielfältig die Affecten/ des Menschen Gestalt/ Angesichter/ Gebärden und Farbe/ verändern können. Maßen das Angesicht/ [Spaltenumbruch] Das Angesicht/ ist des Herzens Uhr-Zeiger: gleichsam der Zeiger ist/ an dem Uhrwerk des Herzens/ und die Stirn dessen Bewegungen anzusagen pfleget.

Ja so gar ist das Angesicht gleichsam eine Figur macht die Menschen und Nationen vor einander unterscheiden und erkennen. des innerlichen Menschen/ daß man daraus einen alten Mann von einem jungen/ ein Weib von einem Mann/ einen Mäßigen von einem Unmäßigen/ einen Gesunden von einem Kranken; auch die Nationen/ einen Mohren von einem Indianer/ einen Franzosen von einem Spanier/ einen Teutschen von einem Italiäner/ endlich auch einen Lebendigen von einem Todten/ leichtlich unterscheiden kan. Und dieses geschihet eben darum/ weil man/ aus dem Angesicht/ das Gemüte und die Sitten des Menschen/ auch oftmals/ was im tiefsten seines Herzens verborgen liget/ errahten kan.

Mahlere/ Oratores und Poeten/ haben einerley Zweck ihres Beruffs. So wird nun der/ so in dieser Wissenschaft andere übertrifft/ billig für den grösten Meister gehalten: gleichwie der nur für einen mittelmäßigen Künstler passirt wird/ der diese erzehlte Affecten nur etlicher maßen wahrnimmet. Die aber/ so gar nichts hierinn thun können/ sind nur für Sudler zu halten: wie sehr sie auch ihnen selbst/ mit Kunst-Einbildung/ schmeichlen mögen.

Die Mahler-Kunst/ hat auch dißfalls eine Verwandschaft mit der Red- und Dicht-Kunst: weil/ nach der Aussage Tullii, auch ihnen/ wie den Oratoren und Poeten obliget/ zugleich zu unterweisen/ Diese Wissenschaft macht einen fürtrefflichen Mahler. zu belüstigen und zu bewegen. Ihr Pflicht bringet mit sich/ (sagt er) daß sie uns sollen unterweisen/ ihre Schuldigkeit ist/ zu Vermehrung ihrer Ehre/ daß sie uns sollen belüstigen; die Notturft ihres Beruffs erfordert/ daß sie unsere Herzen bewegen sollen. Je fürtrefflicher und höher aber eine Kunst oder ein Ding ist/ je tauglicher ist sie/ uns zu bewegen.

Es dichten ja zugleich/ der Mahler und
Poet;

es muß auch sinnen aus der Redner seine Red:
Gemälde/ Vers' und Wort'/ ist was die
dreye bringen.

Es redet das Gemähl und spielet im Gedicht;
der Redner und Poet auch Wörter-Farben
spricht;

Nach Nützung sie zugleich und nach Er-
getzung ringen.

So sind sie dann verwandt/ so sind sie alle
drey

belobet und beliebt/ Mahl-Redner-Dichte-
rey.

[Abbildung]

[Spaltenumbruch] ersticken. Hierdurch wird die Gebärung der Geister entweder allerdings verhintert/ oder/ obschon dieselbige zum theil gezeugt werden/ können sie doch nicht mit dem Geblüt frey und unverhintert ausgetheilt und ausgebreitet werden. Also verdirbet tödet die schöne Gestalt. die Lebens-Krafft/ die schöne und lebhafte Farbe verlischet/ und werden solche Personen ganz gelb/ wie die Erde/ trucken von Angesicht/ furchtsam/ widerwillig und verdrossen.

Die Furcht/ locket gleichfalls die Geister in des Wirkung der Furcht. Menschen Leib hinein: aber nicht langsam/ wie die Traurigkeit/ sondern geschwind und unversehens. Sie macht das Angesicht erbleichen/ die äuserste Glieder erkalten/ und den ganzen Leib erzittren. Endlich entgehet auch die Rede/ und bleibt gleichsam im Rachen stecken. Der puls des Herzens/ ist ungestüm: weil dasselbe/ von großer Mänge des Geblüts und der Geister/ so schnell Ursach des Aufstehens der Haare auf dem Haupt. überfallen wird. Die Haare stehen gen Berg und empor: weil fast alle Wärme/ samt dem Geblüt/ hinnein zu den innerlichen Gliedern entwichen/ daher die äuserste Glieder kälter und truckener/ als ein Marmelstein/ werden/ und die ganze Haut/ samt deren Luftlöchern/ erhartet; wodurch die Wurzeln der Haare/ als welche in denselben stecken/ starr werden und folgbar übersich steigen.

Wirkung der Schamhaftigkeit/ Die Schamhaftigkeit/ ist eine Gemütsregung/ aus Zorn und Furcht vermischt. Wann nun/ im Kampf dieser beyden Affecten/ die Furcht den Sieg behält/ so weichet das Geblüt hinein in den Leib/ das Angesicht erbleichet/ und entstehen allerley Zufälle/ nachdem die natürliche Wärme wenig oder viel in den innnersten Theil des Leibs zusammen getrieben wird. Im gegentheil/ wann der Zorn obsiget/ so kehret der Lauf des Geblüts zurück in die Augen/ daß sie entbrennen und schimmern: worbey zuweilen auch der Mund schaumet.

und Angst. Die Angst/ welche aus großer Furcht/ und häfftigem Zorn vermischt ist/ bewegt das Herz mit diesen beyden Affecten zugleich: dadurch die Lebens-Kräffte in äuserste Noht und Gefahr gerahten.

Neun andere Gemütsregungen. Zu diesen Sechs Gemütsregungen/ werden alle andere referirt und gezogen: als der Haß und die Zweytracht/ zum Zorn; die Leichtsinnigkeit und Ruhmsucht/ zur Freude; der Schrecken und die Kleinmütigkeit/ zur Furcht; die Mißgunst/ Leid und Verzweiflung/ zur Traurigkeit. Und hieraus erhellet genugsam/ wie vielfältig die Affecten/ des Menschen Gestalt/ Angesichter/ Gebärden und Farbe/ verändern können. Maßen das Angesicht/ [Spaltenumbruch] Das Angesicht/ ist des Herzens Uhr-Zeiger: gleichsam der Zeiger ist/ an dem Uhrwerk des Herzens/ und die Stirn dessen Bewegungen anzusagen pfleget.

Ja so gar ist das Angesicht gleichsam eine Figur macht die Menschen und Nationen vor einander unterscheiden und erkennen. des innerlichen Menschen/ daß man daraus einen alten Mann von einem jungen/ ein Weib von einem Mann/ einen Mäßigen von einem Unmäßigen/ einen Gesunden von einem Kranken; auch die Nationen/ einen Mohren von einem Indianer/ einen Franzosen von einem Spanier/ einen Teutschen von einem Italiäner/ endlich auch einen Lebendigen von einem Todten/ leichtlich unterscheiden kan. Und dieses geschihet eben darum/ weil man/ aus dem Angesicht/ das Gemüte und die Sitten des Menschen/ auch oftmals/ was im tiefsten seines Herzens verborgen liget/ errahten kan.

Mahlere/ Oratores und Poeten/ haben einerley Zweck ihres Beruffs. So wird nun der/ so in dieser Wissenschaft andere übertrifft/ billig für den grösten Meister gehalten: gleichwie der nur für einen mittelmäßigen Künstler passirt wird/ der diese erzehlte Affecten nur etlicher maßen wahrnimmet. Die aber/ so gar nichts hierinn thun können/ sind nur für Sudler zu halten: wie sehr sie auch ihnen selbst/ mit Kunst-Einbildung/ schmeichlen mögen.

Die Mahler-Kunst/ hat auch dißfalls eine Verwandschaft mit der Red- und Dicht-Kunst: weil/ nach der Aussage Tullii, auch ihnen/ wie den Oratoren und Poeten obliget/ zugleich zu unterweisen/ Diese Wissenschaft macht einen fürtrefflichen Mahler. zu belüstigen und zu bewegen. Ihr Pflicht bringet mit sich/ (sagt er) daß sie uns sollen unterweisen/ ihre Schuldigkeit ist/ zu Vermehrung ihrer Ehre/ daß sie uns sollen belüstigen; die Notturft ihres Beruffs erfordert/ daß sie unsere Herzen bewegen sollen. Je fürtrefflicher und höher aber eine Kunst oder ein Ding ist/ je tauglicher ist sie/ uns zu bewegen.

Es dichten ja zugleich/ der Mahler und
Poet;

es muß auch sinnen aus der Redner seine Red:
Gemälde/ Vers’ und Wort’/ ist was die
dreye bringen.

Es redet das Gemähl und spielet im Gedicht;
der Redner und Poet auch Wörter-Farben
spricht;

Nach Nützung sie zugleich und nach Er-
getzung ringen.

So sind sie dann verwandt/ so sind sie alle
drey

belobet und beliebt/ Mahl-Redner-Dichte-
rey.

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[[I, Buch 3 (Malerei), S. 78]/0257] ersticken. Hierdurch wird die Gebärung der Geister entweder allerdings verhintert/ oder/ obschon dieselbige zum theil gezeugt werden/ können sie doch nicht mit dem Geblüt frey und unverhintert ausgetheilt und ausgebreitet werden. Also verdirbet die Lebens-Krafft/ die schöne und lebhafte Farbe verlischet/ und werden solche Personen ganz gelb/ wie die Erde/ trucken von Angesicht/ furchtsam/ widerwillig und verdrossen. tödet die schöne Gestalt.Die Furcht/ locket gleichfalls die Geister in des Menschen Leib hinein: aber nicht langsam/ wie die Traurigkeit/ sondern geschwind und unversehens. Sie macht das Angesicht erbleichen/ die äuserste Glieder erkalten/ und den ganzen Leib erzittren. Endlich entgehet auch die Rede/ und bleibt gleichsam im Rachen stecken. Der puls des Herzens/ ist ungestüm: weil dasselbe/ von großer Mänge des Geblüts und der Geister/ so schnell überfallen wird. Die Haare stehen gen Berg und empor: weil fast alle Wärme/ samt dem Geblüt/ hinnein zu den innerlichen Gliedern entwichen/ daher die äuserste Glieder kälter und truckener/ als ein Marmelstein/ werden/ und die ganze Haut/ samt deren Luftlöchern/ erhartet; wodurch die Wurzeln der Haare/ als welche in denselben stecken/ starr werden und folgbar übersich steigen. Wirkung der Furcht. Ursach des Aufstehens der Haare auf dem Haupt. Die Schamhaftigkeit/ ist eine Gemütsregung/ aus Zorn und Furcht vermischt. Wann nun/ im Kampf dieser beyden Affecten/ die Furcht den Sieg behält/ so weichet das Geblüt hinein in den Leib/ das Angesicht erbleichet/ und entstehen allerley Zufälle/ nachdem die natürliche Wärme wenig oder viel in den innnersten Theil des Leibs zusammen getrieben wird. Im gegentheil/ wann der Zorn obsiget/ so kehret der Lauf des Geblüts zurück in die Augen/ daß sie entbrennen und schimmern: worbey zuweilen auch der Mund schaumet. Wirkung der Schamhaftigkeit/ Die Angst/ welche aus großer Furcht/ und häfftigem Zorn vermischt ist/ bewegt das Herz mit diesen beyden Affecten zugleich: dadurch die Lebens-Kräffte in äuserste Noht und Gefahr gerahten. und [Abbildung] Angst. Zu diesen Sechs Gemütsregungen/ werden alle andere referirt und gezogen: als der Haß und die Zweytracht/ zum Zorn; die Leichtsinnigkeit und Ruhmsucht/ zur Freude; der Schrecken und die Kleinmütigkeit/ zur Furcht; die Mißgunst/ Leid und Verzweiflung/ zur Traurigkeit. Und hieraus erhellet genugsam/ wie vielfältig die Affecten/ des Menschen Gestalt/ Angesichter/ Gebärden und Farbe/ verändern können. Maßen das Angesicht/ gleichsam der Zeiger ist/ an dem Uhrwerk des Herzens/ und die Stirn dessen Bewegungen anzusagen pfleget. Neun andere Gemütsregungen. Das Angesicht/ ist des Herzens Uhr-Zeiger:Ja so gar ist das Angesicht gleichsam eine Figur des innerlichen Menschen/ daß man daraus einen alten Mann von einem jungen/ ein Weib von einem Mann/ einen Mäßigen von einem Unmäßigen/ einen Gesunden von einem Kranken; auch die Nationen/ einen Mohren von einem Indianer/ einen Franzosen von einem Spanier/ einen Teutschen von einem Italiäner/ endlich auch einen Lebendigen von einem Todten/ leichtlich unterscheiden kan. Und dieses geschihet eben darum/ weil man/ aus dem Angesicht/ das Gemüte und die Sitten des Menschen/ auch oftmals/ was im tiefsten seines Herzens verborgen liget/ errahten kan. macht die Menschen und Nationen vor einander unterscheiden und erkennen. So wird nun der/ so in dieser Wissenschaft andere übertrifft/ billig für den grösten Meister gehalten: gleichwie der nur für einen mittelmäßigen Künstler passirt wird/ der diese erzehlte Affecten nur etlicher maßen wahrnimmet. Die aber/ so gar nichts hierinn thun können/ sind nur für Sudler zu halten: wie sehr sie auch ihnen selbst/ mit Kunst-Einbildung/ schmeichlen mögen. Mahlere/ Oratores und Poeten/ haben einerley Zweck ihres Beruffs.Die Mahler-Kunst/ hat auch dißfalls eine Verwandschaft mit der Red- und Dicht-Kunst: weil/ nach der Aussage Tullii, auch ihnen/ wie den Oratoren und Poeten obliget/ zugleich zu unterweisen/ zu belüstigen und zu bewegen. Ihr Pflicht bringet mit sich/ (sagt er) daß sie uns sollen unterweisen/ ihre Schuldigkeit ist/ zu Vermehrung ihrer Ehre/ daß sie uns sollen belüstigen; die Notturft ihres Beruffs erfordert/ daß sie unsere Herzen bewegen sollen. Je fürtrefflicher und höher aber eine Kunst oder ein Ding ist/ je tauglicher ist sie/ uns zu bewegen. Diese Wissenschaft macht einen fürtrefflichen Mahler. Es dichten ja zugleich/ der Mahler und Poet; es muß auch sinnen aus der Redner seine Red: Gemälde/ Vers’ und Wort’/ ist was die dreye bringen. Es redet das Gemähl und spielet im Gedicht; der Redner und Poet auch Wörter-Farben spricht; Nach Nützung sie zugleich und nach Er- getzung ringen. So sind sie dann verwandt/ so sind sie alle drey belobet und beliebt/ Mahl-Redner-Dichte- rey. [Abbildung [Abbildung] ]

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Zitationshilfe: Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,1. Nürnberg, 1675, S. [I, Buch 3 (Malerei), S. 78]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_academie0101_1675/257>, abgerufen am 25.04.2024.