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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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II. Über den Werth der Poesie.
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Hier gehen wir rascher vorwärts.

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suchten, wurden wir schon vielfach auf die Aufgaben, psc_118.005
welche die Poesie zu erfüllen sucht, auf die Functionen, die psc_118.006
Ämter, welche die Poesie übernimmt, geführt:

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Die Poesie dient zum Vergnügen;

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Die Poesie dient zur Belehrung (sie ergötzt und nützt, psc_118.009
s. Horaz), und zwar:

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zur Belehrung im Sinne der Befriedigung der Wißbegier,

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zur Belehrung im Sinne der Einwirkung auf den psc_118.013
Willen der Menschen und der Götter.

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Die ersten Aufgaben, die Befriedigung der Wißbegier psc_118.015
und die Function des Ergötzens, sind bloß angenehm; die letzte, psc_118.016
die Einwirkung auf den Willen, kann auch unangenehm sein: psc_118.017
sie kann uns zum Zorn, zur Rache, zur Reue, zur Furcht psc_118.018
(vor den Göttern und Menschen) erregen.

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Jn allem zeigt sich die Poesie als eine Macht.

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Es ist ein würdiger Gegenstand des Strebens, an dieser psc_118.021
Macht theilzuhaben um sie auszuüben, an ihren Segnungen psc_118.022
theilzunehmen um sie zu genießen.

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Wie viel ist den Menschen ihr Vergnügen werth! Wie psc_118.024
viel thun sie, um sich Vergnügen zu verschaffen! Und wer psc_118.025
ihnen Vergnügen verschafft, wie viel kann der bei ihnen erreichen!

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Die Leute in priesterlichen oder ähnlichen Lebensstellungen psc_118.028
mögen es gewesen sein, die am frühesten consequent nach Benutzung

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II. Über den Werth der Poesie.
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  Hier gehen wir rascher vorwärts.

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  Jndem wir im Vorigen den Ursprung der Poesie zu ergründen psc_118.004
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  Die Poesie dient zum Vergnügen;

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  Die Poesie dient zur Belehrung (sie ergötzt und nützt, psc_118.009
s. Horaz), und zwar:

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zur Belehrung im Sinne der Befriedigung der Wißbegier,

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  Die ersten Aufgaben, die Befriedigung der Wißbegier psc_118.015
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  Jn allem zeigt sich die Poesie als eine Macht.

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  Es ist ein würdiger Gegenstand des Strebens, an dieser psc_118.021
Macht theilzuhaben um sie auszuüben, an ihren Segnungen psc_118.022
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  Wie viel ist den Menschen ihr Vergnügen werth! Wie psc_118.024
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[118/0134] psc_118.001 II. Über den Werth der Poesie. psc_118.002   Hier gehen wir rascher vorwärts. psc_118.003   Jndem wir im Vorigen den Ursprung der Poesie zu ergründen psc_118.004 suchten, wurden wir schon vielfach auf die Aufgaben, psc_118.005 welche die Poesie zu erfüllen sucht, auf die Functionen, die psc_118.006 Ämter, welche die Poesie übernimmt, geführt: psc_118.007   Die Poesie dient zum Vergnügen; psc_118.008   Die Poesie dient zur Belehrung (sie ergötzt und nützt, psc_118.009 s. Horaz), und zwar: psc_118.010 zur Belehrung im Sinne der Befriedigung der Wißbegier, psc_118.011 psc_118.012 zur Belehrung im Sinne der Einwirkung auf den psc_118.013 Willen der Menschen und der Götter. psc_118.014   Die ersten Aufgaben, die Befriedigung der Wißbegier psc_118.015 und die Function des Ergötzens, sind bloß angenehm; die letzte, psc_118.016 die Einwirkung auf den Willen, kann auch unangenehm sein: psc_118.017 sie kann uns zum Zorn, zur Rache, zur Reue, zur Furcht psc_118.018 (vor den Göttern und Menschen) erregen. psc_118.019   Jn allem zeigt sich die Poesie als eine Macht. psc_118.020   Es ist ein würdiger Gegenstand des Strebens, an dieser psc_118.021 Macht theilzuhaben um sie auszuüben, an ihren Segnungen psc_118.022 theilzunehmen um sie zu genießen. psc_118.023   Wie viel ist den Menschen ihr Vergnügen werth! Wie psc_118.024 viel thun sie, um sich Vergnügen zu verschaffen! Und wer psc_118.025 ihnen Vergnügen verschafft, wie viel kann der bei ihnen erreichen! psc_118.026 psc_118.027   Die Leute in priesterlichen oder ähnlichen Lebensstellungen psc_118.028 mögen es gewesen sein, die am frühesten consequent nach Benutzung

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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/134>, abgerufen am 28.03.2024.