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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Irrthum und Unwissenheit.
hatte das Edict über die Bonorum Possessio dieselben
Ausdrücke, oder doch ähnliche, gebraucht, so daß die Frist
erst anfangen sollte von der Zeit, wo der Berufene den
Tod und zugleich den Grund seiner Berufung (Testament,
Verwandtschaft u. s. w.) erfahren hatte (a1). Die Unter-
lassung durch factischen Irrthum war also schon unmittel-
bar durch die buchstäbliche Fassung der Rechtsregel gegen
Nachtheil geschützt, so daß sie eines künstlichen Schutzes
gar nicht bedurfte (Num. II.). Allein auf den factischen
Irrthum sollte dieser Schutz beschränkt bleiben, der Rechts-
irrthum sollte ihn nicht genießen (b). Dieser Satz gestat-
tet zwey Anwendungen, und ist in beiden wahr. Die Erb-
schaft geht also durch versäumte Frist verloren, sowohl
wenn der Berufene über das Daseyn oder die Länge die-
ser Frist in Unwissenheit ist, als wenn er, bey völliger
Bekanntschaft mit den verwandtschaftlichen Verhältnissen,
über die Successionsordnung irrt; so z. B., wenn ein ent-
fernter Agnat des Verstorbenen glaubt, daß ein naher
Cognat ihm vorgehe.

Von dieser Regel werden zwey Ausnahmen erwähnt,
die rusticitas und die Minderjährigkeit. Wenn also der
Berufene durch seinen hohen Grad allgemeiner Unbildung
in einer solchen Rechtsunwissenheit sich befindet, so soll
ihm die Versäumniß nicht schaden, das heißt wohl, er soll

(a1) L. 2 pr. quis ordo (38.
15.). ".. ut per singulos dies
et scierit et potuerit admittere."
(b) L. 1 § 1 -- 4 h. t., L. 3
C. h. t., L. 10 de Bon. Poss.
(37. 1.), L. 6 C. qui admitti

(6. 9.).

Irrthum und Unwiſſenheit.
hatte das Edict über die Bonorum Possessio dieſelben
Ausdrücke, oder doch ähnliche, gebraucht, ſo daß die Friſt
erſt anfangen ſollte von der Zeit, wo der Berufene den
Tod und zugleich den Grund ſeiner Berufung (Teſtament,
Verwandtſchaft u. ſ. w.) erfahren hatte (a¹). Die Unter-
laſſung durch factiſchen Irrthum war alſo ſchon unmittel-
bar durch die buchſtäbliche Faſſung der Rechtsregel gegen
Nachtheil geſchützt, ſo daß ſie eines künſtlichen Schutzes
gar nicht bedurfte (Num. II.). Allein auf den factiſchen
Irrthum ſollte dieſer Schutz beſchränkt bleiben, der Rechts-
irrthum ſollte ihn nicht genießen (b). Dieſer Satz geſtat-
tet zwey Anwendungen, und iſt in beiden wahr. Die Erb-
ſchaft geht alſo durch verſäumte Friſt verloren, ſowohl
wenn der Berufene über das Daſeyn oder die Länge die-
ſer Friſt in Unwiſſenheit iſt, als wenn er, bey völliger
Bekanntſchaft mit den verwandtſchaftlichen Verhältniſſen,
über die Succeſſionsordnung irrt; ſo z. B., wenn ein ent-
fernter Agnat des Verſtorbenen glaubt, daß ein naher
Cognat ihm vorgehe.

Von dieſer Regel werden zwey Ausnahmen erwähnt,
die rusticitas und die Minderjährigkeit. Wenn alſo der
Berufene durch ſeinen hohen Grad allgemeiner Unbildung
in einer ſolchen Rechtsunwiſſenheit ſich befindet, ſo ſoll
ihm die Verſäumniß nicht ſchaden, das heißt wohl, er ſoll

(a¹) L. 2 pr. quis ordo (38.
15.). „.. ut per singulos dies
et scierit et potuerit admittere.”
(b) L. 1 § 1 — 4 h. t., L. 3
C. h. t., L. 10 de Bon. Poss.
(37. 1.), L. 6 C. qui admitti

(6. 9.).
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[405/0417] Irrthum und Unwiſſenheit. hatte das Edict über die Bonorum Possessio dieſelben Ausdrücke, oder doch ähnliche, gebraucht, ſo daß die Friſt erſt anfangen ſollte von der Zeit, wo der Berufene den Tod und zugleich den Grund ſeiner Berufung (Teſtament, Verwandtſchaft u. ſ. w.) erfahren hatte (a¹). Die Unter- laſſung durch factiſchen Irrthum war alſo ſchon unmittel- bar durch die buchſtäbliche Faſſung der Rechtsregel gegen Nachtheil geſchützt, ſo daß ſie eines künſtlichen Schutzes gar nicht bedurfte (Num. II.). Allein auf den factiſchen Irrthum ſollte dieſer Schutz beſchränkt bleiben, der Rechts- irrthum ſollte ihn nicht genießen (b). Dieſer Satz geſtat- tet zwey Anwendungen, und iſt in beiden wahr. Die Erb- ſchaft geht alſo durch verſäumte Friſt verloren, ſowohl wenn der Berufene über das Daſeyn oder die Länge die- ſer Friſt in Unwiſſenheit iſt, als wenn er, bey völliger Bekanntſchaft mit den verwandtſchaftlichen Verhältniſſen, über die Succeſſionsordnung irrt; ſo z. B., wenn ein ent- fernter Agnat des Verſtorbenen glaubt, daß ein naher Cognat ihm vorgehe. Von dieſer Regel werden zwey Ausnahmen erwähnt, die rusticitas und die Minderjährigkeit. Wenn alſo der Berufene durch ſeinen hohen Grad allgemeiner Unbildung in einer ſolchen Rechtsunwiſſenheit ſich befindet, ſo ſoll ihm die Verſäumniß nicht ſchaden, das heißt wohl, er ſoll (a¹) L. 2 pr. quis ordo (38. 15.). „.. ut per singulos dies et scierit et potuerit admittere.” (b) L. 1 § 1 — 4 h. t., L. 3 C. h. t., L. 10 de Bon. Poss. (37. 1.), L. 6 C. qui admitti (6. 9.).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/417>, abgerufen am 27.04.2024.