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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Träumerisch schaute er aus seinem Schifflein hinaus in's Weite.
Im durchsichtigen Duft des Morgens wogte der See, zur Linken ho-
ben sich die schlanken Thürmchen von Egino's Clause Niederzell, --
dort streckt das Eiland seine letzten Spitzen in's Gewässer hinaus, eine
steinerne Pfalz schaute aus den Weidenbüschen vor -- aber Ekkehard's
Blick haftete auf der Ferne, der er zusteuerte; groß, stolz, in steiler
kecker Linie trat ein felsiger Bergrücken aus dem Gehügel des Ufers
vor, gleich dem Gedanken eines Geistesgewaltigen der wuchtig und
thatenschwer flache Umgebung überragt, die Frühsonne warf helle
Streiflichter auf Felskanten und Gemäuer. Fern zur Rechten hoben
sich etliche niedere Kuppen von gleicher Form, bescheiden, als wären sie
Feldwachen, die der Große ausgesendet.

Der Hohentwiel! sprach der Fährmann zu Ekkehard. Der hatte
das Ziel seiner Fahrt in früheren Tagen noch niemals erschaut, aber
es brauchte des Schiffers Wort nicht, um's ihm zu sagen. So mußte
der Berg sein, den sie zu ihrem Sitze erkoren. Eine ernste Stimmung
kam über Ekkehard. Züge des Gebirges, weite Flächen, Wasser und
Himmel, große Landschaft wirkt jederzeit Ernst im Gemüth, nur des
Menschen Getrieb ruft ein Lächeln auf des Beschauers Lippe. Er ge-
dachte des Apostel Johannes, wie der einst der Felseninsel Patmos
entgegengefahren, und wie ihm dort eine Offenbarung aufgegangen ...

Der Fährmann steuerte rüstig vorwärts. Schon waren sie dem
Ufervorsprung, der die Zelle Radolf's und die wenig umliegenden Be-
hausungen trägt, nahe. Da trieb ein seltsam Schifflein im See, roh,
ein hohler Baumstamm, aber ganz verdeckt und überbaut mit grünem
Gezweig und Schilfrohr, und war kein Ruderer zu erschauen, der
es lenkte. Der Wind schaukelte es dem Geröhricht am Gestade ent-
gegen.

Ekkehard hieß seinen Fergen das absonderliche Fahrzeug anhalten.
Da stieß derselbe mit seiner Ruderstange in die grüne Verhüllung.

Pest und Aussatz euch in's Gebein! fluchte es mit tiefer Stimme
aus der Höhlung hervor, oleum et operam perdidi, Hopfen und
Malz ist verloren. Wildgans und Kriekente sind des Teufels!

Ein Zug Wasservögel, der mit heiserem Geschnatter in der Nähe
aufstieg und landeinwärts flog, bestätigte des Fluchenden Ausspruch.

Träumeriſch ſchaute er aus ſeinem Schifflein hinaus in's Weite.
Im durchſichtigen Duft des Morgens wogte der See, zur Linken ho-
ben ſich die ſchlanken Thürmchen von Egino's Clauſe Niederzell, —
dort ſtreckt das Eiland ſeine letzten Spitzen in's Gewäſſer hinaus, eine
ſteinerne Pfalz ſchaute aus den Weidenbüſchen vor — aber Ekkehard's
Blick haftete auf der Ferne, der er zuſteuerte; groß, ſtolz, in ſteiler
kecker Linie trat ein felſiger Bergrücken aus dem Gehügel des Ufers
vor, gleich dem Gedanken eines Geiſtesgewaltigen der wuchtig und
thatenſchwer flache Umgebung überragt, die Frühſonne warf helle
Streiflichter auf Felskanten und Gemäuer. Fern zur Rechten hoben
ſich etliche niedere Kuppen von gleicher Form, beſcheiden, als wären ſie
Feldwachen, die der Große ausgeſendet.

Der Hohentwiel! ſprach der Fährmann zu Ekkehard. Der hatte
das Ziel ſeiner Fahrt in früheren Tagen noch niemals erſchaut, aber
es brauchte des Schiffers Wort nicht, um's ihm zu ſagen. So mußte
der Berg ſein, den ſie zu ihrem Sitze erkoren. Eine ernſte Stimmung
kam über Ekkehard. Züge des Gebirges, weite Flächen, Waſſer und
Himmel, große Landſchaft wirkt jederzeit Ernſt im Gemüth, nur des
Menſchen Getrieb ruft ein Lächeln auf des Beſchauers Lippe. Er ge-
dachte des Apoſtel Johannes, wie der einſt der Felſeninſel Patmos
entgegengefahren, und wie ihm dort eine Offenbarung aufgegangen ...

Der Fährmann ſteuerte rüſtig vorwärts. Schon waren ſie dem
Ufervorſprung, der die Zelle Radolf's und die wenig umliegenden Be-
hauſungen trägt, nahe. Da trieb ein ſeltſam Schifflein im See, roh,
ein hohler Baumſtamm, aber ganz verdeckt und überbaut mit grünem
Gezweig und Schilfrohr, und war kein Ruderer zu erſchauen, der
es lenkte. Der Wind ſchaukelte es dem Geröhricht am Geſtade ent-
gegen.

Ekkehard hieß ſeinen Fergen das abſonderliche Fahrzeug anhalten.
Da ſtieß derſelbe mit ſeiner Ruderſtange in die grüne Verhüllung.

Peſt und Ausſatz euch in's Gebein! fluchte es mit tiefer Stimme
aus der Höhlung hervor, oleum et operam perdidi, Hopfen und
Malz iſt verloren. Wildgans und Kriekente ſind des Teufels!

Ein Zug Waſſervögel, der mit heiſerem Geſchnatter in der Nähe
aufſtieg und landeinwärts flog, beſtätigte des Fluchenden Ausſpruch.

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[68/0090] Träumeriſch ſchaute er aus ſeinem Schifflein hinaus in's Weite. Im durchſichtigen Duft des Morgens wogte der See, zur Linken ho- ben ſich die ſchlanken Thürmchen von Egino's Clauſe Niederzell, — dort ſtreckt das Eiland ſeine letzten Spitzen in's Gewäſſer hinaus, eine ſteinerne Pfalz ſchaute aus den Weidenbüſchen vor — aber Ekkehard's Blick haftete auf der Ferne, der er zuſteuerte; groß, ſtolz, in ſteiler kecker Linie trat ein felſiger Bergrücken aus dem Gehügel des Ufers vor, gleich dem Gedanken eines Geiſtesgewaltigen der wuchtig und thatenſchwer flache Umgebung überragt, die Frühſonne warf helle Streiflichter auf Felskanten und Gemäuer. Fern zur Rechten hoben ſich etliche niedere Kuppen von gleicher Form, beſcheiden, als wären ſie Feldwachen, die der Große ausgeſendet. Der Hohentwiel! ſprach der Fährmann zu Ekkehard. Der hatte das Ziel ſeiner Fahrt in früheren Tagen noch niemals erſchaut, aber es brauchte des Schiffers Wort nicht, um's ihm zu ſagen. So mußte der Berg ſein, den ſie zu ihrem Sitze erkoren. Eine ernſte Stimmung kam über Ekkehard. Züge des Gebirges, weite Flächen, Waſſer und Himmel, große Landſchaft wirkt jederzeit Ernſt im Gemüth, nur des Menſchen Getrieb ruft ein Lächeln auf des Beſchauers Lippe. Er ge- dachte des Apoſtel Johannes, wie der einſt der Felſeninſel Patmos entgegengefahren, und wie ihm dort eine Offenbarung aufgegangen ... Der Fährmann ſteuerte rüſtig vorwärts. Schon waren ſie dem Ufervorſprung, der die Zelle Radolf's und die wenig umliegenden Be- hauſungen trägt, nahe. Da trieb ein ſeltſam Schifflein im See, roh, ein hohler Baumſtamm, aber ganz verdeckt und überbaut mit grünem Gezweig und Schilfrohr, und war kein Ruderer zu erſchauen, der es lenkte. Der Wind ſchaukelte es dem Geröhricht am Geſtade ent- gegen. Ekkehard hieß ſeinen Fergen das abſonderliche Fahrzeug anhalten. Da ſtieß derſelbe mit ſeiner Ruderſtange in die grüne Verhüllung. Peſt und Ausſatz euch in's Gebein! fluchte es mit tiefer Stimme aus der Höhlung hervor, oleum et operam perdidi, Hopfen und Malz iſt verloren. Wildgans und Kriekente ſind des Teufels! Ein Zug Waſſervögel, der mit heiſerem Geſchnatter in der Nähe aufſtieg und landeinwärts flog, beſtätigte des Fluchenden Ausſpruch.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/90>, abgerufen am 28.03.2024.