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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 7. Berlin, 1848.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
Ausdruck des canonischen Rechts: negligenter omiserit, da
wir durchaus keinen Grund haben zu der Annahme, daß
das Römische Recht hierin von den Päbsten entweder miß-
verstanden sey, oder habe abgeändert werden sollen.

Nach der hier aufgestellten Ansicht ist also für den An-
fang der Verjährung das Bewußtseyn des Verletzten ganz
gleichgültig. Nur bei zwei Restitutionsgründen verhält es
sich in sofern anders, als bei ihnen der abnorme Zustand,
dessen Aufhören oben erfordert wurde, damit die Verjährung
anfangen können, gerade in dem mangelhaften Bewußtseyn
des Verletzten besteht. Dieses ist der Betrug und der
Irrthum. Der Verletzte muß also aufgehört haben, unter
der Herrschaft jenes mangelhaften Bewußtseyns zu stehen,
damit die Verjährung anfangen könne; die Täuschung ist
in diesen Fällen Dasselbe, welches in anderen Fällen die
Minderjährigkeit oder die Abwesenheit ist, ein in besonderen
Schutz genommenes Hinderniß, Schaden abzuwenden. Die
hier aufgestellte Behauptung also geht nicht etwa auf eine
Ausnahme von den oben angegebenen Grundsätzen, sondern
vielmehr auf eine reine Anwendung derselben (l).

Eine unmittelbare Bestätigung dieser Behauptung liegt
in einer Stelle des canonischen Rechts. Wenn eine Kirche

verjährung, nur mit dem Unter-
schied, daß dabei kein abnormer
Zustand aufgehört haben muß,
folglich die Verjährung stets mit
der Verletzung selbst anfängt.
(l) Auf die Restitution wegen
Zwanges kann Dieses natürlich nicht
angewendet werden, da es kaum
denkbar ist, daß Jemand zu einer
Handlung gezwungen werden sollte,

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Ausdruck des canoniſchen Rechts: negligenter omiserit, da
wir durchaus keinen Grund haben zu der Annahme, daß
das Römiſche Recht hierin von den Päbſten entweder miß-
verſtanden ſey, oder habe abgeändert werden ſollen.

Nach der hier aufgeſtellten Anſicht iſt alſo für den An-
fang der Verjährung das Bewußtſeyn des Verletzten ganz
gleichgültig. Nur bei zwei Reſtitutionsgründen verhält es
ſich in ſofern anders, als bei ihnen der abnorme Zuſtand,
deſſen Aufhören oben erfordert wurde, damit die Verjährung
anfangen können, gerade in dem mangelhaften Bewußtſeyn
des Verletzten beſteht. Dieſes iſt der Betrug und der
Irrthum. Der Verletzte muß alſo aufgehört haben, unter
der Herrſchaft jenes mangelhaften Bewußtſeyns zu ſtehen,
damit die Verjährung anfangen könne; die Täuſchung iſt
in dieſen Fällen Daſſelbe, welches in anderen Fällen die
Minderjährigkeit oder die Abweſenheit iſt, ein in beſonderen
Schutz genommenes Hinderniß, Schaden abzuwenden. Die
hier aufgeſtellte Behauptung alſo geht nicht etwa auf eine
Ausnahme von den oben angegebenen Grundſätzen, ſondern
vielmehr auf eine reine Anwendung derſelben (l).

Eine unmittelbare Beſtätigung dieſer Behauptung liegt
in einer Stelle des canoniſchen Rechts. Wenn eine Kirche

verjährung, nur mit dem Unter-
ſchied, daß dabei kein abnormer
Zuſtand aufgehört haben muß,
folglich die Verjährung ſtets mit
der Verletzung ſelbſt anfängt.
(l) Auf die Reſtitution wegen
Zwanges kann Dieſes natürlich nicht
angewendet werden, da es kaum
denkbar iſt, daß Jemand zu einer
Handlung gezwungen werden ſollte,
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[250/0272] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. Ausdruck des canoniſchen Rechts: negligenter omiserit, da wir durchaus keinen Grund haben zu der Annahme, daß das Römiſche Recht hierin von den Päbſten entweder miß- verſtanden ſey, oder habe abgeändert werden ſollen. Nach der hier aufgeſtellten Anſicht iſt alſo für den An- fang der Verjährung das Bewußtſeyn des Verletzten ganz gleichgültig. Nur bei zwei Reſtitutionsgründen verhält es ſich in ſofern anders, als bei ihnen der abnorme Zuſtand, deſſen Aufhören oben erfordert wurde, damit die Verjährung anfangen können, gerade in dem mangelhaften Bewußtſeyn des Verletzten beſteht. Dieſes iſt der Betrug und der Irrthum. Der Verletzte muß alſo aufgehört haben, unter der Herrſchaft jenes mangelhaften Bewußtſeyns zu ſtehen, damit die Verjährung anfangen könne; die Täuſchung iſt in dieſen Fällen Daſſelbe, welches in anderen Fällen die Minderjährigkeit oder die Abweſenheit iſt, ein in beſonderen Schutz genommenes Hinderniß, Schaden abzuwenden. Die hier aufgeſtellte Behauptung alſo geht nicht etwa auf eine Ausnahme von den oben angegebenen Grundſätzen, ſondern vielmehr auf eine reine Anwendung derſelben (l). Eine unmittelbare Beſtätigung dieſer Behauptung liegt in einer Stelle des canoniſchen Rechts. Wenn eine Kirche (k) (l) Auf die Reſtitution wegen Zwanges kann Dieſes natürlich nicht angewendet werden, da es kaum denkbar iſt, daß Jemand zu einer Handlung gezwungen werden ſollte, (k) verjährung, nur mit dem Unter- ſchied, daß dabei kein abnormer Zuſtand aufgehört haben muß, folglich die Verjährung ſtets mit der Verletzung ſelbſt anfängt.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 7. Berlin, 1848, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system07_1848/272>, abgerufen am 24.04.2024.