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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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der Gegenstand eines möglichen Wissens, und die Elemente dieser Con-
struktion sind durch die Gegensätze gegeben, welche die Kunst in ihrer
Zeiterscheinung zeigt. Die Gegensätze aber, die in Ansehung der Kunst
durch ihre Zeitabhängigkeit gesetzt sind, sind, wie die Zeit selbst, noth-
wendig unwesentliche und bloß formelle Gegensätze, ganz verschieden
also von den realen im Wesen oder der Idee der Kunst selbst gegrün-
deten. Dieser allgemeine und durch alle Zweige der Kunst hindurch-
gehende formelle Gegensatz ist der der antiken und modernen Kunst.

Es wäre ein wesentlicher Mangel der Construktion, wenn wir die
Rücksicht darauf bei jeder einzelnen Form der Kunst vernachlässigen
wollten. Da aber dieser Gegensatz als ein bloß formeller angesehen
wird, so die Construktion eben in der Negation oder Aufhebung be-
stehend. Wir werden, indem wir diesen Gegensatz berücksichtigen, un-
mittelbar zugleich die historische Seite der Kunst darstellen, und
können hoffen nur dadurch unserer Construktion im Ganzen die letzte
Vollendung zu geben.

Nach meiner ganzen Ansicht der Kunst ist sie selbst ein Ausfluß
des Absoluten. Die Geschichte der Kunst wird uns am offenbarsten
ihre unmittelbaren Beziehungen auf die Bestimmungen des Universums
und dadurch auf jene absolute Identität zeigen, worin sie vorherbestimmt
sind. Nur in der Geschichte der Kunst offenbart sich die wesentliche
und innere Einheit aller Kunstwerke, daß alle Dichtungen eines und
desselben Genius sind, der auch in den Gegensätzen der alten und neuen
Kunst sich nur in zwei verschiedenen Gestalten zeigt.


der Gegenſtand eines möglichen Wiſſens, und die Elemente dieſer Con-
ſtruktion ſind durch die Gegenſätze gegeben, welche die Kunſt in ihrer
Zeiterſcheinung zeigt. Die Gegenſätze aber, die in Anſehung der Kunſt
durch ihre Zeitabhängigkeit geſetzt ſind, ſind, wie die Zeit ſelbſt, noth-
wendig unweſentliche und bloß formelle Gegenſätze, ganz verſchieden
alſo von den realen im Weſen oder der Idee der Kunſt ſelbſt gegrün-
deten. Dieſer allgemeine und durch alle Zweige der Kunſt hindurch-
gehende formelle Gegenſatz iſt der der antiken und modernen Kunſt.

Es wäre ein weſentlicher Mangel der Conſtruktion, wenn wir die
Rückſicht darauf bei jeder einzelnen Form der Kunſt vernachläſſigen
wollten. Da aber dieſer Gegenſatz als ein bloß formeller angeſehen
wird, ſo die Conſtruktion eben in der Negation oder Aufhebung be-
ſtehend. Wir werden, indem wir dieſen Gegenſatz berückſichtigen, un-
mittelbar zugleich die hiſtoriſche Seite der Kunſt darſtellen, und
können hoffen nur dadurch unſerer Conſtruktion im Ganzen die letzte
Vollendung zu geben.

Nach meiner ganzen Anſicht der Kunſt iſt ſie ſelbſt ein Ausfluß
des Abſoluten. Die Geſchichte der Kunſt wird uns am offenbarſten
ihre unmittelbaren Beziehungen auf die Beſtimmungen des Univerſums
und dadurch auf jene abſolute Identität zeigen, worin ſie vorherbeſtimmt
ſind. Nur in der Geſchichte der Kunſt offenbart ſich die weſentliche
und innere Einheit aller Kunſtwerke, daß alle Dichtungen eines und
deſſelben Genius ſind, der auch in den Gegenſätzen der alten und neuen
Kunſt ſich nur in zwei verſchiedenen Geſtalten zeigt.


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[372/0048] der Gegenſtand eines möglichen Wiſſens, und die Elemente dieſer Con- ſtruktion ſind durch die Gegenſätze gegeben, welche die Kunſt in ihrer Zeiterſcheinung zeigt. Die Gegenſätze aber, die in Anſehung der Kunſt durch ihre Zeitabhängigkeit geſetzt ſind, ſind, wie die Zeit ſelbſt, noth- wendig unweſentliche und bloß formelle Gegenſätze, ganz verſchieden alſo von den realen im Weſen oder der Idee der Kunſt ſelbſt gegrün- deten. Dieſer allgemeine und durch alle Zweige der Kunſt hindurch- gehende formelle Gegenſatz iſt der der antiken und modernen Kunſt. Es wäre ein weſentlicher Mangel der Conſtruktion, wenn wir die Rückſicht darauf bei jeder einzelnen Form der Kunſt vernachläſſigen wollten. Da aber dieſer Gegenſatz als ein bloß formeller angeſehen wird, ſo die Conſtruktion eben in der Negation oder Aufhebung be- ſtehend. Wir werden, indem wir dieſen Gegenſatz berückſichtigen, un- mittelbar zugleich die hiſtoriſche Seite der Kunſt darſtellen, und können hoffen nur dadurch unſerer Conſtruktion im Ganzen die letzte Vollendung zu geben. Nach meiner ganzen Anſicht der Kunſt iſt ſie ſelbſt ein Ausfluß des Abſoluten. Die Geſchichte der Kunſt wird uns am offenbarſten ihre unmittelbaren Beziehungen auf die Beſtimmungen des Univerſums und dadurch auf jene abſolute Identität zeigen, worin ſie vorherbeſtimmt ſind. Nur in der Geſchichte der Kunſt offenbart ſich die weſentliche und innere Einheit aller Kunſtwerke, daß alle Dichtungen eines und deſſelben Genius ſind, der auch in den Gegenſätzen der alten und neuen Kunſt ſich nur in zwei verſchiedenen Geſtalten zeigt.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/48>, abgerufen am 29.03.2024.