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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
werthlos sey. Denn wenn der unredliche Besitzer den
Besitz der Hauptsache ohne seinen Dolus verliert, so kann
gegen ihn eine Vindication überhaupt nicht mehr angestellt
werden, so daß auch eine Rachforderung der etwa früherhin
versäumten Früchte nicht mehr möglich ist. Wäre dagegen
für diese eine selbstständige Condiction zulässig, so würde
dieselbe auch jetzt noch angestellt werden können.



Eine eigenthümliche Bestimmung über die s. g. fructus
percipiendi
enthält das Preußische A. L. R. Es ver-
pflichtet nicht, so wie das R. R., jeden Beklagten, die
Früchte zu ersetzen, welche zu gewinnen er während der
Dauer des Rechtsstreits etwa versäumt haben möchte,
sondern nur Den, welcher es weiß, daß die Sache, die er
als seine eigene besitzt, einem Anderen zugehöre, also den
wahren, eigentlichen malae fidei possessor (r). -- Diese
Abweichung kann ich nicht billigen. Jedem Beklagten, auch
wenn er noch so fest von seinem Recht überzeugt ist, kann
man ohne Unbilligkeit zumuthen, daß er die Möglichkeit
bedenke, den Prozeß zu verlieren, und für diesen möglichen
Fall sich als den Verwalter eines fremden Gutes ansehe,

(r) A. L. R. Th. 1 Tit. 7 § 229.
Auf den ersten Blick könnte man
glauben, es sey hier nur derselbe
unredliche Besitzer gemeint wie in
§ 222, d. h. eben der Beklagte über-
haupt. Daß aber in der That ein
Unterschied, ein Gegensatz gemeint
ist, zeigt erstlich der verschiedene
Ausdruck beider §§, zweitens die
Vergleichung der § 223--228 mit
§ 229, welcher letzte offenbar etwas
Neues sagen will, drittens die Be-
merkungen von Suarez bei Si-
mon
Zeitschrift B. 3 S. 330 N. 2,
S. 172. Vgl. auch ebendas. S. 633
und oben § 264.

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
werthlos ſey. Denn wenn der unredliche Beſitzer den
Beſitz der Hauptſache ohne ſeinen Dolus verliert, ſo kann
gegen ihn eine Vindication überhaupt nicht mehr angeſtellt
werden, ſo daß auch eine Rachforderung der etwa früherhin
verſäumten Früchte nicht mehr möglich iſt. Wäre dagegen
für dieſe eine ſelbſtſtändige Condiction zuläſſig, ſo würde
dieſelbe auch jetzt noch angeſtellt werden können.



Eine eigenthümliche Beſtimmung über die ſ. g. fructus
percipiendi
enthält das Preußiſche A. L. R. Es ver-
pflichtet nicht, ſo wie das R. R., jeden Beklagten, die
Früchte zu erſetzen, welche zu gewinnen er während der
Dauer des Rechtsſtreits etwa verſäumt haben möchte,
ſondern nur Den, welcher es weiß, daß die Sache, die er
als ſeine eigene beſitzt, einem Anderen zugehöre, alſo den
wahren, eigentlichen malae fidei possessor (r). — Dieſe
Abweichung kann ich nicht billigen. Jedem Beklagten, auch
wenn er noch ſo feſt von ſeinem Recht überzeugt iſt, kann
man ohne Unbilligkeit zumuthen, daß er die Möglichkeit
bedenke, den Prozeß zu verlieren, und für dieſen möglichen
Fall ſich als den Verwalter eines fremden Gutes anſehe,

(r) A. L. R. Th. 1 Tit. 7 § 229.
Auf den erſten Blick könnte man
glauben, es ſey hier nur derſelbe
unredliche Beſitzer gemeint wie in
§ 222, d. h. eben der Beklagte über-
haupt. Daß aber in der That ein
Unterſchied, ein Gegenſatz gemeint
iſt, zeigt erſtlich der verſchiedene
Ausdruck beider §§, zweitens die
Vergleichung der § 223—228 mit
§ 229, welcher letzte offenbar etwas
Neues ſagen will, drittens die Be-
merkungen von Suarez bei Si-
mon
Zeitſchrift B. 3 S. 330 N. 2,
S. 172. Vgl. auch ebendaſ. S. 633
und oben § 264.
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[120/0138] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. werthlos ſey. Denn wenn der unredliche Beſitzer den Beſitz der Hauptſache ohne ſeinen Dolus verliert, ſo kann gegen ihn eine Vindication überhaupt nicht mehr angeſtellt werden, ſo daß auch eine Rachforderung der etwa früherhin verſäumten Früchte nicht mehr möglich iſt. Wäre dagegen für dieſe eine ſelbſtſtändige Condiction zuläſſig, ſo würde dieſelbe auch jetzt noch angeſtellt werden können. Eine eigenthümliche Beſtimmung über die ſ. g. fructus percipiendi enthält das Preußiſche A. L. R. Es ver- pflichtet nicht, ſo wie das R. R., jeden Beklagten, die Früchte zu erſetzen, welche zu gewinnen er während der Dauer des Rechtsſtreits etwa verſäumt haben möchte, ſondern nur Den, welcher es weiß, daß die Sache, die er als ſeine eigene beſitzt, einem Anderen zugehöre, alſo den wahren, eigentlichen malae fidei possessor (r). — Dieſe Abweichung kann ich nicht billigen. Jedem Beklagten, auch wenn er noch ſo feſt von ſeinem Recht überzeugt iſt, kann man ohne Unbilligkeit zumuthen, daß er die Möglichkeit bedenke, den Prozeß zu verlieren, und für dieſen möglichen Fall ſich als den Verwalter eines fremden Gutes anſehe, (r) A. L. R. Th. 1 Tit. 7 § 229. Auf den erſten Blick könnte man glauben, es ſey hier nur derſelbe unredliche Beſitzer gemeint wie in § 222, d. h. eben der Beklagte über- haupt. Daß aber in der That ein Unterſchied, ein Gegenſatz gemeint iſt, zeigt erſtlich der verſchiedene Ausdruck beider §§, zweitens die Vergleichung der § 223—228 mit § 229, welcher letzte offenbar etwas Neues ſagen will, drittens die Be- merkungen von Suarez bei Si- mon Zeitſchrift B. 3 S. 330 N. 2, S. 172. Vgl. auch ebendaſ. S. 633 und oben § 264.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/138>, abgerufen am 19.04.2024.