Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

bewegt er sich gleichsam außerhalb der gemeinen Gesetzmäßigkeit, ver-
wegen und doch sicher und leicht. Es ist nur ein Vorurtheil, daß die
Poesie in keiner andern Sprache zu reden habe, als welche auch in
der Prosa gebräuchlich ist (Gottsched, Wieland).

Die Prosa überhaupt, um diese Erklärung hier einzuschalten, ist
die von dem Verstand in Besitz genommene und nach seinen Zwecken
geformte Sprache. In der Poesie ist alles Begrenzung, strenge Abson-
derung der Formen. Die Prosa ist insofern wieder die Indifferenz
und ihr vorzüglichster Fehler der, daraus heraustreten zu wollen, woher
die Aftergeburt der poetischen Prosa entsteht. Die Poesie unterscheidet
sich von ihr nicht allein durch Rhythmus, sondern auch durch theils
einfältigere theils schönere Sprache. Es ist damit nicht ein wildes,
in der leeren Ueberspanntheit der Sprache sich ausdrückendes Feuer
gemeint, welches die Alten Parenthyrsos genannt haben. Zwar es gibt
Kunstrichter, die sogar von dem wilden Feuer des Homer reden.

Die Einfalt ist auch in der Poesie wie in der bildenden Kunst
das Höchste, und Dionys von Halikarnaß, der trefflichste Kunstrichter
unter den Alten, zeigt ausdrücklich an einer Stelle der Odyssee, die,
wie er sagt, in den gemeinsten Ausdrücken abgefaßt ist, der sich etwa
ein Bauer oder Handwerker bedienen würde, das Verdienst der poeti-
schen Synthesis.

Verschieden in diesem Betracht von der epischen Diktion ist aller-
dings die lyrische und die dramatische, sofern sie einem großen Theile nach
lyrisch ist. Aber auch hier drückt sich die Begeisterung mehr durch die
kühnen Absprünge von der logischen oder mechanischen Gedankenfolge,
als durch Schwulst der Worte aus. Die Sprache wird zu einem höheren
Organ, es sind ihr kürzere Wendungen, ungewöhnlichere Worte, eigen-
thümliche Biegungen der Worte erlaubt, aber alles in den Grenzen der
wahren Begeisterung.

Man pflegt in den poetischen Kunstlehren sonst auch von Meta-
phern, Tropen
und den übrigen Zierathen der Rede zu sprechen,
dergleichen die Epitheta sind, die Vergleichungen und die Gleichnisse.
Was die Metaphern betrifft, so gehören sie mehr der Rhetorik an.

bewegt er ſich gleichſam außerhalb der gemeinen Geſetzmäßigkeit, ver-
wegen und doch ſicher und leicht. Es iſt nur ein Vorurtheil, daß die
Poeſie in keiner andern Sprache zu reden habe, als welche auch in
der Proſa gebräuchlich iſt (Gottſched, Wieland).

Die Proſa überhaupt, um dieſe Erklärung hier einzuſchalten, iſt
die von dem Verſtand in Beſitz genommene und nach ſeinen Zwecken
geformte Sprache. In der Poeſie iſt alles Begrenzung, ſtrenge Abſon-
derung der Formen. Die Proſa iſt inſofern wieder die Indifferenz
und ihr vorzüglichſter Fehler der, daraus heraustreten zu wollen, woher
die Aftergeburt der poetiſchen Proſa entſteht. Die Poeſie unterſcheidet
ſich von ihr nicht allein durch Rhythmus, ſondern auch durch theils
einfältigere theils ſchönere Sprache. Es iſt damit nicht ein wildes,
in der leeren Ueberſpanntheit der Sprache ſich ausdrückendes Feuer
gemeint, welches die Alten Parenthyrſos genannt haben. Zwar es gibt
Kunſtrichter, die ſogar von dem wilden Feuer des Homer reden.

Die Einfalt iſt auch in der Poeſie wie in der bildenden Kunſt
das Höchſte, und Dionys von Halikarnaß, der trefflichſte Kunſtrichter
unter den Alten, zeigt ausdrücklich an einer Stelle der Odyſſee, die,
wie er ſagt, in den gemeinſten Ausdrücken abgefaßt iſt, der ſich etwa
ein Bauer oder Handwerker bedienen würde, das Verdienſt der poeti-
ſchen Syntheſis.

Verſchieden in dieſem Betracht von der epiſchen Diktion iſt aller-
dings die lyriſche und die dramatiſche, ſofern ſie einem großen Theile nach
lyriſch iſt. Aber auch hier drückt ſich die Begeiſterung mehr durch die
kühnen Abſprünge von der logiſchen oder mechaniſchen Gedankenfolge,
als durch Schwulſt der Worte aus. Die Sprache wird zu einem höheren
Organ, es ſind ihr kürzere Wendungen, ungewöhnlichere Worte, eigen-
thümliche Biegungen der Worte erlaubt, aber alles in den Grenzen der
wahren Begeiſterung.

Man pflegt in den poetiſchen Kunſtlehren ſonſt auch von Meta-
phern, Tropen
und den übrigen Zierathen der Rede zu ſprechen,
dergleichen die Epitheta ſind, die Vergleichungen und die Gleichniſſe.
Was die Metaphern betrifft, ſo gehören ſie mehr der Rhetorik an.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0314" n="638"/>
bewegt er &#x017F;ich gleich&#x017F;am außerhalb der gemeinen Ge&#x017F;etzmäßigkeit, ver-<lb/>
wegen und doch &#x017F;icher und leicht. Es i&#x017F;t nur ein Vorurtheil, daß die<lb/>
Poe&#x017F;ie in keiner andern Sprache zu reden habe, als welche auch in<lb/>
der Pro&#x017F;a gebräuchlich i&#x017F;t (Gott&#x017F;ched, Wieland).</p><lb/>
              <p>Die Pro&#x017F;a überhaupt, um die&#x017F;e Erklärung hier einzu&#x017F;chalten, i&#x017F;t<lb/>
die von dem Ver&#x017F;tand in Be&#x017F;itz genommene und nach &#x017F;einen Zwecken<lb/>
geformte Sprache. In der Poe&#x017F;ie i&#x017F;t alles Begrenzung, &#x017F;trenge Ab&#x017F;on-<lb/>
derung der Formen. Die Pro&#x017F;a i&#x017F;t in&#x017F;ofern wieder die Indifferenz<lb/>
und ihr vorzüglich&#x017F;ter Fehler der, daraus heraustreten zu wollen, woher<lb/>
die Aftergeburt der poeti&#x017F;chen Pro&#x017F;a ent&#x017F;teht. Die Poe&#x017F;ie unter&#x017F;cheidet<lb/>
&#x017F;ich von ihr nicht allein durch Rhythmus, &#x017F;ondern auch durch theils<lb/>
einfältigere theils &#x017F;chönere Sprache. Es i&#x017F;t damit nicht ein wildes,<lb/>
in der leeren Ueber&#x017F;panntheit der Sprache &#x017F;ich ausdrückendes Feuer<lb/>
gemeint, welches die Alten Parenthyr&#x017F;os genannt haben. Zwar es gibt<lb/>
Kun&#x017F;trichter, die &#x017F;ogar von dem wilden Feuer des Homer reden.</p><lb/>
              <p>Die <hi rendition="#g">Einfalt</hi> i&#x017F;t auch in der Poe&#x017F;ie wie in der bildenden Kun&#x017F;t<lb/>
das Höch&#x017F;te, und Dionys von Halikarnaß, der trefflich&#x017F;te Kun&#x017F;trichter<lb/>
unter den Alten, zeigt ausdrücklich an einer Stelle der Ody&#x017F;&#x017F;ee, die,<lb/>
wie er &#x017F;agt, in den gemein&#x017F;ten Ausdrücken abgefaßt i&#x017F;t, der &#x017F;ich etwa<lb/>
ein Bauer oder Handwerker bedienen würde, das Verdien&#x017F;t der poeti-<lb/>
&#x017F;chen <hi rendition="#g">Synthe&#x017F;is</hi>.</p><lb/>
              <p>Ver&#x017F;chieden in die&#x017F;em Betracht von der epi&#x017F;chen Diktion i&#x017F;t aller-<lb/>
dings die lyri&#x017F;che und die dramati&#x017F;che, &#x017F;ofern &#x017F;ie einem großen Theile nach<lb/>
lyri&#x017F;ch i&#x017F;t. Aber auch hier drückt &#x017F;ich die Begei&#x017F;terung mehr durch die<lb/>
kühnen Ab&#x017F;prünge von der logi&#x017F;chen oder mechani&#x017F;chen Gedankenfolge,<lb/>
als durch Schwul&#x017F;t der Worte aus. Die Sprache wird zu einem höheren<lb/>
Organ, es &#x017F;ind ihr kürzere Wendungen, ungewöhnlichere Worte, eigen-<lb/>
thümliche Biegungen der Worte erlaubt, aber alles in den Grenzen der<lb/>
wahren Begei&#x017F;terung.</p><lb/>
              <p>Man pflegt in den poeti&#x017F;chen Kun&#x017F;tlehren &#x017F;on&#x017F;t auch von <hi rendition="#g">Meta-<lb/>
phern, Tropen</hi> und den übrigen Zierathen der Rede zu &#x017F;prechen,<lb/>
dergleichen die Epitheta &#x017F;ind, die Vergleichungen und die Gleichni&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Was die Metaphern betrifft, &#x017F;o gehören &#x017F;ie mehr der Rhetorik an.<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[638/0314] bewegt er ſich gleichſam außerhalb der gemeinen Geſetzmäßigkeit, ver- wegen und doch ſicher und leicht. Es iſt nur ein Vorurtheil, daß die Poeſie in keiner andern Sprache zu reden habe, als welche auch in der Proſa gebräuchlich iſt (Gottſched, Wieland). Die Proſa überhaupt, um dieſe Erklärung hier einzuſchalten, iſt die von dem Verſtand in Beſitz genommene und nach ſeinen Zwecken geformte Sprache. In der Poeſie iſt alles Begrenzung, ſtrenge Abſon- derung der Formen. Die Proſa iſt inſofern wieder die Indifferenz und ihr vorzüglichſter Fehler der, daraus heraustreten zu wollen, woher die Aftergeburt der poetiſchen Proſa entſteht. Die Poeſie unterſcheidet ſich von ihr nicht allein durch Rhythmus, ſondern auch durch theils einfältigere theils ſchönere Sprache. Es iſt damit nicht ein wildes, in der leeren Ueberſpanntheit der Sprache ſich ausdrückendes Feuer gemeint, welches die Alten Parenthyrſos genannt haben. Zwar es gibt Kunſtrichter, die ſogar von dem wilden Feuer des Homer reden. Die Einfalt iſt auch in der Poeſie wie in der bildenden Kunſt das Höchſte, und Dionys von Halikarnaß, der trefflichſte Kunſtrichter unter den Alten, zeigt ausdrücklich an einer Stelle der Odyſſee, die, wie er ſagt, in den gemeinſten Ausdrücken abgefaßt iſt, der ſich etwa ein Bauer oder Handwerker bedienen würde, das Verdienſt der poeti- ſchen Syntheſis. Verſchieden in dieſem Betracht von der epiſchen Diktion iſt aller- dings die lyriſche und die dramatiſche, ſofern ſie einem großen Theile nach lyriſch iſt. Aber auch hier drückt ſich die Begeiſterung mehr durch die kühnen Abſprünge von der logiſchen oder mechaniſchen Gedankenfolge, als durch Schwulſt der Worte aus. Die Sprache wird zu einem höheren Organ, es ſind ihr kürzere Wendungen, ungewöhnlichere Worte, eigen- thümliche Biegungen der Worte erlaubt, aber alles in den Grenzen der wahren Begeiſterung. Man pflegt in den poetiſchen Kunſtlehren ſonſt auch von Meta- phern, Tropen und den übrigen Zierathen der Rede zu ſprechen, dergleichen die Epitheta ſind, die Vergleichungen und die Gleichniſſe. Was die Metaphern betrifft, ſo gehören ſie mehr der Rhetorik an.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/314
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/314>, abgerufen am 25.04.2024.