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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

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§. 258. Wesen der L. C. -- I. R. R. (Fortsetzung.)
sprochenen, auf die Naturalrestitution gerichteten, jussus
oder arbitratus (v). Der speciellere Inhalt aber, so wie
die Veranlassung dieses Inhalts, läßt sich durch folgende
Betrachtung anschaulich machen, die sich an die allgemeine
Natur jedes Rechtsstreits und das daraus hervorgehende
Bedürfniß (§ 256) anschließt. Wenn zwei Parteien vor
den Richter treten, so ist es zunächst völlig ungewiß, wer
von beiden das Recht auf seiner Seite hat. In dieser
Ungewißheit muß für jeden möglichen Ausfall Vorsorge
getroffen werden, und die Parteien werden genöthigt, hier-
über einen Vertrag zu schließen, oder auch (wie in dem
späteren Recht allgemein) sich so behandeln zu lassen, als
ob ein solcher Vertrag geschlossen worden wäre. Der all-
gemeine Inhalt des Vertrages läßt sich, übereinstimmend
mit dem erwähnten Bedürfniß, so ausdrücken: es soll der
Nachtheil ausgeglichen werden, der aus der unvermeid-
lichen Dauer des Rechtsstreits entsteht (w), oder mit an-
deren Worten: der Kläger soll, wenn er den Prozeß ge-
winnt, dasjenige erhalten, was er haben würde, wenn das
Urtheil gleich Anfangs hätte gesprochen werden können (x).

(v) Daraus erklärt es sich, daß die
Unterlassung dieses Gehorsams als
eine unerfüllte Obligation, als eine
Mora, betrachtet wurde, s. unten
§ 273 u.
(w) L. 91 § 7 de leg. 1. "cau-
sa ejus temporis, quo lis con-
testatur, repraesentari debet
actori."
(x) L. 20 de R. V. (6. 1)
"ut omne habeat petitor, quod
habiturus foret, si eo tempore,
quo judicium accipiebatur, re-
stitutus illi homo fuisset."
--
Eben so spricht L. 31 de R. C.
(12. 1), und viele andere Stellen.
Diese Aeußerungen, so wie die in
der Note w. angeführte, sind bei
Gelegenheit einzelner Rechtsver-
hältnisse entstanden, und werden
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§. 258. Weſen der L. C. — I. R. R. (Fortſetzung.)
ſprochenen, auf die Naturalreſtitution gerichteten, jussus
oder arbitratus (v). Der ſpeciellere Inhalt aber, ſo wie
die Veranlaſſung dieſes Inhalts, läßt ſich durch folgende
Betrachtung anſchaulich machen, die ſich an die allgemeine
Natur jedes Rechtsſtreits und das daraus hervorgehende
Bedürfniß (§ 256) anſchließt. Wenn zwei Parteien vor
den Richter treten, ſo iſt es zunächſt völlig ungewiß, wer
von beiden das Recht auf ſeiner Seite hat. In dieſer
Ungewißheit muß für jeden möglichen Ausfall Vorſorge
getroffen werden, und die Parteien werden genöthigt, hier-
über einen Vertrag zu ſchließen, oder auch (wie in dem
ſpäteren Recht allgemein) ſich ſo behandeln zu laſſen, als
ob ein ſolcher Vertrag geſchloſſen worden wäre. Der all-
gemeine Inhalt des Vertrages läßt ſich, übereinſtimmend
mit dem erwähnten Bedürfniß, ſo ausdrücken: es ſoll der
Nachtheil ausgeglichen werden, der aus der unvermeid-
lichen Dauer des Rechtsſtreits entſteht (w), oder mit an-
deren Worten: der Kläger ſoll, wenn er den Prozeß ge-
winnt, dasjenige erhalten, was er haben würde, wenn das
Urtheil gleich Anfangs hätte geſprochen werden können (x).

(v) Daraus erklärt es ſich, daß die
Unterlaſſung dieſes Gehorſams als
eine unerfüllte Obligation, als eine
Mora, betrachtet wurde, ſ. unten
§ 273 u.
(w) L. 91 § 7 de leg. 1. „cau-
sa ejus temporis, quo lis con-
testatur, repraesentari debet
actori.“
(x) L. 20 de R. V. (6. 1)
„ut omne habeat petitor, quod
habiturus foret, si eo tempore,
quo judicium accipiebatur, re-
stitutus illi homo fuisset.“

Eben ſo ſpricht L. 31 de R. C.
(12. 1), und viele andere Stellen.
Dieſe Aeußerungen, ſo wie die in
der Note w. angeführte, ſind bei
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[35/0053] §. 258. Weſen der L. C. — I. R. R. (Fortſetzung.) ſprochenen, auf die Naturalreſtitution gerichteten, jussus oder arbitratus (v). Der ſpeciellere Inhalt aber, ſo wie die Veranlaſſung dieſes Inhalts, läßt ſich durch folgende Betrachtung anſchaulich machen, die ſich an die allgemeine Natur jedes Rechtsſtreits und das daraus hervorgehende Bedürfniß (§ 256) anſchließt. Wenn zwei Parteien vor den Richter treten, ſo iſt es zunächſt völlig ungewiß, wer von beiden das Recht auf ſeiner Seite hat. In dieſer Ungewißheit muß für jeden möglichen Ausfall Vorſorge getroffen werden, und die Parteien werden genöthigt, hier- über einen Vertrag zu ſchließen, oder auch (wie in dem ſpäteren Recht allgemein) ſich ſo behandeln zu laſſen, als ob ein ſolcher Vertrag geſchloſſen worden wäre. Der all- gemeine Inhalt des Vertrages läßt ſich, übereinſtimmend mit dem erwähnten Bedürfniß, ſo ausdrücken: es ſoll der Nachtheil ausgeglichen werden, der aus der unvermeid- lichen Dauer des Rechtsſtreits entſteht (w), oder mit an- deren Worten: der Kläger ſoll, wenn er den Prozeß ge- winnt, dasjenige erhalten, was er haben würde, wenn das Urtheil gleich Anfangs hätte geſprochen werden können (x). (v) Daraus erklärt es ſich, daß die Unterlaſſung dieſes Gehorſams als eine unerfüllte Obligation, als eine Mora, betrachtet wurde, ſ. unten § 273 u. (w) L. 91 § 7 de leg. 1. „cau- sa ejus temporis, quo lis con- testatur, repraesentari debet actori.“ (x) L. 20 de R. V. (6. 1) „ut omne habeat petitor, quod habiturus foret, si eo tempore, quo judicium accipiebatur, re- stitutus illi homo fuisset.“ — Eben ſo ſpricht L. 31 de R. C. (12. 1), und viele andere Stellen. Dieſe Aeußerungen, ſo wie die in der Note w. angeführte, ſind bei Gelegenheit einzelner Rechtsver- hältniſſe entſtanden, und werden 3*

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/53>, abgerufen am 29.03.2024.