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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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als möcht' er gestraft werden ob deren Versäumniß, auch zur Vigilie
stieg er nach Mitternacht hinunter in die Klosterkirche.

Zur Zeit als seine Mitbrüder auf der Herzogsburg mit den
Sanct Gallischen zechten, stand Heribald im Chor; unheimlich Grauen
der Nacht lag über der Halle, düster flackerte die ewige Lampe: er
aber stimmte unverdrossen und mit heller Stimme den Eingangsvers
an: Herr, neige dich zu meinem Beistand! Herr, eile heran zu meiner
Hilfe! und sang den dritten Psalm, den einst David gesungen, da er
floh vor Absalon seinem Sohn. Wie er an die Stelle kam, wo der
Uebung des Psallirens gemäß die Antiphonie ertönen sollte, hielt er
nach alter Gewohnheit an und wartete des Gegengesangs, aber es
blieb ruhig und stumm, da fuhr er mit der Hand nach der Stirn:
Ja so, sprach der Blödsinnige, sie sind fort und Heribald ist allein ...
Jetzt wollte er auch noch den vierundneunzigsten Psalm singen, wie es
die Vorschrift nächtlichen Horadienstes erheischte, da erlosch die ewige
Lampe, eine Fledermaus war drüber hingestreift. Draußen Regen
und Sturm. Schwere Tropfen fielen auf das Dach der Kirche und
schlugen an die Fenster, da ward's ihm unheimlich zu Muth: Heiliger
Benedict, rief er, nimm ein gnädig Einsehen, daß Heribald nicht Schuld
ist, wenn die Antiphonie ungesungen blieb. Er schritt in der Dunkel-
heit aus dem Chor; ein schriller Wind pfiff durch ein Fensterlein der
Crypta unter dem Hochaltar, ein heulender Ton kam herauf. Wie
Heribald vorwärts ging faßte ein Luftzug sein Gewand: Bist du wie-
der da, höllischer Versucher? rief er, muß wieder gefochten sein?168)

Unverzagt schritt er zum Altar und faßte ein hölzern Kreuz, das
der Abt nicht hatte wegnehmen lassen: Im Namen der Dreieinigkeit,
komm heran, Larve des Satans, Heribald erwartet dich! Festen Muthes
stand er an des Altares Stufen, der Wind heulte fort, der Teufel
blieb aus ... Er hat noch genug vom letzten mal! sprach der Blöd-
sinnige lächelnd. Vor Jahresfrist war ihm der böse Feind erschienen
in Gestalt eines großen Hofhundes, und hatte ihn angebellt, aber
Heribald hatte ihn bestanden mit einer Stange und ihm mit so tapfern
Hieben zugesetzt, daß die Stange zerbrochen war ..

Da rief Heribald noch eine Auslese beleidigender Reden nach der
Richtung hin, wo der Luftzug stöhnte; wie sich aber nichts nahte, ihn
anzufechten, stellte er das Kreuz wieder auf den Altar, beugte sein

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als möcht' er geſtraft werden ob deren Verſäumniß, auch zur Vigilie
ſtieg er nach Mitternacht hinunter in die Kloſterkirche.

Zur Zeit als ſeine Mitbrüder auf der Herzogsburg mit den
Sanct Galliſchen zechten, ſtand Heribald im Chor; unheimlich Grauen
der Nacht lag über der Halle, düſter flackerte die ewige Lampe: er
aber ſtimmte unverdroſſen und mit heller Stimme den Eingangsvers
an: Herr, neige dich zu meinem Beiſtand! Herr, eile heran zu meiner
Hilfe! und ſang den dritten Pſalm, den einſt David geſungen, da er
floh vor Abſalon ſeinem Sohn. Wie er an die Stelle kam, wo der
Uebung des Pſallirens gemäß die Antiphonie ertönen ſollte, hielt er
nach alter Gewohnheit an und wartete des Gegengeſangs, aber es
blieb ruhig und ſtumm, da fuhr er mit der Hand nach der Stirn:
Ja ſo, ſprach der Blödſinnige, ſie ſind fort und Heribald iſt allein ...
Jetzt wollte er auch noch den vierundneunzigſten Pſalm ſingen, wie es
die Vorſchrift nächtlichen Horadienſtes erheiſchte, da erloſch die ewige
Lampe, eine Fledermaus war drüber hingeſtreift. Draußen Regen
und Sturm. Schwere Tropfen fielen auf das Dach der Kirche und
ſchlugen an die Fenſter, da ward's ihm unheimlich zu Muth: Heiliger
Benedict, rief er, nimm ein gnädig Einſehen, daß Heribald nicht Schuld
iſt, wenn die Antiphonie ungeſungen blieb. Er ſchritt in der Dunkel-
heit aus dem Chor; ein ſchriller Wind pfiff durch ein Fenſterlein der
Crypta unter dem Hochaltar, ein heulender Ton kam herauf. Wie
Heribald vorwärts ging faßte ein Luftzug ſein Gewand: Biſt du wie-
der da, hölliſcher Verſucher? rief er, muß wieder gefochten ſein?168)

Unverzagt ſchritt er zum Altar und faßte ein hölzern Kreuz, das
der Abt nicht hatte wegnehmen laſſen: Im Namen der Dreieinigkeit,
komm heran, Larve des Satans, Heribald erwartet dich! Feſten Muthes
ſtand er an des Altares Stufen, der Wind heulte fort, der Teufel
blieb aus ... Er hat noch genug vom letzten mal! ſprach der Blöd-
ſinnige lächelnd. Vor Jahresfriſt war ihm der böſe Feind erſchienen
in Geſtalt eines großen Hofhundes, und hatte ihn angebellt, aber
Heribald hatte ihn beſtanden mit einer Stange und ihm mit ſo tapfern
Hieben zugeſetzt, daß die Stange zerbrochen war ..

Da rief Heribald noch eine Ausleſe beleidigender Reden nach der
Richtung hin, wo der Luftzug ſtöhnte; wie ſich aber nichts nahte, ihn
anzufechten, ſtellte er das Kreuz wieder auf den Altar, beugte ſein

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[163/0185] als möcht' er geſtraft werden ob deren Verſäumniß, auch zur Vigilie ſtieg er nach Mitternacht hinunter in die Kloſterkirche. Zur Zeit als ſeine Mitbrüder auf der Herzogsburg mit den Sanct Galliſchen zechten, ſtand Heribald im Chor; unheimlich Grauen der Nacht lag über der Halle, düſter flackerte die ewige Lampe: er aber ſtimmte unverdroſſen und mit heller Stimme den Eingangsvers an: Herr, neige dich zu meinem Beiſtand! Herr, eile heran zu meiner Hilfe! und ſang den dritten Pſalm, den einſt David geſungen, da er floh vor Abſalon ſeinem Sohn. Wie er an die Stelle kam, wo der Uebung des Pſallirens gemäß die Antiphonie ertönen ſollte, hielt er nach alter Gewohnheit an und wartete des Gegengeſangs, aber es blieb ruhig und ſtumm, da fuhr er mit der Hand nach der Stirn: Ja ſo, ſprach der Blödſinnige, ſie ſind fort und Heribald iſt allein ... Jetzt wollte er auch noch den vierundneunzigſten Pſalm ſingen, wie es die Vorſchrift nächtlichen Horadienſtes erheiſchte, da erloſch die ewige Lampe, eine Fledermaus war drüber hingeſtreift. Draußen Regen und Sturm. Schwere Tropfen fielen auf das Dach der Kirche und ſchlugen an die Fenſter, da ward's ihm unheimlich zu Muth: Heiliger Benedict, rief er, nimm ein gnädig Einſehen, daß Heribald nicht Schuld iſt, wenn die Antiphonie ungeſungen blieb. Er ſchritt in der Dunkel- heit aus dem Chor; ein ſchriller Wind pfiff durch ein Fenſterlein der Crypta unter dem Hochaltar, ein heulender Ton kam herauf. Wie Heribald vorwärts ging faßte ein Luftzug ſein Gewand: Biſt du wie- der da, hölliſcher Verſucher? rief er, muß wieder gefochten ſein? ¹⁶⁸⁾ Unverzagt ſchritt er zum Altar und faßte ein hölzern Kreuz, das der Abt nicht hatte wegnehmen laſſen: Im Namen der Dreieinigkeit, komm heran, Larve des Satans, Heribald erwartet dich! Feſten Muthes ſtand er an des Altares Stufen, der Wind heulte fort, der Teufel blieb aus ... Er hat noch genug vom letzten mal! ſprach der Blöd- ſinnige lächelnd. Vor Jahresfriſt war ihm der böſe Feind erſchienen in Geſtalt eines großen Hofhundes, und hatte ihn angebellt, aber Heribald hatte ihn beſtanden mit einer Stange und ihm mit ſo tapfern Hieben zugeſetzt, daß die Stange zerbrochen war .. Da rief Heribald noch eine Ausleſe beleidigender Reden nach der Richtung hin, wo der Luftzug ſtöhnte; wie ſich aber nichts nahte, ihn anzufechten, ſtellte er das Kreuz wieder auf den Altar, beugte ſein 11*

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/185>, abgerufen am 24.04.2024.