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Scheffel, Joseph Victor von: Hugideo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 237–254. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ein Grab am Abhang seines Berges -- seitwärts von der Rheingestrandeten gemeinsamen Ruhestatt.

Wie er aber nach vollendeter Arbeit wieder zur Klause heimgekehrt war, kam plötzlich ein Gedanke über ihn, als habe er Etwas zu thun vergessen -- noch Etwas, sprach er, noch Etwas! . . . Wie steht geschrieben in dem Liederbuch, dessen Sprache sie mich einst gelehrt?

Te spectem, suprema mihi cum venerit hora, te teneam moriens deficiente manu . . ."

Und er stieg abermals hinab und grub ein zweites Grab neben das erste. Und seine Arbeit dauerte bis tief in die Nacht hinein.

Wie er müde und spät seinen Berg hinaufstieg, stand ein greller Feuerschein am südlichen Himmel, und die Röthe nahm nicht ab, die ganze Nacht hindurch. Hugideo aber schritt unruhig auf seinem Fels auf und nieder, als scheuchten ihn alte Erinnerungen, er spähte und spähte durch den Schimmer der Nacht und sprach hastige, abgerissene Worte vor sich hin, und sein Herz klopfte beim fernen Feuergefunk.

Es waren die Flammen von Augusta Rauracorum, der reichen, hochberühmten Römercolonie, die Munatius Plancus einst als Vormauer gegen die Alamannen unweit Basel am Rheinesufer gegründet, prächtig in Tempeln, Wasserleitungen und Theatern, aber dem beutehungrigen Grenznachbar wie ein lockendes Schaugericht vor Augen gestellt und jetzo dem Untergang verfallen.

ein Grab am Abhang seines Berges — seitwärts von der Rheingestrandeten gemeinsamen Ruhestatt.

Wie er aber nach vollendeter Arbeit wieder zur Klause heimgekehrt war, kam plötzlich ein Gedanke über ihn, als habe er Etwas zu thun vergessen — noch Etwas, sprach er, noch Etwas! . . . Wie steht geschrieben in dem Liederbuch, dessen Sprache sie mich einst gelehrt?

Te spectem, suprema mihi cum venerit hora, te teneam moriens deficiente manu . . .“

Und er stieg abermals hinab und grub ein zweites Grab neben das erste. Und seine Arbeit dauerte bis tief in die Nacht hinein.

Wie er müde und spät seinen Berg hinaufstieg, stand ein greller Feuerschein am südlichen Himmel, und die Röthe nahm nicht ab, die ganze Nacht hindurch. Hugideo aber schritt unruhig auf seinem Fels auf und nieder, als scheuchten ihn alte Erinnerungen, er spähte und spähte durch den Schimmer der Nacht und sprach hastige, abgerissene Worte vor sich hin, und sein Herz klopfte beim fernen Feuergefunk.

Es waren die Flammen von Augusta Rauracorum, der reichen, hochberühmten Römercolonie, die Munatius Plancus einst als Vormauer gegen die Alamannen unweit Basel am Rheinesufer gegründet, prächtig in Tempeln, Wasserleitungen und Theatern, aber dem beutehungrigen Grenznachbar wie ein lockendes Schaugericht vor Augen gestellt und jetzo dem Untergang verfallen.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:06:35Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:06:35Z)

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Hugideo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 237–254. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_hugideo_1910/16>, abgerufen am 29.03.2024.