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Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 2. Schaffhausen, 1861.

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Verwehen der Seele in der ewigen Ruhe, in der allgemeinen Weltseele, in dem Aufhören des Ichs, sondern das unsterbliche individuelle Fortleben in dem ewigen Lichte. Das indische Büsser- oder Waldsiedlerleben, d. i. das Streben durch die Vernichtung alles sinnlichen Lebens und aller sinnlichen Begierden reiner Geist zu werden, mit Brahma wieder vereinigt zu sein, ist nur eine Art Selbstmord, die Tödtung und Aufhebung des Ich bei lebendem Leibe. Das Wiedergeborenwerden ist die eigentliche Höllenstrafe der Inder und nur das Aufhören, das Verschwinden des Ich ohne Wiedergeburt die Seligkeit. Die ganze Lehre des Buddha beruht darauf, dass der Mensch durch Besiegung und Tödtung alles sinnlichen und geistigen Lebens, der Begierden, Leidenschaften und Vorstellungen aufhören solle zu fühlen und zu denken, um in das Nichts einzugehen, um nicht fortzudauern, um nicht wiedergeboren zu werden.1) Das eigentliche Denkmal des Maurermeisters ist daher er selbst, seine der Himmelsheimath zufliegende Seele; was von uns übrig bleibt, nimmt der gütige Himmel auf und ist in ihm allein wieder zu finden. Der Unsterblichkeitsglaube des Maurers schliesst desshalb auch die feste Hoffnung des Wiedersehens der Seinen, der Brüder in sich. Auch der szufitische Dichter Feridoddin singt:

An dem Auferstehungsmorgen giebt's dereinst ein Wiedersehen.

Ja, die Maurerbrüder sehen sich sicher in dem Lichte wieder, wenn sie lichtvoll gelebt haben und gestorben sind; die Bruderkette reichet, wie die Maurer glaubend beten, durch das Geisterreich; die Guten, die Lichter, die Geister bleiben ewig sich verbunden und verschwistert. Von dem Denkmale der Meister aus den Himmelslüften herab rufen die Dahingeschiedenen den Zurückgebliebenen tröstend zu, dass wir dereinst uns wiedersehen dürfen und wiedersehen werden, wenn wir nicht von dem Lichtgesetze, nicht vom Winkelmass und Zirkel weichen. Wer dem Maurerbunde zugeschworen und den Schwur durch ein lichtvolles Leben und Sterben besiegelt, bleibt den Brüdern in Zeit und Ewigkeit untrennbar verbunden. Es ist der höchste und

1) Dunker, Geschichte des Alterthums, II. S. 182 ff.

Verwehen der Seele in der ewigen Ruhe, in der allgemeinen Weltseele, in dem Aufhören des Ichs, sondern das unsterbliche individuelle Fortleben in dem ewigen Lichte. Das indische Büsser- oder Waldsiedlerleben, d. i. das Streben durch die Vernichtung alles sinnlichen Lebens und aller sinnlichen Begierden reiner Geist zu werden, mit Brahma wieder vereinigt zu sein, ist nur eine Art Selbstmord, die Tödtung und Aufhebung des Ich bei lebendem Leibe. Das Wiedergeborenwerden ist die eigentliche Höllenstrafe der Inder und nur das Aufhören, das Verschwinden des Ich ohne Wiedergeburt die Seligkeit. Die ganze Lehre des Buddha beruht darauf, dass der Mensch durch Besiegung und Tödtung alles sinnlichen und geistigen Lebens, der Begierden, Leidenschaften und Vorstellungen aufhören solle zu fühlen und zu denken, um in das Nichts einzugehen, um nicht fortzudauern, um nicht wiedergeboren zu werden.1) Das eigentliche Denkmal des Maurermeisters ist daher er selbst, seine der Himmelsheimath zufliegende Seele; was von uns übrig bleibt, nimmt der gütige Himmel auf und ist in ihm allein wieder zu finden. Der Unsterblichkeitsglaube des Maurers schliesst desshalb auch die feste Hoffnung des Wiedersehens der Seinen, der Brüder in sich. Auch der szufitische Dichter Feridoddin singt:

An dem Auferstehungsmorgen giebt’s dereinst ein Wiedersehen.

Ja, die Maurerbrüder sehen sich sicher in dem Lichte wieder, wenn sie lichtvoll gelebt haben und gestorben sind; die Bruderkette reichet, wie die Maurer glaubend beten, durch das Geisterreich; die Guten, die Lichter, die Geister bleiben ewig sich verbunden und verschwistert. Von dem Denkmale der Meister aus den Himmelslüften herab rufen die Dahingeschiedenen den Zurückgebliebenen tröstend zu, dass wir dereinst uns wiedersehen dürfen und wiedersehen werden, wenn wir nicht von dem Lichtgesetze, nicht vom Winkelmass und Zirkel weichen. Wer dem Maurerbunde zugeschworen und den Schwur durch ein lichtvolles Leben und Sterben besiegelt, bleibt den Brüdern in Zeit und Ewigkeit untrennbar verbunden. Es ist der höchste und

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[114/0134] Verwehen der Seele in der ewigen Ruhe, in der allgemeinen Weltseele, in dem Aufhören des Ichs, sondern das unsterbliche individuelle Fortleben in dem ewigen Lichte. Das indische Büsser- oder Waldsiedlerleben, d. i. das Streben durch die Vernichtung alles sinnlichen Lebens und aller sinnlichen Begierden reiner Geist zu werden, mit Brahma wieder vereinigt zu sein, ist nur eine Art Selbstmord, die Tödtung und Aufhebung des Ich bei lebendem Leibe. Das Wiedergeborenwerden ist die eigentliche Höllenstrafe der Inder und nur das Aufhören, das Verschwinden des Ich ohne Wiedergeburt die Seligkeit. Die ganze Lehre des Buddha beruht darauf, dass der Mensch durch Besiegung und Tödtung alles sinnlichen und geistigen Lebens, der Begierden, Leidenschaften und Vorstellungen aufhören solle zu fühlen und zu denken, um in das Nichts einzugehen, um nicht fortzudauern, um nicht wiedergeboren zu werden. 1) Das eigentliche Denkmal des Maurermeisters ist daher er selbst, seine der Himmelsheimath zufliegende Seele; was von uns übrig bleibt, nimmt der gütige Himmel auf und ist in ihm allein wieder zu finden. Der Unsterblichkeitsglaube des Maurers schliesst desshalb auch die feste Hoffnung des Wiedersehens der Seinen, der Brüder in sich. Auch der szufitische Dichter Feridoddin singt: An dem Auferstehungsmorgen giebt’s dereinst ein Wiedersehen. Ja, die Maurerbrüder sehen sich sicher in dem Lichte wieder, wenn sie lichtvoll gelebt haben und gestorben sind; die Bruderkette reichet, wie die Maurer glaubend beten, durch das Geisterreich; die Guten, die Lichter, die Geister bleiben ewig sich verbunden und verschwistert. Von dem Denkmale der Meister aus den Himmelslüften herab rufen die Dahingeschiedenen den Zurückgebliebenen tröstend zu, dass wir dereinst uns wiedersehen dürfen und wiedersehen werden, wenn wir nicht von dem Lichtgesetze, nicht vom Winkelmass und Zirkel weichen. Wer dem Maurerbunde zugeschworen und den Schwur durch ein lichtvolles Leben und Sterben besiegelt, bleibt den Brüdern in Zeit und Ewigkeit untrennbar verbunden. Es ist der höchste und 1) Dunker, Geschichte des Alterthums, II. S. 182 ff.

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Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 2. Schaffhausen, 1861, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei02_1861/134>, abgerufen am 16.04.2024.