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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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die an rothem Band über die zottigen Schultern gehängt war -- aber
wie des Weihnachtsaals Thüre sich aufthat und der Herzogin Gewand
entgegenrauschte, machte der nächtliche Spuk Kehrt und polterte lang-
sam durch den dröhnenden Gang zurück.

Die alte Schaffnerin ergriff das Wort und trug ihrer Gebieterin
vor, daß sie fröhlich unten gesessen und sich der Weihnachtgaben er-
freut, da sei das Ungethüm eingebrochen und habe erst zum eigenen
Lautenspiel einen feinen Tanz aufgeführt, hernach aber die Lichter
ausgeblasen und die erschrockenen Maiden mit Kuß und Umarmung
bedroht, und sei so wild und unersättlich geworden, daß es sie Alle
zur Flucht genöthigt; dem rauhen Lachen des Bären aber sei mit Grund
zu entnehmen, daß unter der Wildschur Herr Spazzo der Kämmerer
verborgen stecke, der nach einem scharfen Weintrunk hiemit sein Weih-
nachtvergnügen beschlossen.

Frau Hadwig beruhigte den Unwillen ihres Gesindes und hieß sie
schlafen gehen. Vom Hofe aber tönte noch einmal verwunderter Auf-
ruf; Alle standen in einer Gruppe beisammen und schauten unverrückt
auf den Thurm, denn der schreckhafte Bär war hinaufgestiegen, und
erging sich jetzo auf den Zinnen der Warte und reckte sein struppiges
Haupt nach den Sternen, als wolle er seinem Namensgenossen droben,
dem großen Bären, einen Gruß hinüberwinken in's Unermeßliche.

Die dunkle Vermummung hob sich in deutlichem Umriß vom fah-
len glanzerhellten Himmelsgrunde, gespenstig klang ihr Brummen in
die schweigende Nacht; doch Keinem der Sterblichen ward kund, was
die leuchtenden Gestirne dem weinschweren Haupte Herrn Spazzo des
Kämmerers geoffenbart ...

Um dieselbe Mitternachtstunde kniete Ekkehard vor dem Altar der
Burgcapelle und sang leise die Hymnen der Christmette,134) wie es
die Uebung der Kirche vorschrieb.



die an rothem Band über die zottigen Schultern gehängt war — aber
wie des Weihnachtſaals Thüre ſich aufthat und der Herzogin Gewand
entgegenrauſchte, machte der nächtliche Spuk Kehrt und polterte lang-
ſam durch den dröhnenden Gang zurück.

Die alte Schaffnerin ergriff das Wort und trug ihrer Gebieterin
vor, daß ſie fröhlich unten geſeſſen und ſich der Weihnachtgaben er-
freut, da ſei das Ungethüm eingebrochen und habe erſt zum eigenen
Lautenſpiel einen feinen Tanz aufgeführt, hernach aber die Lichter
ausgeblaſen und die erſchrockenen Maiden mit Kuß und Umarmung
bedroht, und ſei ſo wild und unerſättlich geworden, daß es ſie Alle
zur Flucht genöthigt; dem rauhen Lachen des Bären aber ſei mit Grund
zu entnehmen, daß unter der Wildſchur Herr Spazzo der Kämmerer
verborgen ſtecke, der nach einem ſcharfen Weintrunk hiemit ſein Weih-
nachtvergnügen beſchloſſen.

Frau Hadwig beruhigte den Unwillen ihres Geſindes und hieß ſie
ſchlafen gehen. Vom Hofe aber tönte noch einmal verwunderter Auf-
ruf; Alle ſtanden in einer Gruppe beiſammen und ſchauten unverrückt
auf den Thurm, denn der ſchreckhafte Bär war hinaufgeſtiegen, und
erging ſich jetzo auf den Zinnen der Warte und reckte ſein ſtruppiges
Haupt nach den Sternen, als wolle er ſeinem Namensgenoſſen droben,
dem großen Bären, einen Gruß hinüberwinken in's Unermeßliche.

Die dunkle Vermummung hob ſich in deutlichem Umriß vom fah-
len glanzerhellten Himmelsgrunde, geſpenſtig klang ihr Brummen in
die ſchweigende Nacht; doch Keinem der Sterblichen ward kund, was
die leuchtenden Geſtirne dem weinſchweren Haupte Herrn Spazzo des
Kämmerers geoffenbart ...

Um dieſelbe Mitternachtſtunde kniete Ekkehard vor dem Altar der
Burgcapelle und ſang leiſe die Hymnen der Chriſtmette,134) wie es
die Uebung der Kirche vorſchrieb.



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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/152>, abgerufen am 29.03.2024.