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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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dagegen worin sie weit weniger als dieses leisten.
Das Gesetzbuch nun ist eine solche Arbeit, worin die
vereinigte Kraft Vieler keinesweges eine nach Ver-
hältniß erhöhte Kraft seyn würde. Noch mehr: es
wird als ein löbliches, treffliches Werk auf diesem
Wege gar nicht entstehen können, und zwar aus dem
einfachen Grunde, weil es nach seiner Natur weder
eine einzelne Bestimmung, noch ein Aggregat solcher
einzelnen Bestimmungen ist, sondern ein organisches
Ganze. Ein Richtercollegium z. B. ist deshalb mög-
lich, weil über Condemnation oder Absolution in je-
dem einzelnen Fall die Stimmen abgegeben und ge-
zählt werden können. Daß damit die Verfertigung
des Gesetzbuchs keine Aehnlichkeit hat, leuchtet von
selbst ein. Ich komme auf dasjenige zurück, was
oben erörtert worden ist. Unter den Römern zur
Zeit des Papinian war ein Gesetzbuch möglich,
weil ihre gesammte juristische Literatur selbst ein or-
ganisches Ganze war: man könnte (mit einem Kunst-
ausdruck der neueren Juristen) sagen, daß damals
die einzelnen Juristen fungible Personen waren. In
einer solchen Lage gab es sogar mehrere Wege, die
zu einem guten Gesetzbuch führen konnten: entweder
Einer konnte es machen, und die Andern konnten
hinterher einzelne Mängel verbessern, was deswegen
möglich war, weil in der That jeder einzelne als
Repräsentant ihrer juristischen Bildung überhaupt gel-
ten konnte: oder auch Mehrere konnten, unabhän-

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dagegen worin ſie weit weniger als dieſes leiſten.
Das Geſetzbuch nun iſt eine ſolche Arbeit, worin die
vereinigte Kraft Vieler keinesweges eine nach Ver-
hältniß erhöhte Kraft ſeyn würde. Noch mehr: es
wird als ein löbliches, treffliches Werk auf dieſem
Wege gar nicht entſtehen können, und zwar aus dem
einfachen Grunde, weil es nach ſeiner Natur weder
eine einzelne Beſtimmung, noch ein Aggregat ſolcher
einzelnen Beſtimmungen iſt, ſondern ein organiſches
Ganze. Ein Richtercollegium z. B. iſt deshalb mög-
lich, weil über Condemnation oder Abſolution in je-
dem einzelnen Fall die Stimmen abgegeben und ge-
zählt werden können. Daß damit die Verfertigung
des Geſetzbuchs keine Aehnlichkeit hat, leuchtet von
ſelbſt ein. Ich komme auf dasjenige zurück, was
oben erörtert worden iſt. Unter den Römern zur
Zeit des Papinian war ein Geſetzbuch möglich,
weil ihre geſammte juriſtiſche Literatur ſelbſt ein or-
ganiſches Ganze war: man könnte (mit einem Kunſt-
ausdruck der neueren Juriſten) ſagen, daß damals
die einzelnen Juriſten fungible Perſonen waren. In
einer ſolchen Lage gab es ſogar mehrere Wege, die
zu einem guten Geſetzbuch führen konnten: entweder
Einer konnte es machen, und die Andern konnten
hinterher einzelne Mängel verbeſſern, was deswegen
möglich war, weil in der That jeder einzelne als
Repräſentant ihrer juriſtiſchen Bildung überhaupt gel-
ten konnte: oder auch Mehrere konnten, unabhän-

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[157/0167] dagegen worin ſie weit weniger als dieſes leiſten. Das Geſetzbuch nun iſt eine ſolche Arbeit, worin die vereinigte Kraft Vieler keinesweges eine nach Ver- hältniß erhöhte Kraft ſeyn würde. Noch mehr: es wird als ein löbliches, treffliches Werk auf dieſem Wege gar nicht entſtehen können, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es nach ſeiner Natur weder eine einzelne Beſtimmung, noch ein Aggregat ſolcher einzelnen Beſtimmungen iſt, ſondern ein organiſches Ganze. Ein Richtercollegium z. B. iſt deshalb mög- lich, weil über Condemnation oder Abſolution in je- dem einzelnen Fall die Stimmen abgegeben und ge- zählt werden können. Daß damit die Verfertigung des Geſetzbuchs keine Aehnlichkeit hat, leuchtet von ſelbſt ein. Ich komme auf dasjenige zurück, was oben erörtert worden iſt. Unter den Römern zur Zeit des Papinian war ein Geſetzbuch möglich, weil ihre geſammte juriſtiſche Literatur ſelbſt ein or- ganiſches Ganze war: man könnte (mit einem Kunſt- ausdruck der neueren Juriſten) ſagen, daß damals die einzelnen Juriſten fungible Perſonen waren. In einer ſolchen Lage gab es ſogar mehrere Wege, die zu einem guten Geſetzbuch führen konnten: entweder Einer konnte es machen, und die Andern konnten hinterher einzelne Mängel verbeſſern, was deswegen möglich war, weil in der That jeder einzelne als Repräſentant ihrer juriſtiſchen Bildung überhaupt gel- ten konnte: oder auch Mehrere konnten, unabhän- L

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/167>, abgerufen am 25.04.2024.