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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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das Räthsel, eine sehr ursprüngliche Dichtungsgattung, verbreitet psc_088.002
unter vielen Naturvölkern (Tylor, Primitive culture psc_088.003
1, 81-85). Der Zusammenhang zwischen Räthsel und Metapher psc_088.004
ist längst bekannt; das Räthsel aber ist das ältere. psc_088.005
Eine starke Selbstthätigkeit des Genießenden gehört beim psc_088.006
Rathen zum Genuß; der Genuß ist auf diese Weise größer psc_088.007
als der ähnliche, wenn die Auflösung mitgetheilt wird, aber psc_088.008
auch dies ist immer noch ein Genuß, dessen specifischer Charakter psc_088.009
in der Anerkennung der Richtigkeit der Vergleichung psc_088.010
besteht. Dasselbe Vergnügen der Vergleichung gewährt das psc_088.011
Sprichwort (Tylor S. 79-81), indem ein einzelner Fall psc_088.012
unter eine allgemeine Erfahrung oder unter Erinnerung an psc_088.013
ähnliche frühere Fälle subsumirt wird.

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Wir haben ferner schon gefunden: vollständige, vielleicht psc_088.015
übertreibende Nachbildung in der mimischen Posse, zunächst psc_088.016
als Verspottung eines Einzelnen gedacht. Das Vergnügen psc_088.017
besteht im Vergleich zwischen dem bekannten Original und psc_088.018
der nachahmenden Darstellung, in der Freude über eine gelungene psc_088.019
Leistung, in der Vorstellung der Lächerlichkeiten des psc_088.020
Originals, die noch einmal leiblich und eventuell gesteigert psc_088.021
vor Augen stehen.

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Erinnern wir uns ferner an den schon statuirten Fall: psc_088.023
ein Einzelner, der sich freut, legt dies durch Gebärden, psc_088.024
Springen und Jubeln an den Tag; er legt es auch durch psc_088.025
Worte an den Tag, denn sein Kopf, der den Sprachschatz psc_088.026
der betreffenden Nation birgt, bietet auch Worte dar, welche psc_088.027
mit freudigen Vorstellungen, und zwar den bestimmten, welche psc_088.028
den Anlaß der freudigen Bewegung geben, associirt sind, und

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das Räthsel, eine sehr ursprüngliche Dichtungsgattung, verbreitet psc_088.002
unter vielen Naturvölkern (Tylor, Primitive culture psc_088.003
1, 81–85). Der Zusammenhang zwischen Räthsel und Metapher psc_088.004
ist längst bekannt; das Räthsel aber ist das ältere. psc_088.005
Eine starke Selbstthätigkeit des Genießenden gehört beim psc_088.006
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  Wir haben ferner schon gefunden: vollständige, vielleicht psc_088.015
übertreibende Nachbildung in der mimischen Posse, zunächst psc_088.016
als Verspottung eines Einzelnen gedacht. Das Vergnügen psc_088.017
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Leistung, in der Vorstellung der Lächerlichkeiten des psc_088.020
Originals, die noch einmal leiblich und eventuell gesteigert psc_088.021
vor Augen stehen.

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  Erinnern wir uns ferner an den schon statuirten Fall: psc_088.023
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[88/0104] psc_088.001 das Räthsel, eine sehr ursprüngliche Dichtungsgattung, verbreitet psc_088.002 unter vielen Naturvölkern (Tylor, Primitive culture psc_088.003 1, 81–85). Der Zusammenhang zwischen Räthsel und Metapher psc_088.004 ist längst bekannt; das Räthsel aber ist das ältere. psc_088.005 Eine starke Selbstthätigkeit des Genießenden gehört beim psc_088.006 Rathen zum Genuß; der Genuß ist auf diese Weise größer psc_088.007 als der ähnliche, wenn die Auflösung mitgetheilt wird, aber psc_088.008 auch dies ist immer noch ein Genuß, dessen specifischer Charakter psc_088.009 in der Anerkennung der Richtigkeit der Vergleichung psc_088.010 besteht. Dasselbe Vergnügen der Vergleichung gewährt das psc_088.011 Sprichwort (Tylor S. 79–81), indem ein einzelner Fall psc_088.012 unter eine allgemeine Erfahrung oder unter Erinnerung an psc_088.013 ähnliche frühere Fälle subsumirt wird. psc_088.014   Wir haben ferner schon gefunden: vollständige, vielleicht psc_088.015 übertreibende Nachbildung in der mimischen Posse, zunächst psc_088.016 als Verspottung eines Einzelnen gedacht. Das Vergnügen psc_088.017 besteht im Vergleich zwischen dem bekannten Original und psc_088.018 der nachahmenden Darstellung, in der Freude über eine gelungene psc_088.019 Leistung, in der Vorstellung der Lächerlichkeiten des psc_088.020 Originals, die noch einmal leiblich und eventuell gesteigert psc_088.021 vor Augen stehen. psc_088.022   Erinnern wir uns ferner an den schon statuirten Fall: psc_088.023 ein Einzelner, der sich freut, legt dies durch Gebärden, psc_088.024 Springen und Jubeln an den Tag; er legt es auch durch psc_088.025 Worte an den Tag, denn sein Kopf, der den Sprachschatz psc_088.026 der betreffenden Nation birgt, bietet auch Worte dar, welche psc_088.027 mit freudigen Vorstellungen, und zwar den bestimmten, welche psc_088.028 den Anlaß der freudigen Bewegung geben, associirt sind, und

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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/104>, abgerufen am 28.03.2024.