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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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ragungen oder Köpfe dieser Hauptbalken mußten nun natürlich oberhalb
des Querbalkens sichtbar seyn, die man erst gerade absägte, nachher
des Schmuckes halber Bretter von der nachherigen Form der Trigly-
phen davor nagelte. Die Triglyphen sind also noch jetzt eine ideale
Vorstellung der Köpfe vor den Hauptbalken. Die Zwischenräume zwi-
schen diesen Balken blieben anfänglich in der roheren Baukunst leer,
nachher wurden sie, um diesen Uebelstand für das Auge aufzuheben,
gleichfalls mit Brettern bedeckt, welche dann in der Nachahmung der
schönen Architektur die Veranlassung der Metopen geworden, wo-
durch der gar zu große Raum zwischen den Querbalken und den ober-
sten hervortretenden Brettern (deren Vorsprung, um den Regen abzu-
halten, das Karnies bildete) zu einer identischen Fläche wurde, die
dann den Zophorus oder Fries bildete. -- Im Allgemeinen habe
ich schon früher gesagt, was von dieser Erklärungsart zu halten sey.
Es ist allerdings eine Nothwendigkeit darin, daß die Architektur, um
schöne Kunst zu werden, sich ideal macht, und dadurch das Bedürfniß
abstreift. Aber es liegt keine Nothwendigkeit darin, daß die Kunst,
wenn sie sich über das Bedürfniß erhebt, die roheren Formen beibe-
halte, wenn diese nicht an sich schön sind. So ist freilich offenbar die
dorische Säule der behauene Baumstamm; sie verjüngt sich deßhalb
nach oben, aber sie würde keine Form der schönen Architektur und in
ihr beibehalten seyn, wenn sie nicht an sich selbst auf die Weise bedeu-
tend wäre, wie es bereits gezeigt wurde, daß sie nämlich einen Baum
vorstellt, der seine besondere Natur abgelegt hat und Vorbedeutung
von etwas Höherem wird. So ist es gewiß, daß man die ältesten
Säulen dieser Ordnung ohne Kapitäl und Base findet; sie stellen also
noch die Bauart dar, wo man die behauenen Baumstämme unmittelbar
unter das Dach und auf den flachen Erdboden stützte. Der Säulen-
fuß und die Plinthe nach unten und das Kapitäl nach oben, kann
man sagen, stellen nichts anderes vor als, jene das eine oder
die mehreren Bretter, die man unterlegte, damit die Stämme durch
die oben aufliegende Last nicht sich senkten oder von der Feuchtigkeit
litten, dieses die oben über einander gelegten Bretter, damit der Stamm

ragungen oder Köpfe dieſer Hauptbalken mußten nun natürlich oberhalb
des Querbalkens ſichtbar ſeyn, die man erſt gerade abſägte, nachher
des Schmuckes halber Bretter von der nachherigen Form der Trigly-
phen davor nagelte. Die Triglyphen ſind alſo noch jetzt eine ideale
Vorſtellung der Köpfe vor den Hauptbalken. Die Zwiſchenräume zwi-
ſchen dieſen Balken blieben anfänglich in der roheren Baukunſt leer,
nachher wurden ſie, um dieſen Uebelſtand für das Auge aufzuheben,
gleichfalls mit Brettern bedeckt, welche dann in der Nachahmung der
ſchönen Architektur die Veranlaſſung der Metopen geworden, wo-
durch der gar zu große Raum zwiſchen den Querbalken und den ober-
ſten hervortretenden Brettern (deren Vorſprung, um den Regen abzu-
halten, das Karnies bildete) zu einer identiſchen Fläche wurde, die
dann den Zophorus oder Fries bildete. — Im Allgemeinen habe
ich ſchon früher geſagt, was von dieſer Erklärungsart zu halten ſey.
Es iſt allerdings eine Nothwendigkeit darin, daß die Architektur, um
ſchöne Kunſt zu werden, ſich ideal macht, und dadurch das Bedürfniß
abſtreift. Aber es liegt keine Nothwendigkeit darin, daß die Kunſt,
wenn ſie ſich über das Bedürfniß erhebt, die roheren Formen beibe-
halte, wenn dieſe nicht an ſich ſchön ſind. So iſt freilich offenbar die
doriſche Säule der behauene Baumſtamm; ſie verjüngt ſich deßhalb
nach oben, aber ſie würde keine Form der ſchönen Architektur und in
ihr beibehalten ſeyn, wenn ſie nicht an ſich ſelbſt auf die Weiſe bedeu-
tend wäre, wie es bereits gezeigt wurde, daß ſie nämlich einen Baum
vorſtellt, der ſeine beſondere Natur abgelegt hat und Vorbedeutung
von etwas Höherem wird. So iſt es gewiß, daß man die älteſten
Säulen dieſer Ordnung ohne Kapitäl und Baſe findet; ſie ſtellen alſo
noch die Bauart dar, wo man die behauenen Baumſtämme unmittelbar
unter das Dach und auf den flachen Erdboden ſtützte. Der Säulen-
fuß und die Plinthe nach unten und das Kapitäl nach oben, kann
man ſagen, ſtellen nichts anderes vor als, jene das eine oder
die mehreren Bretter, die man unterlegte, damit die Stämme durch
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[592/0268] ragungen oder Köpfe dieſer Hauptbalken mußten nun natürlich oberhalb des Querbalkens ſichtbar ſeyn, die man erſt gerade abſägte, nachher des Schmuckes halber Bretter von der nachherigen Form der Trigly- phen davor nagelte. Die Triglyphen ſind alſo noch jetzt eine ideale Vorſtellung der Köpfe vor den Hauptbalken. Die Zwiſchenräume zwi- ſchen dieſen Balken blieben anfänglich in der roheren Baukunſt leer, nachher wurden ſie, um dieſen Uebelſtand für das Auge aufzuheben, gleichfalls mit Brettern bedeckt, welche dann in der Nachahmung der ſchönen Architektur die Veranlaſſung der Metopen geworden, wo- durch der gar zu große Raum zwiſchen den Querbalken und den ober- ſten hervortretenden Brettern (deren Vorſprung, um den Regen abzu- halten, das Karnies bildete) zu einer identiſchen Fläche wurde, die dann den Zophorus oder Fries bildete. — Im Allgemeinen habe ich ſchon früher geſagt, was von dieſer Erklärungsart zu halten ſey. Es iſt allerdings eine Nothwendigkeit darin, daß die Architektur, um ſchöne Kunſt zu werden, ſich ideal macht, und dadurch das Bedürfniß abſtreift. Aber es liegt keine Nothwendigkeit darin, daß die Kunſt, wenn ſie ſich über das Bedürfniß erhebt, die roheren Formen beibe- halte, wenn dieſe nicht an ſich ſchön ſind. So iſt freilich offenbar die doriſche Säule der behauene Baumſtamm; ſie verjüngt ſich deßhalb nach oben, aber ſie würde keine Form der ſchönen Architektur und in ihr beibehalten ſeyn, wenn ſie nicht an ſich ſelbſt auf die Weiſe bedeu- tend wäre, wie es bereits gezeigt wurde, daß ſie nämlich einen Baum vorſtellt, der ſeine beſondere Natur abgelegt hat und Vorbedeutung von etwas Höherem wird. So iſt es gewiß, daß man die älteſten Säulen dieſer Ordnung ohne Kapitäl und Baſe findet; ſie ſtellen alſo noch die Bauart dar, wo man die behauenen Baumſtämme unmittelbar unter das Dach und auf den flachen Erdboden ſtützte. Der Säulen- fuß und die Plinthe nach unten und das Kapitäl nach oben, kann man ſagen, ſtellen nichts anderes vor als, jene das eine oder die mehreren Bretter, die man unterlegte, damit die Stämme durch die oben aufliegende Laſt nicht ſich ſenkten oder von der Feuchtigkeit litten, dieſes die oben über einander gelegten Bretter, damit der Stamm

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/268>, abgerufen am 28.03.2024.