ge Aufklärung des Verstandes unterlassen wird, die Begriffe unentwickelt liegen bleiben, und an Prüfung und eignes Urtheil nicht gedacht wird, was kann da anders erzeugt werden, als Einsei- tigkeit, Aberglaube, Liebe zum Wunderbaren und andre Geburten der trägen und von der Ein- bildungskraft getäuschten Vernunft? Sobald unter Römern und Griechen ächte Gelehrsamkeit und Aufklärung in Verfall gerieth, die asiatische Ueppigkeit und Lasterhaftigkeit die Denkkraft lähm- te, und Wissenschaft zur Dienerin der Schmei- cheley und Geldgier erniedrigt wurde, füllte sich Rom und seine Provinzen mit Astrologen, Chal- däern und Magiern. Ein Apollonius von Tyana bethörte nicht blos den Pöbel, sondern auch die, welche sich über demselben erhaben glaubten. Er zog durch den wundervollen Nimbus, den er um sich her goß, eine ungeheure Menge von Schü- lern an, und die Hörsäle wahrer Weltweisen wurden leer. Man glaubte seinen Weissagungen, man traute seinen Wundern; und dem Creditiv, welches er als Gesandte und Liebling der Gottheit zu haben vorgab. Man wollte nun Krankheiten nicht mehr durch Arzney, sondern durch Amulete und Zaubermittel heilen; und über das Beste des Staats wurden die Wahrsager eben so oft, wie die Väter der Republik befragt*).
Zur
*) Meiners Beyträge zur Geschichte der Denkart in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt.
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ge Aufklaͤrung des Verſtandes unterlaſſen wird, die Begriffe unentwickelt liegen bleiben, und an Pruͤfung und eignes Urtheil nicht gedacht wird, was kann da anders erzeugt werden, als Einſei- tigkeit, Aberglaube, Liebe zum Wunderbaren und andre Geburten der traͤgen und von der Ein- bildungskraft getaͤuſchten Vernunft? Sobald unter Roͤmern und Griechen aͤchte Gelehrſamkeit und Aufklaͤrung in Verfall gerieth, die aſiatiſche Ueppigkeit und Laſterhaftigkeit die Denkkraft laͤhm- te, und Wiſſenſchaft zur Dienerin der Schmei- cheley und Geldgier erniedrigt wurde, fuͤllte ſich Rom und ſeine Provinzen mit Aſtrologen, Chal- daͤern und Magiern. Ein Apollonius von Tyana bethoͤrte nicht blos den Poͤbel, ſondern auch die, welche ſich uͤber demſelben erhaben glaubten. Er zog durch den wundervollen Nimbus, den er um ſich her goß, eine ungeheure Menge von Schuͤ- lern an, und die Hoͤrſaͤle wahrer Weltweiſen wurden leer. Man glaubte ſeinen Weiſſagungen, man traute ſeinen Wundern; und dem Creditiv, welches er als Geſandte und Liebling der Gottheit zu haben vorgab. Man wollte nun Krankheiten nicht mehr durch Arzney, ſondern durch Amulete und Zaubermittel heilen; und uͤber das Beſte des Staats wurden die Wahrſager eben ſo oft, wie die Vaͤter der Republik befragt*).
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*) Meiners Beytraͤge zur Geſchichte der Denkart in den erſten Jahrhunderten nach Chriſti Geburt.
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ge Aufklaͤrung des Verſtandes unterlaſſen wird,
die Begriffe unentwickelt liegen bleiben, und an
Pruͤfung und eignes Urtheil nicht gedacht wird,
was kann da anders erzeugt werden, als Einſei-
tigkeit, Aberglaube, Liebe zum Wunderbaren
und andre Geburten der traͤgen und von der Ein-
bildungskraft getaͤuſchten Vernunft? Sobald
unter Roͤmern und Griechen aͤchte Gelehrſamkeit
und Aufklaͤrung in Verfall gerieth, die aſiatiſche
Ueppigkeit und Laſterhaftigkeit die Denkkraft laͤhm-
te, und Wiſſenſchaft zur Dienerin der Schmei-
cheley und Geldgier erniedrigt wurde, fuͤllte ſich
Rom und ſeine Provinzen mit Aſtrologen, Chal-
daͤern und Magiern. Ein Apollonius von Tyana
bethoͤrte nicht blos den Poͤbel, ſondern auch die,
welche ſich uͤber demſelben erhaben glaubten. Er
zog durch den wundervollen Nimbus, den er um
ſich her goß, eine ungeheure Menge von Schuͤ-
lern an, und die Hoͤrſaͤle wahrer Weltweiſen
wurden leer. Man glaubte ſeinen Weiſſagungen,
man traute ſeinen Wundern; und dem Creditiv,
welches er als Geſandte und Liebling der Gottheit
zu haben vorgab. Man wollte nun Krankheiten
nicht mehr durch Arzney, ſondern durch Amulete
und Zaubermittel heilen; und uͤber das Beſte des
Staats wurden die Wahrſager eben ſo oft, wie
die Vaͤter der Republik befragt *).
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/285>, abgerufen am 30.03.2023.
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