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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 7. Berlin, 1848.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
umfaßt zwei hervorstechende Seiten derselben. Die erste
besteht in einer so freien, persönlichen Macht des richter-
lichen Amtes, wie sie sich bei anderen Rechtsinstituten nicht
findet. Zwar ist häufig auch bei gewöhnlichen Klagen von
einem freien Ermessen (arbitrium) die Rede, welches dabei
als zulässig, ja als unentbehrlich erscheint; allein dieses
Ermessen wird stets von festen Rechtsregeln beherrscht, und
die demselben zugeschriebene Freiheit unterscheidet sich wesent-
lich von der nicht unter solcher Herrschaft stehenden Freiheit,
welche in der Anwendung der Restitution wahrzunehmen
ist. Daher kommen auch bei dem Verfahren über die Er-
theilung oder Versagung der Restitution die sonst üblichen
Namen und Formen von actio, exceptio u. s. w. nicht vor.
Diese eigenthümliche Freiheit des Richteramtes bei der Re-
stitution hängt damit zusammen, daß der Restitution zwar
auch Rechtsregeln zum Grunde liegen, aber in der Bildung
begriffene, noch nicht zur Vollendung gekommene Regeln
(§ 316).

Die zweite hervorstechende Seite der Restitution besteht
in der zu ihrer Anwendung ausschließend berufenen Behörde.
Nicht die zum Ausspruch gewöhnlicher Urtheile berufenen
Privatrichter sollten dazu fähig seyn; auch nicht die mit
einer wahren, aber untergeordneten, Gerichtsbarkeit ver-
sehenen Municipalobrigkeiten: sondern in Rom und ganz
Italien nur allein der Prätor, also der Inhaber der höchsten
richterlichen Gewalt. In jeder Provinz freilich wurde dieser,
wie jeder andere Theil der prätorischen Gewalt, von dem

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
umfaßt zwei hervorſtechende Seiten derſelben. Die erſte
beſteht in einer ſo freien, perſönlichen Macht des richter-
lichen Amtes, wie ſie ſich bei anderen Rechtsinſtituten nicht
findet. Zwar iſt häufig auch bei gewöhnlichen Klagen von
einem freien Ermeſſen (arbitrium) die Rede, welches dabei
als zuläſſig, ja als unentbehrlich erſcheint; allein dieſes
Ermeſſen wird ſtets von feſten Rechtsregeln beherrſcht, und
die demſelben zugeſchriebene Freiheit unterſcheidet ſich weſent-
lich von der nicht unter ſolcher Herrſchaft ſtehenden Freiheit,
welche in der Anwendung der Reſtitution wahrzunehmen
iſt. Daher kommen auch bei dem Verfahren über die Er-
theilung oder Verſagung der Reſtitution die ſonſt üblichen
Namen und Formen von actio, exceptio u. ſ. w. nicht vor.
Dieſe eigenthümliche Freiheit des Richteramtes bei der Re-
ſtitution hängt damit zuſammen, daß der Reſtitution zwar
auch Rechtsregeln zum Grunde liegen, aber in der Bildung
begriffene, noch nicht zur Vollendung gekommene Regeln
(§ 316).

Die zweite hervorſtechende Seite der Reſtitution beſteht
in der zu ihrer Anwendung ausſchließend berufenen Behörde.
Nicht die zum Ausſpruch gewöhnlicher Urtheile berufenen
Privatrichter ſollten dazu fähig ſeyn; auch nicht die mit
einer wahren, aber untergeordneten, Gerichtsbarkeit ver-
ſehenen Municipalobrigkeiten: ſondern in Rom und ganz
Italien nur allein der Prätor, alſo der Inhaber der höchſten
richterlichen Gewalt. In jeder Provinz freilich wurde dieſer,
wie jeder andere Theil der prätoriſchen Gewalt, von dem

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[108/0130] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. umfaßt zwei hervorſtechende Seiten derſelben. Die erſte beſteht in einer ſo freien, perſönlichen Macht des richter- lichen Amtes, wie ſie ſich bei anderen Rechtsinſtituten nicht findet. Zwar iſt häufig auch bei gewöhnlichen Klagen von einem freien Ermeſſen (arbitrium) die Rede, welches dabei als zuläſſig, ja als unentbehrlich erſcheint; allein dieſes Ermeſſen wird ſtets von feſten Rechtsregeln beherrſcht, und die demſelben zugeſchriebene Freiheit unterſcheidet ſich weſent- lich von der nicht unter ſolcher Herrſchaft ſtehenden Freiheit, welche in der Anwendung der Reſtitution wahrzunehmen iſt. Daher kommen auch bei dem Verfahren über die Er- theilung oder Verſagung der Reſtitution die ſonſt üblichen Namen und Formen von actio, exceptio u. ſ. w. nicht vor. Dieſe eigenthümliche Freiheit des Richteramtes bei der Re- ſtitution hängt damit zuſammen, daß der Reſtitution zwar auch Rechtsregeln zum Grunde liegen, aber in der Bildung begriffene, noch nicht zur Vollendung gekommene Regeln (§ 316). Die zweite hervorſtechende Seite der Reſtitution beſteht in der zu ihrer Anwendung ausſchließend berufenen Behörde. Nicht die zum Ausſpruch gewöhnlicher Urtheile berufenen Privatrichter ſollten dazu fähig ſeyn; auch nicht die mit einer wahren, aber untergeordneten, Gerichtsbarkeit ver- ſehenen Municipalobrigkeiten: ſondern in Rom und ganz Italien nur allein der Prätor, alſo der Inhaber der höchſten richterlichen Gewalt. In jeder Provinz freilich wurde dieſer, wie jeder andere Theil der prätoriſchen Gewalt, von dem

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 7. Berlin, 1848, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system07_1848/130>, abgerufen am 19.04.2024.