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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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eine Vermenschlichung der Natur durch Personification ein, psc_117.002
welche die Entstehung von Mythen begünstigt; und die psc_117.003
Personification wird erleichtert durch symbolische Darstellung. psc_117.004
Theilweise Ähnlichkeit wird durch poetische Bekräftigung psc_117.005
als vollständige Gleichheit aufgefaßt, gerade wie psc_117.006
das Kind einen Stock für ein Pferd erklärt, weil sich darauf psc_117.007
reiten läßt, wie wir das schon besprachen. So wird der psc_117.008
Mensch die wandelnde Sonne als wandelndes menschenähnliches psc_117.009
Wesen auffassen. Nun kommt aber hinzu, daß dies psc_117.010
Wesen in höheren Regionen zu wandeln und zu leuchten psc_117.011
vermag, daß es also Dinge vollbringen kann, deren der psc_117.012
Mensch nicht fähig ist, und damit ist die Vorstellung eines psc_117.013
übermenschlichen, überkräftigen Wesens gegeben. Und wenn psc_117.014
die Poesie im Stande ist, den Willen des Menschen zu bewegen, psc_117.015
so wird man es wohl auch versuchen, mittelst der psc_117.016
Poesie auf dies überirdische Wesen zu wirken, um die übermenschliche psc_117.017
Kraft in den Dienst der Menschen zu stellen.

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Diesen Naturpersonen gegenüber, welche so vieles können, psc_117.019
was die Menschen nicht können: stürmen, blitzen, donnern, psc_117.020
in den Himmelsregionen wandern -- ihnen gegenüber psc_117.021
also führt die Voraussetzung einer großen Macht zu nützen psc_117.022
und zu schaden auf Zauberlieder und Gebete, Hymnen und psc_117.023
alle Formen der Anrufung. --

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Wir hätten demnach gefunden als aus der Erkenntniß der psc_117.025
Macht der Poesie erwachsend: 1. Lehrgedicht; 2. Mythus; psc_117.026
3. Gebet, Hymne; 4. Zauberlieder.

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Kraft in den Dienst der Menschen zu stellen.

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  Diesen Naturpersonen gegenüber, welche so vieles können, psc_117.019
was die Menschen nicht können: stürmen, blitzen, donnern, psc_117.020
in den Himmelsregionen wandern — ihnen gegenüber psc_117.021
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[117/0133] psc_117.001 eine Vermenschlichung der Natur durch Personification ein, psc_117.002 welche die Entstehung von Mythen begünstigt; und die psc_117.003 Personification wird erleichtert durch symbolische Darstellung. psc_117.004 Theilweise Ähnlichkeit wird durch poetische Bekräftigung psc_117.005 als vollständige Gleichheit aufgefaßt, gerade wie psc_117.006 das Kind einen Stock für ein Pferd erklärt, weil sich darauf psc_117.007 reiten läßt, wie wir das schon besprachen. So wird der psc_117.008 Mensch die wandelnde Sonne als wandelndes menschenähnliches psc_117.009 Wesen auffassen. Nun kommt aber hinzu, daß dies psc_117.010 Wesen in höheren Regionen zu wandeln und zu leuchten psc_117.011 vermag, daß es also Dinge vollbringen kann, deren der psc_117.012 Mensch nicht fähig ist, und damit ist die Vorstellung eines psc_117.013 übermenschlichen, überkräftigen Wesens gegeben. Und wenn psc_117.014 die Poesie im Stande ist, den Willen des Menschen zu bewegen, psc_117.015 so wird man es wohl auch versuchen, mittelst der psc_117.016 Poesie auf dies überirdische Wesen zu wirken, um die übermenschliche psc_117.017 Kraft in den Dienst der Menschen zu stellen. psc_117.018   Diesen Naturpersonen gegenüber, welche so vieles können, psc_117.019 was die Menschen nicht können: stürmen, blitzen, donnern, psc_117.020 in den Himmelsregionen wandern — ihnen gegenüber psc_117.021 also führt die Voraussetzung einer großen Macht zu nützen psc_117.022 und zu schaden auf Zauberlieder und Gebete, Hymnen und psc_117.023 alle Formen der Anrufung. — psc_117.024   Wir hätten demnach gefunden als aus der Erkenntniß der psc_117.025 Macht der Poesie erwachsend: 1. Lehrgedicht; 2. Mythus; psc_117.026 3. Gebet, Hymne; 4. Zauberlieder.

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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/133>, abgerufen am 25.04.2024.