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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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seyn muß, je sichrer man ihn auf die Rech-
nung einer nicht werkarmen Lebensführung
schreiben darf, und da im Vergleichen der
Dinge eine besondre Anmuth steckt, so möch-
te wohl kein Stand- oder Zeitpunkt geeigne-
ter seyn zu einem Vergleichanstellen, als
der auf dem stillen Wege aus dem irdischen
zu einem überirdischen Leben. Freylich ge-
hört eine gute Lage eigner lieblicher Umstän-
de dazu, um durch das Misliche derselben
in keine Verlegenheit über sich oder andre
zu kommen, woraus wenigstens Geistes-
schmerz entstehen würde. Jch glaube, der
Tod sieht nur häßlich oder schrecklich aus,
wenn er dem Lebenden plötzlich vor die Au-
gen tritt; erwartet man ihn ruhig und sieht
ihn allmählig sich nähern, so müsse es einem
so gehen wie einem Ehemann, der eine häß-
liche, aber Geist- und Gemüthreiche Frau
heirathet, die ihm immer lieber wird, je
länger er mit ihr lebt und sich von ihren
guten Eigenschaften Kenntnisse schafft.

Jch breche hier ab, weil mir einfällt,
daß ein hohes Alter, wie das meinige, nicht
minder unvermögend sey, über das Sterben
richtig zu denken, wie die Jünglingsschaft,
da jenes dem Tode zu nahe, diese von ihm

ſeyn muß, je ſichrer man ihn auf die Rech-
nung einer nicht werkarmen Lebensfuͤhrung
ſchreiben darf, und da im Vergleichen der
Dinge eine beſondre Anmuth ſteckt, ſo moͤch-
te wohl kein Stand- oder Zeitpunkt geeigne-
ter ſeyn zu einem Vergleichanſtellen, als
der auf dem ſtillen Wege aus dem irdiſchen
zu einem uͤberirdiſchen Leben. Freylich ge-
hoͤrt eine gute Lage eigner lieblicher Umſtaͤn-
de dazu, um durch das Misliche derſelben
in keine Verlegenheit uͤber ſich oder andre
zu kommen, woraus wenigſtens Geiſtes-
ſchmerz entſtehen wuͤrde. Jch glaube, der
Tod ſieht nur haͤßlich oder ſchrecklich aus,
wenn er dem Lebenden ploͤtzlich vor die Au-
gen tritt; erwartet man ihn ruhig und ſieht
ihn allmaͤhlig ſich naͤhern, ſo muͤſſe es einem
ſo gehen wie einem Ehemann, der eine haͤß-
liche, aber Geiſt- und Gemuͤthreiche Frau
heirathet, die ihm immer lieber wird, je
laͤnger er mit ihr lebt und ſich von ihren
guten Eigenſchaften Kenntniſſe ſchafft.

Jch breche hier ab, weil mir einfaͤllt,
daß ein hohes Alter, wie das meinige, nicht
minder unvermoͤgend ſey, uͤber das Sterben
richtig zu denken, wie die Juͤnglingsſchaft,
da jenes dem Tode zu nahe, dieſe von ihm

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[423/0440] ſeyn muß, je ſichrer man ihn auf die Rech- nung einer nicht werkarmen Lebensfuͤhrung ſchreiben darf, und da im Vergleichen der Dinge eine beſondre Anmuth ſteckt, ſo moͤch- te wohl kein Stand- oder Zeitpunkt geeigne- ter ſeyn zu einem Vergleichanſtellen, als der auf dem ſtillen Wege aus dem irdiſchen zu einem uͤberirdiſchen Leben. Freylich ge- hoͤrt eine gute Lage eigner lieblicher Umſtaͤn- de dazu, um durch das Misliche derſelben in keine Verlegenheit uͤber ſich oder andre zu kommen, woraus wenigſtens Geiſtes- ſchmerz entſtehen wuͤrde. Jch glaube, der Tod ſieht nur haͤßlich oder ſchrecklich aus, wenn er dem Lebenden ploͤtzlich vor die Au- gen tritt; erwartet man ihn ruhig und ſieht ihn allmaͤhlig ſich naͤhern, ſo muͤſſe es einem ſo gehen wie einem Ehemann, der eine haͤß- liche, aber Geiſt- und Gemuͤthreiche Frau heirathet, die ihm immer lieber wird, je laͤnger er mit ihr lebt und ſich von ihren guten Eigenſchaften Kenntniſſe ſchafft. Jch breche hier ab, weil mir einfaͤllt, daß ein hohes Alter, wie das meinige, nicht minder unvermoͤgend ſey, uͤber das Sterben richtig zu denken, wie die Juͤnglingsſchaft, da jenes dem Tode zu nahe, dieſe von ihm

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/440>, abgerufen am 24.04.2024.