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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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das Vergnügen der komischen Erregung des Lachens gleichsam psc_091.002
vor. Die Vorstellung wäre ja an sich schon komisch, aber psc_091.003
sie wird noch weit komischer, wenn Hephaistos sich noch ein psc_091.004
Publicum heranholt, indem so der Erzähler die Empfindung psc_091.005
deutlich macht und dadurch verstärkt, die sein eigenes Publicum psc_091.006
schon von selbst haben könnte. Die Götter oder psc_091.007
wenigstens die männlichen Götter sind versammelt, die Göttinnen psc_091.008
bleiben beschämt zu Hause; die Götter aber lachen psc_091.009
nicht nur, sondern sie sprechen auch: Apollo sagt zu Hermes: psc_091.010
"Möchtest du nicht an der Stelle des Ares sein?" Hermes psc_091.011
bejaht. Damit wird wieder ein elementares Verhältniß berührt: psc_091.012
das Angenehme, das von einem andern erzählt wird, psc_091.013
beziehen wir unwillkürlich auf uns selbst und denken uns an psc_091.014
seine Stelle, eigene Wünsche werden dadurch angeregt und in psc_091.015
der Vorstellung erfüllt. Der Phantasiebesitz ist auch ein psc_091.016
Besitz, ähnlich wie (z. B. bei jenem australischen Fest) der psc_091.017
Phantasiegenuß auch ein Genuß ist. Hier wird zugleich die psc_091.018
Quelle aufgezeigt, welche die Erzählung uns angenehm macht. psc_091.019
Es braucht nicht ausdrücklich und bewußt eine Substitution psc_091.020
stattzufinden, durch die wir uns an die Stelle des Glücklichen psc_091.021
setzen. Meine Vorstellung von seinem Glück macht schon bis psc_091.022
zu einem gewissen Grade sein Glück zu meinem Glücke, psc_091.023
auch ohne daß ich mich eigentlich hineindenke. Je lebhafter psc_091.024
die erregte Vorstellung, desto lebhafter mein Glück.

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Was nun aber von jener Erzählung erotischen Jnhalts psc_091.026
gilt, das gilt überhaupt von Erzählungen, in denen den psc_091.027
Helden etwas Angenehmes begegnet. Dabei ist das Erotische psc_091.028
uns überall als ein Urmoment der Poesie begegnet, und dies

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Phantasiegenuß auch ein Genuß ist. Hier wird zugleich die psc_091.018
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zu einem gewissen Grade sein Glück zu meinem Glücke, psc_091.023
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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/107>, abgerufen am 19.04.2024.